Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Debatte I: Technologie wird
unsere Probleme lösen!

Die Schweiz wird zu einer Drehscheibe für Agrartechnologie: Umweltverschmutzung durch Pestizide und Verschwendung von Wasser, Energie und Kraftstoff werden in Zukunft keine Probleme mehr sein.

Agrartechnologie wird unsere Welt über Jahrzehnte hinweg wesentlich beeinflussen. Eine rasch wachsende Weltbevölkerung macht mehr Nachhaltigkeit, höhere Produktivität und optimierte Landnutzung unabdingbar – auch bei uns: Fast die Hälfte der Landfläche Europas wird von der Landwirtschaft genutzt, was diese zu einer führenden Industrie macht. Und die Agrartechnologie strotzt vor innovativen Ideen: Unter anderem hyperspek­trale Bildgebung, Big Data und maschinelles Lernen haben enorme Fortschritte erzielt und ermöglichen es Landwirten, bessere Entscheidungen im Pflanzenmanagement zu treffen. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Agrartechnologie zudem zum weltweit am schnellsten wachsenden Sektor für Risikoinvestitionen entwickelt. Eine ganze Welle von Start-ups hat Europa erreicht und auch die Schweiz selbst wird zu einer Drehscheibe für nachhaltige Agrar- und Lebensmitteltechnologien. Folgende Haupttreiber tragen zu dieser erfreulichen Entwicklung bei:

  • Die Schweiz besitzt erstklassige Forschungs- und Entwicklungszentren sowie offene Innovationsplattformen, die durch das wissenschaftliche Know-how der technischen Universitäten unterstützt werden. Eine tragende Rolle spielt dabei insbesondere Agroscope, das schweizerische Kompetenzzentrum für Agrarforschung. Zudem konzentrieren sich mehr und mehr Start-up-Beschleuniger wie VentureKick, Venturelab, MassChallenge und viele weitere auf die Gründung (agrar)technologischer Unternehmen.
  • Die Präsenz grosser Player in der Lebensmittelindustrie wie Syngenta, Nestlé und Bühler wirkt sich positiv aus. In den letzten Jahren hat Syngenta mehrere AgTech-Start-ups übernommen. Bühler hat mit Protix, dem führenden Unternehmen in der Insektenproduktion, eine Partnerschaft geschlossen, um industrielle Lösungen für Tierfutter und Lebensmittel auf der Basis von Insektenprotein zu erarbeiten. Darüber hinaus gibt es in Genf eine bedeutende Agglomeration von Rohstoffhandelsunternehmen: Die vier grössten Agrar-Rohstoffhändler – Cargill, Bunge, ADM und Louis Dreyfus – haben ihren Hauptsitz oder eine starke Präsenz in der Schweiz.
  • Ein klarer rechtlicher und regulatorischer Rahmen, der Daten­eigentum und Datenaustausch miteinschliesst, und eine interna­tionale und exportorientierte Denkweise.
  • Die Schweiz bietet nicht zuletzt, was noch kaum bekannt ist, ein einzigartiges multidisziplinäres Drohnenökosystem, ideal gelegen in der Mitte Europas. Schweizer Universitäten, Behörden und Unternehmen haben eine nachgewiesene Erfolgsbilanz im Bereich fliegender Roboter und unbemannter Systeme. SenseFly und Pix4D, beides sehr erfolgreiche Spin-offs der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL), sind gute Beispiele für die Wettbewerbs- und Markteintrittsvorteile, die die Nähe zur universitären Forschung und zur Schweizer Luftfahrtbehörde bietet. Auch grosse ausländische Unternehmen wie Parrot und GoPro haben bereits begonnen, in der Schweiz zu investieren.

Was Präzisionslandwirtschaft leisten kann

Landwirte geben fast die Hälfte ihres Betriebsbudgets für Chemikalien zur Unkraut- und Schädlingsbekämpfung aus. In der Regel wenden sie diese auf ganze Felder an, was nicht nur die Kosten steigert, sondern auch die Wirksamkeit dieser Chemikalien verringert. Darüber hinaus schadet es der Umwelt, gefährdet die menschliche Gesundheit und erhöht nicht zuletzt die Wahrscheinlichkeit einer chemischen Resistenz bei Unkräutern, Schädlingen und Krankheiten. Allerdings ist es zeit- und kostenintensiv, problematische Landzonen aufzuspüren und Stichproben zu entnehmen, zumal solche Stichproben nur bedingt über die enorme Vielfalt der Faktoren Aufschluss geben, die sich negativ auf den Anbau auswirken können. Vergrössert wird die Herausforderung für Landwirte durch sinkende Rohstoffpreise, die sie hinsichtlich der Kosten- und Produktionseffizienz unter Druck setzen. Was aber, wenn Landwirte Problemzonen auf ihren Feldern automatisch identifizieren und genau die Menge an Chemikalien exakt dort, wo sie gebraucht wird, präzise auftragen könnten?

