Das Unbekannte, Ungewisse und Unsichere ertragen
Unternehmen sind nicht dem «Gemeinwohl» gewidmet – und das ist auch gut so!
Unter allen Unternehmensformen geniesst die börsenkotierte Aktiengesellschaft das geringste Vertrauen in der Bevölkerung. Dieser Schluss einer gfs.bern-Befragung kann kaum verwundern, berichten doch die Medien regelmässig und mit Leidenschaft über die Fehler und Dummheiten der AGs und ihrer Manager. Immer häufiger fühlt sich darum die Politik berufen, den Aktiengesellschaften gute Unternehmensführung («Corporate Governance») beizubringen – vor allem durch «mehr Transparenz» und «Mitbestimmung» der Aktionäre.
In der Schweiz gewann unter diesem Motto die Minder-Initiative ein Volksmehr. Auch die Europäische Union möchte die «Aktionärsdemokratie» stärken. Ihre neue «Aktionärsrechterichtlinie» erklärt auf (nur!) 30 Seiten, wie die Investoren künftig mehr Kontrolle über ihre Unternehmen ausüben sollen. Wohlklingende Pläne, die neben Minder und der EU auch die Jungsozialisten begeistern, setzen letztere sich doch schon seit Jahren für die «Demokratisierung» der Wirtschaft ein. In der demokratischen Wirtschaft, die ihnen vorschwebt, sind die Unternehmen dem Volk verpflichtet. Das neue Ideal lautet: Gemeinwohl statt Eigennutz, öffentliche Kontrolle statt Spekulation.
In diesem Fahrwasser rudern heute bereits viele Unternehmen, zumindest was die Kommunikation angeht: «Corporate Responsibility» und Nachhaltigkeitsberichte gehören längst zum guten Ton. Gleichzeitig wird das Netz staatlicher Regulierungen, Auflagen und Transparenzanforderungen immer dichter. Heerscharen von Juristen, Beratern und PR-Profis sorgen für den «demokratisch korrekten» Unternehmensauftritt. Die Einhaltung der öffentlichen Benimmregeln («Compliance») ist heute mindestens so wichtig wie der eigentliche Dienst am Kunden.
Kürzlich führte ich eine Befragung unter börsenkotierten Gesellschaften durch. Beinahe ein Dutzend davon liessen sich entschuldigen: «Obligatorische Umfragen und Statistiken» sowie «diverse Berichterstattungspflichten» seien so zeitraubend, dass keine Zeit für die Mitarbeit an wissenschaftlichen Studien bleibe. Vermutlich arbeiten die Angeschriebenen bereits am nächsten, noch umfassenderen Geschäftsbericht. Denn Analysen zeigen: Der Umfang der Geschäftsberichte hiesiger Unternehmen hat sich in den vergangenen zehn Jahren mindestens verdoppelt, zum Teil vervierfacht.
Transparenz- und Kontrollwahn – die unvermeidlichen Nebenwirkungen einer «demokratischen Wirtschaft»? Sicher, in der Politik erwarten wir schon lange Transparenz und demokratische Mitbestimmung. Schliesslich wacht der Staat über unsere Rechte und verwaltet öffentliche Güter. Aber gilt das auch für die Wirtschaft?
Nein. Denn Unternehmen sind eben nicht dem «Gemeinwohl» gewidmet – und das ist auch gut so! Unternehmen sollen nicht kollektive Güter verwalten, im Gegenteil, sie sollen durch vielfältige Experimente dabei helfen, Ungewissheit zu bewältigen und die Zukunft zu erkunden. Der Ökonom Israel Kirzner schrieb einst treffend: Unternehmer werden dort aktiv, wo Gewissheiten fehlen, wo Neues entsteht. Das ist immer ein Wagnis und mit Risiko verbunden. Über das Unbekannte aber lässt sich nicht abstimmen, denn der Konsenszwang erstickt jedes Wagnis.
Auch Karl Popper mahnte in seinen Schriften: Die offene Gesellschaft muss das Unbekannte, Ungewisse und Unsichere ertragen, um Fortschritt und Wohlstand zu ermöglichen. Unternehmen müssen experimentieren können, Versuch und Irrtum zulassen. Diese Experimente erfordern manchmal auch Intransparenz und Geheimnisse. Und ja, ab und zu kommt es dabei auch zu Dummheiten. Doch die Erfahrung lehrt: Am Ende überwiegen im Wettbewerb die Fortschritte und Erfolge die Dummheiten um ein Vielfaches.
Erkennen wir also: Eine «demokratische» Wirtschaft wäre vielleicht transparent, kontrolliert und mitbestimmt. Aber sie wäre auch gänzlich frei von Vielfalt, Innovation und Fortschritt. Damit gebe ich den Ball zurück zum gfs.bern: Wie vielen misstrauischen Mitbürgern sind diese Zusammenhänge wohl klar?