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Das unterschätzte Katastrophenszenario
Herbert Saurugg, zvg.

Das unterschätzte Katastrophenszenario

Mit einem grossflächigen Stromausfall ist in Europa in den nächsten Jahren zu rechnen. Die Auswirkungen wären gravierend. Eine eigenverantwortliche Notfallvorsorge ist unverzichtbar.

 

Der nationale Schweizer Risikobericht 2012 wie auch die Aktualisierungen 2015 und 2020 stuften neben einer Strommangellage eine Pandemie als wahrscheinlichstes und schwerwiegendstes Risiko für die Schweiz ein. In der Sicherheitsverbundübung 2014 wurden die Szenarien Pandemie, Strommangellage und Blackout beübt und eine umfassende Sicherheitskommunikation betrieben. Auch wenn eine Pandemie mittlerweile unseren Alltag beherrscht, ist vielen Menschen die Tragweite solcher Ereignisse nicht bewusst. Der zum Glück relativ milde Verlauf dieser Pandemie im Vergleich zu den wissenschaftlichen Referenzszenarien führt dazu, dass das Szenario eines schwereren Verlaufs weiterhin unterschätzt wird. Sollte tatsächlich eine rasante Ausbreitung mit vielen erkrankten oder unter Quarantäne stehenden Menschen erfolgen, könnte es rasch zu massiven Versorgungsengpässen kommen. Unsere Just-in-Time-Logistik ist nicht dafür ausgelegt.

Eine noch viel schwerwiegendere Versorgungskrise könnte auch durch einen sogenannten Blackout, also einen europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall, ausgelöst werden. Das Österreichische Bundesheer oder die Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), der ich als Präsident vorstehe, erwarten ein solches Ereignis binnen der nächsten Jahre. Als Grund werden massive Umbrüche im europäischen Stromver­sorgungssystem genannt. Dieses besteht aus 36 Ländern, mit der Schweiz und Österreich in der Mitte, also in einer zentralen Rolle. Sollte es zu einer schwerwiegenden Grossstörung kommen, bei der weite Teile Europas betroffen sind, ist die Chance, dass die Schweiz und Österreich involviert sein werden, sehr hoch. Kein anderes Land hat so viele Verbindungen zu den Nachbarländern wie die Schweiz. Damit erhöht sich nicht nur die Versorgungs­sicherheit im Alltag, sondern auch das mögliche Risiko von Störungen.

Keine hundertprozentige Sicherheit

Für die steigende Gefahr gibt es zahlreiche Gründe. Es beginnt mit dem europäischen Strommarkt, der per Definition keine Rücksicht auf die Versorgungssicherheit nehmen muss und daher immer häufiger die Netzbetreiber ins Schwitzen bringt. Hinzu kommt das fehlende Stromabkommen der Schweiz mit der EU, wodurch massive Lastflüsse durch die Schweiz erwartet werden, ohne wirklich in diesen Handel eingebunden zu sein. Ein weiterer zentraler Faktor ist die deutliche Reduktion von konventionellen Kraftwerken quer über Europa. Damit gehen wichtige Systemelemente in Form der Momentanreserve, welche wie Stossdämpfer wirken, verloren. Denn erneuerbare Stromquellen bringen dieses Element nicht per se mit. Der Ausstieg aus fossilen Produktionsanlagen ist zwar notwendig. Damit die Netzstabilität aber auch mit erneuerbaren Energiequellen erhalten werden kann, sind umfangreiche ­Systemumbauten inklusive grosser Puffer und Speicher ­erforderlich, um die hohe Fluktuation bei der Erzeugung auszugleichen. Denn im Stromversorgungssystem muss immer genau so viel Strom erzeugt werden, wie gerade ­benötigt wird. Sonst kollabiert es.

Hier ist die Schweiz mit den vielen Pumpspeicherkraftwerken in einer relativ komfortablen Lage. Während in der Schweiz rund 8900 GWh Speicherkapazität zur Verfügung stehen, stehen in Deutschland nur rund 40 GWh zur Verfügung. In Deutschland spielen sich mit dem zeitgleichen Atom- und Kohleausstieg jedoch gerade die grössten Umbrüche ab, was nicht ohne Folgen für die anderen Länder bleiben wird. Hinzu kommen etwa noch eine alternde In­frastruktur, ein steigender Stromverbrauch, Extremwetterereignisse, Cyber- oder Sabotageangriffe und eine steigende Komplexität, die das Risiko für eine europäische Grossstörung deutlich erhöhen. Die 43 Übertragungsnetzbetreiber tun zwar alles in ihrer Macht Stehende, um die Stabilität tagtäglich aufrechtzuerhalten. Dennoch gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, auch wenn das viele glauben. Die wirkliche Gefahr geht daher nicht von einem möglichen grossflächigen Stromausfall aus, sondern von unserer gesellschaftlichen Ignoranz, weshalb uns weit­gehend die notwendigen Vorsorgemassnahmen und Rückfallebenen fehlen.

