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Das verdammte 20. Jahrhundert

Gerard Radnitzky: Das verdammte 20. Jahrhundert. Erinnerungen und Reflexionen eines politisch Unkorrekten. Hildesheim und Zürich: Georg Olms Verlag, 2006

Wenn ein Mann wie der Wissenschaftstheoretiker und libertäre Philosoph Gerard Radnitzky, Freund Karl Poppers und Friedrich August von Hayeks, auch Freund pointierter und unerschrockener Statements, auf sein Leben zurückblickt, dann darf die Leserschaft einiges an ungewöhnlichen, ja boshaft-geistreichen Aussagen und Seitenhieben erwarten, die dadurch noch interessanter werden, dass er als Philosoph ihren logischen Status erkenntniskritisch reflektiert. Damit erhalten diese Erinnerungen einen besonderen ironischen Grundzug und Glanz. Seine Biographie, die Biographie eines «politisch Unkorrekten», wie der Untertitel lautet, verbindet in spannender Art die Mikrogeschichte seines persönlichen Lebens als eines «gelernten Heimatlosen» aus Znaim in Böhmen, mit der Makrogeschichte der politischen Grossereignisse des 20. Jahrhunderts, deren Zeuge und widerstrebendes «Objekt» er wurde. Es war Gerard Radnitzky bestimmt, ein Leben auf wechselnden, aber leider stets auch «auf sinkenden politischen Schiffen» zu führen. So wuchs der Autor in dem Kunststaat Tschechoslowakei auf, der aus der österreichisch-ungarischen Monarchie hervorgegangen war und dem seine Liebe bis heute gilt. Es ist kein Zufall, dass der hochbetagte Otto von Habsburg das Vorwort zu seiner Biographie beigesteuert hat. Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch Hitler wurde Radnitzky 1938 zwangsweise Bürger des kurzlebigen, aber extrem folgenreichen Dritten Reiches, aus dem er sich in den letzten Kriegstagen als Pilot mit seiner Militärmaschine nach Schweden absetzte. Dort schlug er sich zunächst als Anstreicher, Kunstmaler und Modezeichner durch und begann dann seine Karriere an der Universität Stockholm als Vertreter der Wiener Schule der kritischen Erkenntnisanalyse. Er erlebte Aufstieg und Niedergang des schwedischen Wohlfahrtsstaates, den Aufbau von Gunnar Myrdals «folkhem» und ging dann – mittlerweile in seinen Fünfzigern – an die neue Ruhr-Universität in Bochum, schliesslich an die Universität der ältesten Stadt Deutschlands, Triers, wo er noch heute lebt. Hier musste er Zeuge werden, wie auch Deutschland den schwedischen Weg zum Wohlfahrts- und Fiskalstaat nahm und heute deshalb ökonomisch ebenfalls zu den «sinkenden Schiffen» gehört. Dazu kommt die Schmälerung geistiger Freiheit durch die kleinkarierten Vorschriften «politischer Korrektheit» und einiger tabuisierter, sogar strafrechtlich geschützter historischer «Staatswahrheiten» im Zusammenhang mit der jüngeren deutschen Geschichte, deren freiheitsfeindliche Tendenz Radnitzky heftig kritisiert.

Bei einem so wechselvollen persönlichen Schicksal wundert es nicht, dass diesem heimatlosen «Anti-Etatisten» und sozusagen geborenen Privatmenschen in all diesen Stadien nur eine Formel des geistigen (und körperlichen) Überlebens blieb: «die Methode des Sichdurchschlängelns», des débrouillard – so schon dem Kampfpiloten bei der nationalsozialistischen Luftwaffe, zu der es ihn hingezogen hatte, weil er sich als «schlechter Soldat und guter Kämpfer» eine gewisse Unabhängigkeit und einen relativ freien Lebensstil – etwa in der Einquartierung auf französischen Schlössern – bewahren konnte. Seine Erlebnisse in diesen ihm «vom Staat geraubten» Jugendjahren bei der deutschen Luftwaffe gehören zu den fesselndsten Abschnitten der Biographie.

