Das Scheitern Macrons ist ein Scheitern des französischen Dirigismus
Der französische Präsident war mit dem Plan angetreten, Strukturreformen mit Investitionen zu kombinieren. Er endete bei der alten französischen Tradition, Probleme mit immer mehr Staatsausgaben zuzuschütten.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Blog «Silicon Continent».
Am 4. September 2025 erhielt Jean Pisani-Ferry wohlverdient die Légion d’honneur für seine Verdienste um Frankreich. In seiner Dankesrede hielt er zugleich eine Art «Trauerrede» auf das Projekt, das er selbst mit aufgebaut hatte.
Das Programm, das Emmanuel Macron an die Macht gebracht hatte, war von Pisani-Ferry entworfen worden. Es sollte Frankreich durch angebotsseitige Reformen zu neuem Wachstum führen, während Investitionen in Humankapital und soziale Transfers den Übergang abfedern sollten. Zuerst setzte Macron die «rechten» Elemente um: die Abschaffung der Vermögenssteuer und eine Reform des Arbeitsrechts, die ein gewisses Mass an Flexicurity einführte. Dem stand der von Pisani-Ferry konzipierte «linke» «Grand Plan d’Investissement» über 57 Milliarden Euro gegenüber, mit Schwerpunkten auf Berufsbildung (15 Milliarden), ökologischer (20 Milliarden) und technologischer Transformation (13 Milliarden).
Die Idee war, die nötige wirtschaftliche Dynamik zu erzeugen, um den Wohlfahrtsstaat zu finanzieren, ohne ihn abbauen zu müssen. Es war eine Wette darauf, dass Modernisierung der demografischen Krise zuvorkommen könnte. Frankreichs Unregierbarkeit und sein anhaltend schwaches Wachstum zeigen, dass dieses Programm gescheitert ist.
Eine verbreitete Deutung dieses Scheiterns, zu lesen in grossen Zeitungen wie «Le Monde», in der «New York Times» und im «The Guardian», lautet, Macrons Krise sei eine Krise des Glaubens an den freien Markt. Pisani-Ferry sprach von einem Rechtsrutsch:
«Ich habe bald erkannt, dass sich das Gleichgewicht zwischen Ideen von links und jenen von rechts allmählich verschob … Diejenigen von uns, die sich einem Projekt der Emanzipation und Gleichheit vor dem Gesetz verpflichtet hatten, fanden sich in der Politik der Regierung kaum mehr wieder.»
Die fiskalische Bilanz widerspricht jedoch jeder Behauptung eines Sparkurses. Nach einem kurzen Versuch 2017 und 2018, Ordnung in die Staatsfinanzen zu bringen, war Macrons Präsidentschaft keineswegs sparsam im Umgang mit den Staatsmitteln.
Ebenso ernüchternd fällt die regulatorische Bilanz aus: Zwar wurde der Arbeitsmarkt liberalisiert, doch die meisten anderen Wirtschaftsbereiche sind heute restriktiver als vor zehn Jahren. In Frankreich ist es schwieriger denn je, Häuser zu bauen, Infrastrukturen zu errichten, Software zu vertreiben oder Energie zu erzeugen. Nicht zuletzt infolge des Brexits hat sich dieser Interventionismus im vergangenen Jahrzehnt in ganz Europa ausgebreitet. Der kumulative Effekt des Macronismus verengte das wirtschaftliche Angebot eher, als dass er es erweiterte.
Miserable Bilanz
Macrons Regierung gab, gemessen am Anteil der Wirtschaftsleistung, konstant mehr aus als jede andere in der OECD. Der öffentliche Sektor machte 2024 über 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Besonders aufschlussreich ist die zunehmende Divergenz zu den Nachbarn: Als Macron ins Amt kam, lag die Staatsverschuldung elf Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Eurozone; bis 2024 ist der Abstand auf 25 Punkte gestiegen. Für 2025 wird ein Schuldenstand von 116 Prozent des BIP erwartet – und ein Defizit, das doppelt so hoch ist wie der EU-Schnitt.
Frankreichs fiskalische Haltung unter Macron steht somit für Kontinuität, nicht für einen Bruch mit der Vergangenheit. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt schreibt ein Defizit von maximal 3 Prozent des BIP und eine Schuldenquote von höchstens 60 Prozent vor. Seit 2002 hat Frankreich die Schuldenobergrenze jedes Jahr überschritten und die Defizitgrenze nur zweimal unterschritten. Mehr noch: Seit 2002 lag das französische Defizit in jedem einzelnen Jahr über dem Durchschnitt der Eurozone. Die Staatsverschuldung wuchs seit 1995 schneller als in den Nachbarländern, mit einer kurzen Atempause unter Präsident Sarkozy.
Ein früher Versuch fiskalischer Disziplin endete mit den Gilets-jaunes-Protesten im Herbst 2018. Eine moderate, ökologisch begründete Erhöhung der Treibstoffsteuer erzürnte die «France périphérique», die Provinz jenseits der Metropolen. Bemerkenswerterweise richteten sich die ersten Massenproteste nicht gegen Liberalisierungen, sondern gegen staatliche Massnahmen, die das Leben und die wirtschaftliche Tätigkeit verteuerten.
