Zu Besuch bei Caran d’Ache
Ein Gespräch mit Carole Hübscher, Präsidentin des
Verwaltungsrats von Caran d’Ache.
«Unser Marketing ist vielleicht untypisch»
Wie verkauft man einen Kugelschreiber? Die Aufgabe bei Bewerbungsgesprächen hat Kultstatus, spätestens seit Leonardo DiCaprios Charakter sie in «The Wolf of Wall Street» an seine Mitarbeiter stellte: «Sell me this pen!»
Wie das geht, wird kaum jemand besser wissen als Carole Hübscher, die das Familienunternehmen Caran d’Ache in vierter Generation leitet. Seit 2012 ist sie Verwaltungsratspräsidentin des Schreibwarenherstellers, bis November 2022 war sie auch CEO. Das Fabrikgebäude, inklusive Büroräumlichkeiten, befindet sich in Thônex, circa zwanzig Tramminuten vom Genfer Stadtzentrum entfernt. Hübscher trägt einen grasgrünen Pullover mit passendem Schal und ein Lächeln im Gesicht. «Alle haben immer einen Kugelschreiber oder einen Stift irgendwo», erklärt sie. «Zu Hause, im Rucksack, im Büro: Überall braucht es Produkte, um zu schreiben.» Das Schreiben mit der Hand sei überlegter und bewusster als auf einer Tastatur, man verbinde es mit Kreativität und einer gewissen Eleganz. Und es sei persönlicher: «Eine Liebesbekundung bekommt man lieber handgeschrieben als per SMS.»
Caran d’Ache ist wohl jedem Schweizer Schüler bekannt – und doch die einzige Schweizer Firma der Schreibwarenbranche. Die Produkte aus Rohmaterialien wie Pigmenten, Farbträgern, Holz und Metallen werden vollständig in Thônex hergestellt, etwa 280 Angestellte arbeiten am Firmensitz. «In der Schweiz ist es natürlich teuer, Arbeitskräfte kosten viel. Man hat also eigentlich keine andere Wahl, als exzellent zu sein in dem, was man macht.» Was den Standort Schweiz attraktiv mache, sei die Stabilität, sagt Hübscher. Die Lage in der Mitte Europas, der internationale Flughafen und die schöne Stadt seien gut, aber es gebe zu viel Stau und zu wenig Wohnraum. Das mache es schwieriger, Talente anzulocken. Auch der Kanton Genf müsse Sorge tragen, dass er kompetitiv bleibe. Die Steuersätze sind die höchsten der Schweiz.
Die Fabrik hat industriellen Charme, aber mit Farbe; hier liegen Farbstiftminen, die zur Trocknung vorbereitet werden, dort stehen Säcke mit knalligen Pigmenten, in der Nähe wird das Rohmaterial für Wachspastelle in einem Mixer untereinandergerührt. Alles spielt sich auf erstaunlich kleinem Raum ab, wenn man bedenkt, dass es, allein um einen Farbstift zu produzieren, schon rund 35 Produktionsschritte braucht. Das bestehende Gebäude wurde vor über 50 Jahren gebaut, und die Produktpalette wurde seither deutlich vergrössert. Caran d’Ache wird jedoch Ende 2025 umziehen. Die neue Fabrik in der Genfer Gemeinde Bernex soll mehr Platz bieten. Alle Abläufe werden dafür überarbeitet, ausserdem soll die Logistik stärker automatisiert werden. Der Umzug beanspruche viel Zeit und Aufmerksamkeit, erklärt Hübscher: «Das ist ein Once-in-a-Lifetime-Projekt.»
Bei Caran d’Ache arbeiten Angestellte in über 90 Berufen. Besonders schwer zu finden sind Polierer. Es gibt nur wenige Schulen, die sie ausbilden – und die sind auch noch weit entfernt. Deshalb bildet Caran d’Ache die Polierer unternehmensintern aus. Sie bringen die metallenen Schäfte von edlen Schreibinstrumenten von Hand auf Hochglanz.
Die Produkte des Familienunternehmens decken eine sehr grosse Preisspanne ab. Es fängt bei Kugelschreibern für
unter 5 Franken an und geht bis zu Tintenrollern für über 8000 Franken. Für Hübscher lässt sich das leicht vereinen: Im Kern produziert Caran d’Ache Werkzeuge der Kreativität, die man in der Hand hält. Das fange in der Schule im Zeichnungsunterricht an, wo viele erstmals mit der Marke Kontakt hätten. Junge Erwachsene kaufen sich dann vielleicht einen
Kugelschreiber passend zum Outfit – Hübscher hält demonstrativ ihren grasgrünen Kugelschreiber neben ihren Schal. Ein mit Namen gravierter, edler Kugelschreiber könne ein Geschenk der Eltern für den ersten Bildungsabschluss sein. Damit
unterschreibt man dann vielleicht den ersten Mietvertrag. «Unser Marketing ist vielleicht untypisch, da wir ein sehr breites Publikum ansprechen. Wir richten uns an Kinder, Studenten, Berufstätige, Künstler oder auch Sammler.» Caran d’Ache sei in keiner engen Nische tätig.
Hübscher erzählt von einer Grossmutter, die bei ihnen in der Boutique in Thônex vorbeikam. Sie brachte eine Farbstiftschachtel mit, die sie seit ihrer Kindheit hatte, und bat darum, den «Regenbogen» wieder zu vervollständigen und die abgenutzten Stifte zu ersetzen. Die restaurierte Schachtel wurde dann zum Geschenk für ihre Enkelin.
Wer also einen Kugelschreiber verkaufen will, muss ein Bedürfnis erkennen, eine Geschichte erzählen können und überzeugende Produkte haben.