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Das war eigentlich alles

Simon Maurer, Hubertus Gaßner (Hrsg.): «Roman Signer – Projektionen. Super-8-Filme und Videos 1975–2008». Zürich: Scheidegger & Spiess, 2008.

Denke ich an Signers Kunst, kommt mir eine Erzählung in den Sinn. Nun, nicht wirklich eine Erzählung, es ist ja nicht viel mehr als ein Satz: «Es ging einmal ein Mann ins Büro und traf unterwegs einen anderen, der soeben ein französisches Weissbrot gekauft hatte und sich auf dem Heimweg befand. Das ist eigentlich alles.» Daniil Charms heisst der russische Schriftsteller, dem so etwas einfiel. Und Helmut Heissenbüttel hat Jahrzehnte später eine Vielzahl von Variationen dazu geschrieben. In seinem Buch «Eichendorffs Untergang und andere Märchen» findet sich etwa: «Ein Zaunkönig heiratete einmal eine Butterblume. Die Kinder, die sie miteinander zeugten, sind gutgeraten und haben Erfolg im Leben. Mehr lässt sich dazu eigentlich gar nicht sagen.» Liesse sich ein Buch denken, das Signers Arbeiten in dieser Lakonik zusammenfasste? Etwa: «Ein Mann lag im Bett. Da kam ein Helikopter. Man hätte meinen können, es sei eine Hummel. Das war eigentlich alles.» Oder: «Ein Mann fährt im Kajak. Wer glaubt, er sei auf dem Wasser, täuscht sich gewaltig. Selbst die Kühe kommen vor Freude ins Schwitzen. That’s it.»

Der querformatige Bildband «Projektionen» erscheint wie der visuelle Bruder dieser Buchvision: Super-8-Filme und Videos, die zwischen 1975 und 2008 entstanden sind, werden durch nichts als ganzseitige Stills projiziert. Eines, bisweilen, wo die Dramaturgie der Arbeit es erfordert, durch zwei. Für jemanden, der eine Spielanordnung, eine Skulptur, eine Installation kennt, ist der Band ein Erinnerungsalbum. Wer etwas zum erstenmal sieht, wird sich meist einen Reim auf die Verdichtungen und Abbreviaturen machen können. Was hört man wohl, wenn Sand auf eine Geige rieselt? Und was, wenn das Metronom das Allegro vorgibt oder die Rakete loszischt? Stets wird man mehr sehen und hören müssen als das, was der Moment hergibt, und die Projektionen enthüllen ihre banal-schönen Geheimnisse nur durch das, was wir hineinprojizieren. Das hat mit Signers Arbeiten zu tun, mit der besonderen Problematik, wie man Arbeiten dieser Art in einen «Katalog» bringen kann. Wie man sie dem Vergehen entreisst. Wie man Werke daraus macht. Es ist, als wolle man des Gespensts nach der Geisterstunde habhaft werden. Als wolle man das Ephemere jenes Kajakfahrers erhaschen, der in der Arbeit «Flussaufwärts» des Nachts bei Stampa im Bergell aufs strudelnde Wasser projiziert wird. Die Texte von Simon Maurer im Anhang erschliessen einem manches; sie haben eine eigene Poesie und sind so gar nicht im Jargon der Kunstkritik gehalten. Kein Wort dagegen. Und trotzdem, es ist, als hätte man der Radikalität des eigenen Buches nicht ganz getraut. Man will immer so viel sagen, mehr als Charms.

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