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Das Seelenleben der Beamten
Elfriede Jelinek: Angabe der Person. Hamburg: Rowohlt, 2022.

Das Seelenleben der Beamten

Elfriede Jelinek: Angabe der Person.

Die deutsche Lust am Aktenstreicheln ist bekannt. Besonders gern wird diese Tätigkeit vom Beamtentum kultiviert, bei dem es sich um ein soziologisches Mysterium mit ganz und gar nicht mysteriösen gesellschaftlichen Effekten handelt. Das musste auch Elfriede Jelinek erfahren, der man zum Dank für den Literaturnobelpreis 2004 die Steuerfahndung an den Hals hetzte und – obwohl sie bekanntlich seit den 1970er-Jahren in München und in Wien lebt – anzuhängen versuchte, sich am Fiskus vorbeigemogelt zu haben.

Nun hat die Schriftstellerin offengemacht, womit sie sich jahrelang auseinandersetzen musste, wobei diese Offenlegung weitaus mehr als eine Verarbeitung des Erlebten ist. «Angabe der Person» lautet der Titel ihrer jüngsten Schrift, die Autobiografisches, Historisches und Herrschaftskritik zusammenführt – vorgetragen in einer Abfolge an Sätzen, deren Fluss keinerlei Halt verspricht: «Jeder Satz will, was mir nicht zusteht, die Steuereinnehmer wollen auch dauernd was, sie wollen genau alles, weniger nehmen sie nicht, ein bisserl was wird dann schon hängenbleiben.» Zwar wird diese Angelegenheit in ihren konkreten Abläufen eher kryptisch wiedergegeben, doch an jenen Stellen, an denen sie explizit gemacht wird, wird überdeutlich, was sie motiviert haben dürfte: «Eine politisch missliebige Person, ja, so sagte jemand beim Durchsuchen meiner Habe», wird über die Fahnder berichtet. Damit reiht sich diese Causa in die jahrzehntelange Serie von Anfeindungen ein, die Jelinek in ihrer Karriere trafen und die stets mehr als der blosse Hass auf eine Schriftstellerin waren: Misogynie und Antifeminismus, Antisemitismus und das unbändige Verlangen danach, aus der Ordnung ausscherenden Individuen kollektiv nachzustellen.

Bemerkenswert ist, dass hier die Schweiz sehr oft auftaucht – als Ort, den sich neiderfüllte, staatstragende Deutsche offenbar lediglich als besseres Deutschland vorstellen können. «Oh, gäbe es die Schweiz nicht, dann könnten wir das sein, dann könnten wir die Schweiz sein», denkt sich der zuständige «Herr Staatsanwalt» etwa. Doch Jelinek wäre nicht die Satirikerin, die sie ist, wenn sie es hierbei beliesse: «Die Schweiz ist ja immer noch überirdisch, die braucht gar keine Gräber, dort ist alles überirdisch, schön und sauber und reich und reinlich, wenn man auch nicht immer willkommen ist, falls man von auswärts kommt.»

An einer anderen Stelle heisst es in bezug auf die vergangene Fussballweltmeisterschaft mit demselben Witz und in unvergleichlicher Abgründigkeit: «Deutschland denkt immer an alle, wenn es an sich denkt.» Was das bedeutet, davon hat das 20. Jahrhundert bekanntlich das düsterste Zeugnis der Menschheitsgeschichte abgelegt. «Angabe der Person» ist somit nicht nur eine persönliche Aufarbeitung dessen, was paragrafengeile Beamte Jelinek angetan haben, sondern eine Erinnerung an die Abdrücke des Verdrängten in der Gegenwart. «Ich kann in Toten geradezu wühlen», schreibt sie. Dafür, dass sie dafür sorgt, dass die Wunde, die das pseudo­geläuterte Deutschland so gerne schliessen möchte, nicht zugeht, kann man sich nur vor ihr verneigen. Und für die so zielsicheren wie komischen Sätze, die sie auch diesmal verfasst hat, ohnehin: «Der Staat ist eine Macht, er hat keine Zähne mehr, aber wenn er jemanden sieht, der ihm nicht schmeckt, dann zieht er sofort sein Gebiss aus dem Glas und setzt es sich ein, damit er jeden, den er will, fressen kann.»

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