Für den bundesdeutschen Leser ist besonders Radnitzkys Einschätzung der weltpolitischen Möglichkeiten und Konstellationen in der Perspektive einer «virtuellen» Geschichte (was auch hätte geschehen können) sowie seine Bewertung der handelnden politischen Figuren oft überraschend. Franklin D. Roosevelt und Churchill erleiden einen dramatischen Heldensturz. Er stellt sie in ihren Absichten und Methoden den grössten politischen Gangstern des 20. Jahrhunderts im Westen, Hitler und Stalin, an die Seite. Besonders schildert Radnitzky die Brutalität des «eingefleischten Bellizisten» Churchill mit seinem Vernichtungskrieg gegen deutsche Zivilisten und den «Feuerstürmen» der deutschen Grossstädte, die darüber hinaus in Plänen zu biologischer (Anthrax) und chemischer Kriegführung gegen die deutsche Bevölkerung kulminiert haben soll. Nicht viel besser kommt Roosevelt weg, der, nach neueren angelsächsischen Quellen, auf die Radnitzky hier wie sonst gern Bezug nimmt, mit grosser Skrupellosigkeit, unter Opferung einiger Tausend GI’s den Kriegseintritt Amerikas inszeniert habe (Pearl Harbour), um eine damals heftig widerstrebende amerikanische Öffentlichkeit kriegslustig zu stimmen. Schärfste Kritik Radnitzkys findet auch der tschechoslowakische Staatschef Benesch mit seiner «Vernichtungspolitik» gegen die deutsche Bevölkerung im Sudetenland, die, nach Radnitzky, schon 1919 geplant gewesen sei.

Sehr deutlich wird bei diesem erzindividualistischen Skeptiker (David Hume ist einer seiner Lieblingsphilosophen) und romantischen Ästhetizisten die ausserordentlich negative Einschätzung von Staat und Politikertum. Den Staat akzeptiert er, wenn überhaupt, nur insofern, als er die persönliche Freiheit, das private Eigentum und das Einhalten von Verträgen sichert. Ja, der Staat gilt ihm als «stationärer Bandit mit Diebstahlsmonopol», zudem als monopolistischer «Geldfälscher» einer von ihm manipulierten Papierwährung. Seine Einschätzung der Legitimität und Zweckmässigkeit von Staaten widerspiegelt sich in einem Zitat seines Freundes, des philosophierenden Ökonomen Anthony de Jasay: «Der Staat ist etwas Aufgezwungenes, eine Zumutung, manchmal nützlich, manchmal ein Mühlstein, immer kostspielig, niemals legitim und – entgegen dem, was allgemein geglaubt wird – keine notwendige Bedingung für bindende Verträge».

Mit grossem Sarkasmus kritisiert Radnitzky das staatsoffizielle deutsche Geschichtsbild, in dem das Verschweigen bzw. teilweise polizeibewehrte Verbieten von Meinungen enthalten seien, die das «Schuldmonopol» der Deutschen zu relativieren suchten. Nur wenigen Politikern gesteht er Anständigkeit zu: Adenauer, Erhard, Strauss, Thatcher, Einaudi, Ronald Reagan. Seine politische Zeitkritik – oder Kritik der offiziellen öffentlichen Meinung, namentlich des von ihm heftig kritisierten öffentlich-rechtlichen, steuerfinanzierten Rundfunks – erreicht Schärfen, die manchen deutschen Leser schockieren dürften.

Radnitzkys biographisches Werk ist durchzogen von allgemeinen lebensphilosophischen und erkenntnistheoretischen Statements und gewürzt von Bonmots, es funkelt von Geist und Bosheit (zum Beispiel «Gott hat keine Macht über die Vergangenheit, die Historiker haben sie»). Seine ungewöhnliche, zum Widerspruch herausfordernde politische Unabhängigkeit und seine Bewertungen werden ihm ein Publikum sichern, das den geistigen Kampf, die geistige Herausforderung liebt – doch mancher seiner Leser, deren «korrektes» Geschichtsbild er immer wieder sarkastisch aufs Korn nimmt, wird sich provoziert fühlen, vielleicht aber doch auch zum Nachdenken angeregt. So oder so – die Lektüre der Erinnerungen dieses geistreichen «right-wing-anarchist» lohnt sich, sie kann kritisches Reflektieren und Nachdenken über historische Zusammenhänge in Gang bringen. Und darauf kommt es Radnitzky als kämpferischem Individualisten, als Gelehrtem wie als philosophierendem Weltmann, eigentlich immer an. Radnitzky liebt – wie Montaigne, einer seiner Brüder im Geiste – einen gepfefferten «Stil, der zuschlägt», was stets eine fesselnde Prosa ergibt.

besprochen von GERD HABERMANN, Leiter des Unternehmensinstituts der Arbeits-gemeinschaft Selbständiger Unternehmer und Professor an der Universität Potsdam.

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