Nehmen wir Unkraut als Beispiel: Es konkurriert mit der Ernte um Nährstoffe, Wasser und Fläche und reduziert so den Ertrag. Autonome oder halb autonome Messgeräte, wie sie in der Präzisionslandwirtschaft entwickelt werden, können Informationen über den Standort, über Art und Verbreitung der Unkräuter liefern und Landwirten eine Taktik zur Bekämpfung liefern, die exakt an die lokalen Bedingungen angepasst ist. Die Messgeräte geben die Informationen nahtlos an Sprühgeräte mit variabler Sprührate weiter, wodurch diese Mittel zur Unkrautbekämpfung ganz gezielt anwenden können, anstatt das gesamte Feld zu besprühen.

«Digitale Technologie ermöglicht nicht nur eine Verbesserung von Quantität und Qualität der Nahrungsmittel und höhere Erträge bei gleicher Grundstücksgrösse, sondern gleichzeitig eine Verkleinerung des ökologischen Fussabdrucks und eine effiziente Nutzung von Ressourcen wie Chemikalien, Düngemitteln, Wasser und Kraftstoff.»

Aufgrund solcher Vorteile hat die Verbreitung digitaler Technologien in der Agrarindustrie rasant zugenommen. Ein von Goldman Sachs veröffentlichter Bericht schätzt, dass Präzisionslandwirtschaft zu 70 Prozent höheren Erträgen auf den vorhandenen landwirtschaftlichen Nutzflächen führen und bis 2050 einen Gesamtmarkt von 240 Milliarden US-Dollar schaffen wird. Das Beste dabei: Digitale Technologie ermöglicht nicht nur eine Verbesserung von Quantität und Qualität der Nahrungsmittel und höhere Erträge bei gleicher Grundstücksgrösse, sondern gleichzeitig eine Verkleinerung des ökologischen Fussabdrucks und eine effiziente Nutzung von Ressourcen wie Chemikalien, Düngemitteln, Wasser und Kraftstoff.

Es gibt eine anhaltende Debatte, in der die industrielle Landwirtschaft der nachhaltigen und lokalen gegenübergestellt wird. Aber wie wäre es mit einer industriellen Landwirtschaft, die gleichzeitig nachhaltig ist? Wie können wir eine Symbiose schaffen, die einer parasitären und von Erdöl angetriebenen Landwirtschaft der kontinuierlichen Expansion, Übernutzung oder sogar Zerstörung von Ackerland überlegen ist? Die Dimensionen, um die es in der industriellen Landwirtschaft geht, sind riesig: Tausende Hektar Ackerland, betriebliche Komplexität und ein Auge auf hohe Exporte zeichnen sie aus. Effizienz und Ertrag sind jedoch weit entfernt von den Erträgen kleiner oder mittlerer Landwirte, und das vor allem aufgrund des Mangels an Kenntnissen über das Ackerland und der Fähigkeit, schnell und präzise auf Probleme wie Bodenkrankheiten, Schädlinge und Unkräuter zu reagieren.

Nehmen wir die Zuckerrohrindustrie, die von grossen Anbietern dominiert wird und Biodiesel und Zucker als Output liefert. Aufgrund der geringen Effizienz in der Produktion und der kleinen Gewinnspanne können industrielle Zuckerrohrhersteller das Erdöl in ihrem Produktionsprozess nicht ersetzen. Wenn sie jedoch das Ackerland genau kennen, können sie ihre Pflanzen intelligenter anbauen und die Effizienz steigern, wodurch sie in der Lage sind, das Erdöl vollständig zu verbannen. Der geringere Verbrauch trägt direkt zur Nachhaltigkeit der industriellen Landwirtschaft bei und lässt das Konzept einer klimaneutralen industriellen Landwirtschaft Wirklichkeit werden. Es gibt heute glücklicherweise zahlreiche Ansätze, die in diese Richtung vorstossen.

Nachhaltige Schweizer Start-ups

Die Schweiz ist ein Innovationszentrum für Agrartechnologien dieser Art. Zu den vielversprechenden Schweizer Jungunternehmen, die Landwirte dabei unterstützen, sorgsamer mit natürlichen Ressourcen umzugehen, gehören:

EcoRobotix in Yverdon-les-Bains. Es entwickelt vollständig autonome Jätroboter, dank derer in unterschiedlichen Pflanzenkulturen der Einsatz von Pestiziden um 90 Prozent oder noch mehr reduziert werden kann. Das verringert die Ausgaben in der Unkrautbekämpfung ebenso wie negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. EcoRobotix kombiniert Feldrobotik, Kameratechnik, Erkennungssoftware und Kenntnisse über Techniken der Unkrautbekämpfung, um neuartige intelligente Maschinen hervorzubringen.