Bei einem Blackout würde nicht nur binnen weniger Sekunden der Strom in weiten Teilen Europas ausfallen, sondern auch so gut wie jede andere stromabhängige Infra­struktur: beginnend bei der Telekommunikationsversorgung mit Handy, Festnetz und Internet. Damit funktionieren auch keine Kassen oder Steuerungen mehr. Keine Treibstoffversorgung. Der Verkehr bricht zusammen. Aufzüge und Skilifte bleiben stecken oder stehen. Auch die Wasserversorgung kann zeitverzögert ausfallen. Noch häufiger gibt es Probleme bei der Abwasserentsorgung. Auch heizen ist kaum mehr möglich. Keine Produktion und keine Warenverteilung. Alles kommt zum Stillstand. Von jetzt auf gleich. Das können wir uns nicht vorstellen, weil wir so etwas noch nicht erlebt haben.

Bald im Überlebenskampf

Das wirkliche Problem kommt eigentlich erst nach dem Stromausfall. Je nach Region wird mit mehreren Stunden bis Tagen gerechnet, bis die Stromversorgung wieder halbwegs stabil funktionieren wird. Ein Wiederanlauf in anderen Bereichen wird jedoch erst dann beginnen können, wenn das Gesamtsystem wieder ausreichend stabil funktioniert. Ansonsten kann es jederzeit zu Rückschlägen kommen. Auch wenn der Strom wieder da ist, wird es durch Hardwareschäden, Störungen oder Überlastungen noch Tage dauern, bis die Telekommunikation wieder stabil funktioniert. Bis dahin gibt es weder eine Produktion noch eine Warenverteilung. Wir sollten daher davon ausgehen, dass vor der zweiten Woche keine Waren ausgeliefert werden – auch weil viele Prozesse von internationalen Lieferketten abhängig sind. Zudem werden in der Produktion schwere Schäden erwartet, etwa in der Landwirtschaft. Deshalb ist mit wochen- bis monatelangen Versorgungsengpässen zu rechnen.

Während die Schweizer Bevölkerung das Thema Eigenvorsorge vergleichsweise ernst nimmt, ist diese in ­Österreich oder auch in Deutschland sehr schlecht. So wird etwa erwartet, dass sich bereits nach einer Woche rund zwei Drittel der Bevölkerung nicht mehr ausreichend selbst versorgen können und sich buchstäblich im Überlebenskampf befinden. Das betrifft auch jene Menschen, welche die Versorgung wieder hochfahren sollten. Stecken sie zu Hause in der Krise, kommen sie nicht in die Arbeit. Ein Teufelskreis, der dann kaum durchbrochen werden kann. Auch weil es im Gegensatz zur Schweiz kaum staatliche Vorsorgemassnahmen gibt, die das rasch genug abfedern könnten. Niemand kann Millionen Menschen versorgen, wenn die gewohnten Strukturen nicht funktionieren.

Notvorsorge planen

Der zentrale Punkt der Blackout-Vorsorge betrifft deshalb die Eigenvorsorge. Nur wenn sich genügend Menschen für zumindest 14 Tage selbst versorgen können, wird es gelingen, rasch genug wieder eine Notversorgung hochzufahren. Das betrifft vor allem Wasser. Zwei Liter pro Person und Tag sind nötig, zumindest für mehrere Tage, sollte es während des Stromausfalles ein Problem mit der Wasserversorgung geben. Dann geht es um Lebensmittel, die länger haltbar sind, wichtige Medikamente, bei Bedarf Kleinkinder- oder Haustiernahrung und einfache Hilfsmittel, wie ein batteriebetriebenes Radio, Taschenlampen, Rettungsdecken, faltbare Wasserkanister, Erste-Hilfe-Ausrüstung et cetera, um zumindest 14 Tage autark gut überstehen zu können. Keine grosse Sache, aber vielerorts nicht mehr selbstverständlich, weil eh immer irgendwo etwas erhältlich ist und Lagerhaltung nicht mehr geschätzt wird. Auch in vielen Unternehmen fehlen die Puffer, um längere Versorgungsunterbrechungen abfedern zu können. Einige haben nun durch die Pandemie dazugelernt. Aber es sind noch zu wenige.

Wichtig ist auch die mentale Vorbereitung: Zu wissen, dass so etwas überhaupt möglich ist und welche Auswirkungen zu erwarten sind. Dazu gehört auch ein Familiennotfallplan, in dem zu klären ist, wie die Familienzusammenführung erfolgen könnte, wenn der öffentliche Verkehr und die Telekommunikation nicht mehr funktionieren, um sich abzusprechen und zu organisieren. Das kann im Ernstfall den Stress deutlich reduzieren. Und wir können eine solche Krise nur gemeinsam bewältigen, indem wir auch auf jene schauen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, wenn die gewohnte Hilfe wie Pflegedienste oder Einsatzorganisationen nicht mehr kommen können.

Auch eine schwerwiegende Versorgungskrise könnte durch eine länger anhaltende Strommangellage ausgelöst werden, da temporäre, grossflächige Stromabschaltungen zu schweren Störungen in der Logistik führen würden. Vorsorge macht daher immer Sinn und die Gesellschaft ­robuster gegenüber Störungen. Wir sollten das wieder als Selbstverständlichkeit in unseren Alltag einbauen.

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