Die Regierung gab rasch nach. Als Zugeständnis kündigte Macron im Dezember 2018 ein Paket über zehn Milliarden Euro an: eine Erhöhung des Mindestlohns, die Abschaffung der Steuer auf Überstunden und den Verzicht auf geplante Steuererhöhungen für Rentner.
«Quoi qu’il en coûte»
Das in der Gilets-jaunes-Krise etablierte Muster wurde zum Standard von Macrons Amtsführung: Auf jede Erschütterung folgte ein finanzieller Kraftakt, nie eine Reform. Seinen Höhepunkt fand dies in der Coronakrise im Slogan «Quoi qu’il en coûte» – «Was immer es kostet». Auf den Energieschock nach dem russischen Überfall auf die Ukraine reagierte die Regierung mit Ausgaben von 100 Milliarden Euro, um die Verbraucherpreise für Energie einzufrieren.
Auf mikroökonomischer Ebene wiederholte sich dieses Muster. Der Spielraum, den die Arbeitsrechtsreformen geschaffen hatten, wurde durch eine Welle staatlicher Eingriffe in anderen Bereichen mehr als aufgehoben. Die drei grossen Ziele – ökologische Transformation, digitale Regulierung und strategische Autonomie – brachten eine Flut neuer Vorschriften hervor, die Unternehmen und Bürgern die Fähigkeit nahmen, zu bauen und Innovationen zu schaffen.
Ein besonders drastisches Beispiel ist der Wohnungsbau. 2021 unterzeichnete Macron ein Gesetz, das Frankreich bis 2050 zur Netto-Null-Flächenversiegelung verpflichtet. Seine Regierung untersagte die Vermietung schlecht isolierter Wohnungen, ermächtigte Gemeinden, Zweitwohnungen zu verbieten, und führte landesweite Mietpreisbremsen ein.
Die EU wird vom französischen Dirigismus angesteckt
Der Brexit verbreitete den Trend zum staatlichen Interventionismus in ganz Europa. Grossbritannien war lange das Gegengewicht im institutionellen Gleichgewicht der EU; sein Austritt schwächte das Lager gegen den französischen Dirigismus. Der von Macron eingesetzte Kommissar Thierry Breton und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lockerten die Beihilferegeln und trieben den Green Deal sowie die digitale Agenda voran.
Von Anfang an war Dirigismus, nicht Liberalismus, das Ziel. Macron erklärte 2021:
«Wir müssen den Rahmen für eine produktive Unabhängigkeit Frankreichs und Europas neu schaffen. Das bedeutet, dass zum ersten Mal seit Jahrzehnten der Staat und die öffentlichen Behörden wieder eine klare und einfache Strategie übernehmen, nicht um alles zu planen, sondern um jene strategischen Sektoren zu definieren, in die wir investieren müssen.»
Viele Ziele dieser ökologischen und digitalen Agenden sind für sich genommen wertvoll. Doch die Methode, sie zu erreichen, beruht auf staatlichen Vorgaben statt auf Markt- und Preissignalen. So entstehen faktisch unendlich hohe Grenzsteuern auf nützliche Aktivitäten. Statt Emissionen von Autos zu bepreisen, verbietet die EU deren Verkauf ab 2035. Das Nature Restoration Law von 2024 verlangt, bis 2030 20 Prozent aller EU-Land- und Seegebiete zu renaturieren. Das dirigistische Modell liegt auch der Datenschutzgrundverordnung und dem AI Act zugrunde, die über Vorgaben und Compliance-Ziele wirken.
Keines dieser Gesetze wurde so entworfen, dass Kosten und Nutzen angemessen abgewogen werden. Die starren Vorgaben schränken Aktivitäten gerade dort ein, wo Flexibilität am wertvollsten wäre. So könnte es sein, dass die letzten zwanzig Prozent der Verbrennerautos in Regionen stehen, in denen es keine Strominfrastruktur gibt, was die Menschen zwingt, alte, schmutzige Fahrzeuge weiterzufahren. Ein preisbasiertes System würde das vermeiden; ein Verbrennerverbot ab 2035 tut es nicht. Auch die europäische Rüstungsindustrie wird durch Umweltauflagen behindert, obwohl sie für die Sicherheit des Kontinents entscheidend ist.
Kein Versagen des freien Markts
Macrons Scheitern kann als Niederlage jener Werte gelesen werden, die man gewöhnlich mit den sogenannten «Neoliberalen» verbindet: Kosmopolitismus, eine gewisse Gelassenheit gegenüber Ungleichheit, Vertrauen in Institutionen und Offenheit gegenüber der Welt. Doch es ist kein Scheitern des Ideals freierer Bürger in freieren Märkten – Ideale, die Macron nie wirklich verkörperte. Er regierte im Geist des französischen Dirigismus, in der Tradition de Gaulles, mit dem Ziel, Frankreich durch staatliche Lenkung zu modernisieren. Seine Vorgaben und Eingriffe werden es Frankreich letztlich erschweren, nicht erleichtern, zu bauen und zu wachsen.
Aus dem Englischen übersetzt von Alex Buxeda.