Die CombaGroup, sesshaft in Molondin, bietet innovative Lösungen im Bereich Hors-sol-Gewächshäuser. Diese sogenannt aeroponischen Systeme werden auch in der Raumfahrt genutzt. Ihre Technologie kommt ohne Pestizide aus, reduziert den Wasserverbrauch beim Anbau von Salat oder anderem Gemüse im Vergleich zur Freilandkultur um 90 Prozent und ermöglicht eine bis zu 15mal höhere Produktivität pro Quadrat­meter. CombaGroup hat zudem einen Sprühroboter entwickelt, der automatisch Wasser und Nährstoffe an die Wurzeln der Pflanzen abgibt.

SwissDeCode, Genf, bietet das weltweit erste tragbare DNA-Detektionskit an, dank dem Lebensmittel innerhalb von 30 Minuten auf Pathogene und Mikroorganismen untersucht werden können. Es ermöglicht eine Schnellerkennung ohne Verzögerung im Labor und kommt damit dem wachsenden Bedürfnis der Lebensmittelindustrie nach Zertifizierung von Sicherheit und Qualität in Echtzeit entgegen.

Noch viel zu wenig bekannt ist, was Drohnentechnologie in der Landwirtschaft leisten kann. Dazu gehört nicht nur die Analyse von Anbauflächen, auch die Kosten für die Bepflanzung können dank aktueller Fortschritte erheblich gesenkt werden. Drohnenflotten schaffen es beispielsweise, bis zu 100 000 Bäume pro Tag zu pflanzen, indem sie über festgelegte Zonen fliegen, autonom Informationen über den Standort sammeln und Samenkapseln in Bereichen abwerfen, in denen sie am wahrscheinlichsten gedeihen. Diese Methode des Anpflanzens ist fast zehnmal schneller als das manuelle Streuen von Saatgut und kann die Gesamtkosten um die Hälfte verringern. Der Einsatz von Drohnen ist besonders vorteilhaft an unübersichtlichen Orten, an denen es schwierig ist, Saatgut manuell einzupflanzen.

Sensefly ist ein Drohnenhersteller mit Sitz in Lausanne, dessen Technologie unter anderem für die Überwachung von Feldern und für Geländeuntersuchungen eingesetzt wird. Die «eBee» von Sensefly ist eine der beliebtesten Drohnen in der Agrarwirtschaft weltweit; auch Fachleute aus den Bereichen Vermessung, Ingenieurwesen und humanitäre Hilfe profitieren durch die schnellere Erfassung und Analyse von Geodaten. Das Unternehmen ist ein Spin-off der EPFL und gehört mittlerweile zur Parrot-Gruppe.

Precision Vine aus Yverdon-les-Bains konzentriert sich auf den Rebbau. Ihre unbemannten Luftfahrzeuge und die dazugehörige Kameratechnik und Software ermöglichen hochauflösende Luftbilder und Datendienste für die Bewässerung und Ernteplanung von Weinreben, aber auch für die Kartierung von Bodenkrankheiten oder den Nährstoffbedarf der Pflanzen. Das Unternehmen arbeitet mit Anbauern und Winzern zusammen, um Fernerkundungsdaten zu sammeln, zu analysieren und die gewonnenen Informationen in komplette Managementpläne zu integrieren.

Gamaya, von mir selbst mitbegründet, bietet Landwirten hochdetaillierte Informationen über ihr Land. Das Spin-off der EPFL ist das Ergebnis mehrerer Forschungsprojekte in den Bereichen hyperspektrale Bildgebung, Fernerkundung und Umweltüberwachung. Unsere solarbetriebene Drohne «Solar3», vom Labor für autonome Systeme der ETH hergestellt und mitfinanziert von der Europäischen Weltraumorganisation ESA, ist in der Lage, vollständig autonome Flüge von sechs bis acht Stunden durchzuführen. Damit kann sie doppelt so lang wie andere Drohnen fliegen – und für die Zukunft wird eine noch viel längere Flugdauer erwartet: Es gibt bereits Beispiele für solarbetriebene Flugzeuge, die 60 bis 80 Stunden in der Luft bleiben. Dies könnte unbegrenzt zunehmen, da Hochleistungssolarzellen Energie für die Flüge direkt in der Luft erzeugen.

Derzeit ist zwar ihre Flugdauer und die Fläche, die sie abdecken können, noch begrenzt, aber diese Beispiele zeigen, wie sehr diese Technologie die Präzisionslandwirtschaft revolutioniert.


Zum Weiterlesen:

Igor Ivanovs Standpunkt widersprechen Petra Teitscheid und Guido Ritter in diesem Beitrag. Mehr Effizienz und technischer Fortschritt reichen nicht, meinen sie. Es brauche auch eine Selbstbeschränkung der Konsumenten.

 

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!