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Das Mysterium der Wortdrogensucht

Christian Uetz: Nur Du, und nur Ich. Roman in sieben Schritten. Zürich: Secession, 2011.

Wer ihn beim Wort nimmt, verliert den Text. Wer (allein) aufs Verstehen setzt, kriecht ihm auf den Leim. Er schreibt, wollte man sich zu einer Charakterisierung verleiten lassen, nicht über die Normalität, sondern über der Normalität. Aber was heisst schon «Normalität»? Christian Uetz’ Bücher verweigern sich jeglicher Festschreibung und damit jeder Verkürzung und Reduktion. Auch in seinem neuen Buch, dem Roman «Nur Du, und nur Ich». Die Liebesgeschichte – wenn es sich denn um eine solche handelt – ist ein Himmel- und Höllenbericht zugleich. Ein Greifen nach dem Kathedralenfirmament, im Wissen darum, dass dort oben die Abgründe lauern.

Die «Handlung» allerdings ist eine Alltäglichkeit: Mann trifft Frau. Die Liebe nimmt ihren Anfang. Er gerät in einen Zustand der Hochspannung, in eine ekstatische Welt jenseits von Vernunft und herkömmlicher Ordnung. Fiebrig erwartete Verabredungen in Städten, in den Bergen, in Indien verkommen zu Desastern. Es geschehen die falschen Berührungen, es werden die falschen Blicke ausgetauscht und fallen die falschen Worte. Letztere vor allem. Vermeintlich Banales steigert sich zur Kardinalfrage, und die Dialoge stolpern wie kaputte Wagenräder. Sie will tanzen gehen, er sagt: «Ich habe einen unpassenden Pullover.» Und gleich beginnt das destruktive Hin und Her: «Zieh doch den Pulli einfach aus.» «Das T-Shirt ist hässlich. Ich habe auch schon arg viel getrunken.» «Das ist doch völlig egal, ich auch, das werden wir ewig bereuen, wenn wir jetzt nicht tanzen gehen.» «Okay, gehen wir.» «Nein, jetzt will ich nicht mehr, es war mir zu unspontan, jetzt habe ich keine rechte Lust mehr.» Die Suche nach dem Wort, dem einen Wort, steigert sich zum Ringen mit dieser Urstrafe, die im Anfang schon da war, dem (richtigen) Wort.

Das ist Christian Uetz’ Thema. Er (ver)dreht und (ver)wendet jeden Einfall, jedes Denkmuster bis zum «Erkenntnisorgasmus» – um zum Schluss zu kommen: «Alles Sagen überhaupt ist Befleckung.» Zuvor aber singt er sein Klagelied der unzulänglichen und verbrauchten Sprache, erregt, verzückt, orgiastisch. Und die Liebeswahngeschichte dreht sich zuweilen in Endlosschlaufen und unterstreicht die für seine Texte typische musikalische Geräuschhaftigkeit: «Wenn ich ganz bei mir selber ganz bei dir bin, wie bei mir selber bei der Sprache und bei der Sprache nicht bei mir selber, dann kann ich gewiss sein, dass ich nicht ganz bei mir und nicht ganz bei der Sache und überhaupt nirgendwo nicht ganz spinn.» Humoraspekte, wie dieses «spinn» anstelle von «bin», sind häufige Zugaben und lockern das dichte Netz der Zeilen auf.

Dass Christian Uetz seinem Roman Zitate zweier Mystiker in Sachen Liebe voranstellt – Friedrich Hölderlin und Ingeborg Bachmann –, erstaunt nicht. Die Essenzen ihres Liebesverständnisses sind auch seine dominierenden Aromastoffe. Und wenn er explizit vom Unlebbaren der Liebe redet und ein gewaltreiches Traumkapitel einflicht, dann ist er näher bei Bachmann und ihrer Vernichtungsangst, die sich im Traumkapitel ihres Romans «Malina» als «Herzstück» manifestiert.

Als Uetz’ Protagonistin, immer wieder auf Abstand und ihre Freiheit bedacht, in Ruhe gelassen werden oder die Beziehung ganz abbrechen will, notiert der Protagonist: «Wochen um Wochen dein tägliches Nichts.» Und bald darauf: «Endlich ist alles verloren, endlich ist das Nichtsmehrverlierenkönnen gewonnen.» Sobald sie jedoch wieder anruft, beginnt das Mysterium von vorn, das buchstäblich sprachlose, wortwörtliche Warten, die redliche Verunsicherung. «Wenn nichts passiert, passiert das Tiefste», sagt er – und preist damit wortmonströs ein Nichts. Christian Uetz’ Bücher lassen keine Wahl. Wäre da nicht die Kongruenz von rauschhafter Darstellung und analoger Handlung, so könnte man ihnen einzig das zum Vorwurf machen.

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