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Das Nichts? Gasgestank? Gott?

War das nicht alles einfach Sauglattismus? Wenn man so hinhört, wie über DADA gesprochen wird, auch von Begeisterten, ist der Unterschied nicht ohne weiteres festzustellen. Lautgedichte und Kostüme aus Glanzpapier und viel Nonsens und Gruppenglück im Protestgehabe, hat sich das nicht in sich selbst erfüllt, damals, und wird fade, wenn man es aufzuwärmen sucht? Gibt […]

Das Nichts? Gasgestank? Gott?

War das nicht alles einfach Sauglattismus? Wenn man so hinhört, wie über DADA gesprochen wird, auch von Begeisterten, ist der Unterschied nicht ohne weiteres festzustellen. Lautgedichte und Kostüme aus Glanzpapier und viel Nonsens und Gruppenglück im Protestgehabe, hat sich das nicht in sich selbst erfüllt, damals, und wird fade, wenn man es aufzuwärmen sucht? Gibt es etwa Tristeres als DADA-Zeitungen in Vitrinen, DADA-Manifeste an heutige Wände gepinnt? Jeder hat einmal erlebt, wie er sich in DADA-Ausstellungen anstrengen musste, um weiterhin aufregend zu finden, was er aufregend finden wollte und aufregend finden zu müssen glaubte.

Es ist viel leichter, über DADA grundsätzlich begeistert zu sein, als eine genuine Erfahrung zu machen von dem, was DADA war. Die Türen, die DADA einrannte, stehen seit Jahrzehnten offen, gähnend. Die Kunst, gegen die DADA antrat, hat längst alle Autorität verloren. Auch der Schock des Wilden ist verpufft. Afrikanische Masken dekorieren Kaffeehäuser, liegen haufenweise auf den Flohmärkten. Und was das schrille Spektakel betrifft, so tritt heute jeder lyrische Anfänger schreiend oder flüsternd auf, mit Musik und Gerassel: Performance ist Mainstream. DADA als Skandal zu erleben ist so schwierig geworden, wie Tränen zu vergiessen im fünften Akt der «Maria Stuart».

Dennoch ist DADA ein kulturhistorisches Monument, so einzigartig, schwierig, langweilig und sensationell wie «Faust II», der «Nachsommer», «Finnegan’s Wake» oder der «Mann ohne Eigenschaften». Aber man muss den Zugang suchen. Sympathie allein tut’s nicht.

Das erste Factum brutum ist der historische Zeitpunkt. In dem einen Jahr, da alles entsteht, was wir DADA nennen, von März 1916 bis März 1917, spielt sich die «Hölle von Verdun» ab, 700 000 tote Deutsche und Franzosen; findet die Schlacht an der Somme statt, eine Million Tote; folgen sich in Italien nacheinander vier Schlachten am Isonzo; stirbt der Kaiser Franz Jo-seph zu Wien; beginnt der deutsche U-Boot-Krieg gegen alle Schiffe aus England, auch die neutralen; bricht die russische Revolution aus; dankt der Zar ab; lösen die USA die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland auf, erklären anschliessend Deutschland den Krieg.

Weltmächte, die sich für unerschütterlich hielten – immer wieder gibt es Weltmächte, die sich für unerschütterlich halten, wann hört das einmal auf? – kollabierten. Mit ihnen stürzten politische Glaubenswelten ein. Kronen rollten auf dem europäischen Kontinent wie Spielzeug, Blech. Die Völker beteten alle zum gleichen Gott, er möge doch die andern krepieren lassen. Die Priester sangen dazu und segneten Kanonen und Gascontainer. Nichts, was gegolten hatte, galt weiterhin. Was die Masse gesetzt hatte, wurde lächerlich. Das sahen nicht alle. Die aber den Mut dazu hatten, standen vor furchtbaren Fragen: Was bleibt, wenn alle Strukturen bersten? Das Nichts? Gasgestank? Gott?

Dorthin wollte DADA vorstossen, hinter alles Eingerichtete, ohne zu wissen, ob da Dreck sein würde oder Gott. Deshalb musste DADA aufreissen, zerfetzen, mit den bunten Partikeln spielen. Aber nicht um dieser willen. Diese vergilbten rasch. Sondern um des ganz Anderen willen, das vielleicht grauenhaft war, vielleicht herrlich. Sagen konnte man es nicht. Gelegentlich streifte es die Tanzenden.

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