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Das Märchen von der Knappheit


Um eine globale Einschätzung an den Anfang zu stellen: Dass die für die Weltwirtschaft wichtigsten Ressourcen im 21. Jahrhundert unter Druck geraten könnten, steht nicht zu befürchten. Seit über dreissig Jahren entwickelt sich der Verbrauch fossiler Brennstoffe in einem Ausmass, das weit unter früheren Erwartungen liegt; dafür erreichen die nachgewiesenen Gesamtreserven heute, selbst nach konservativen Schätzungen, neue Rekordwerte. So ist damit zu rechnen, dass das Energieangebot aus fossilen Brennstoffen bis weit ins Jahrhundert hinein kontinuierlich weiter steigen wird. Zum einen wird es sich aus dem fortgesetzten Abbau von Kohle speisen, zum anderen aus der Nutzung von rund 75 Prozent der heute nachgewiesenen Erdölvorkommen. Kohle und Erdöl werden zunehmend dem dritten, ebenfalls reichlich vorhandenen fossilen Brennstoff weichen; in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wird Erdgas den grössten Teil der Energienachfrage decken. In Entsprechung dazu wird die Erdgasindustrie im Jahr 2100 rund fünfmal grösser sein als heute.

Belief sich der globale Energieverbrauch im 20. Jahrhundert insgesamt auf 500 Milliarden Tonnen Erdöläquivalente an fossilen Brennstoffen, so dürfte dieser Verbrauch im 21. Jahrhundert auf über 1’500 Milliarden Tonnen anwachsen – ein Anstieg auf das dreifache Niveau also. Um ihn zu bewältigen, sind auf der unternehmerischen und technologischen Seite nicht nur gute Leistungen, sondern auch Neuerungen notwendig. Global, regional und lokal tätige Akteure ergänzen sich hier; sie sind Teil eines hochkomplexen Netzwerks, das die Förderung, den Transport und die Verarbeitung der verschiedenen Energieträger sicherstellt. Dieses Netzwerk ist nicht unverletzlich; im Gefolge von Spannungen und Konflikten kann es durchaus zu Engpässen in der Versorgung kommen. Längerfristig aber hat eine fundamentale, wechselseitige Übereinstimmung der Interessen noch immer dafür gesorgt, dass besagtes Netzwerk bestehen und die Kontinuität der Versorgung gewährleistet blieb. Wenn Autoren heute über die Wahrscheinlichkeit von «Ressourcenkriegen» spekulieren, treffen sie die realen Verhältnisse nicht. Solche Kriege wären allenfalls denkbar, wenn Kohle, Erdöl oder Erdgas einer «letzten», nicht behebbaren Knappheit unterworfen wären. Diese Art von Knappheit mag lokal oder regional und kurzfristig auftreten, im grösseren Massstab aber kann sie für das 21. Jahrhundert so gut wie ausgeschlossen werden.

Im Kontext von Problembereichen wie Klimawandel oder globale Erwärmung ist die Bewirtschaftung fossiler Ressourcen zumindest im Produktionsbereich kein relevanter Faktor. Dies könnte sich allenfalls ändern, wenn im Zuge der Förderung oder des Transports von Erdgas über lange Zeiträume hinweg grosse Mengen von Methan in die Atmosphäre entwichen – eine Möglichkeit, die nur dann mit einer gewissen Plausibilität angenommen werden könnte, wenn sich ein funktionierender Erdgasmarkt gar nicht entwickelte oder aber wenn ein solcher Markt kollabierte.

Schwache «grüne» Konkurrenz

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eine solche Entwicklung eigentlich nur dann eintreten könnte, wenn erneuerbare Energiequellen im Zuge einer unerwartet schnellen Expansion das Erdgas verdrängten. Dieser Fall ist unwahrscheinlich. Zum einen kommt der Aufbau neuer Anlagen im Bereich alternativer Energieproduktion – Windkraftwerke, So-larzellen, Gezeitenkraftwerke, Energiegewinnung aus Biomasse – nur schleppend voran. Zum anderen fehlt diesen Alternativen schlicht die Möglichkeit, Strom auf einem Preisniveau zu erzeugen, das die Elektrizitätsgewinnung aus Erdgas ernsthaft konkurrenzieren könnte. Eine rasche Entwicklung, geschweige denn ein Siegeszug erneuerbarer Ressourcen ist nicht zu erwarten. Nach Lage der Dinge wäre es als Überraschung zu werten, wenn diese Alternativen im 21. Jahrhundert allein schon die zusätzlich anfallende Nachfrage decken könnten.

Die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung wird durch das unterstrichen, was sich in den technologisch fortgeschrittensten Ländern der Welt seit 1990 abspielt. Im Kyoto-Protokoll ist dies bekanntlich das Basisjahr für die Berechnung der Reduktion des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und damit von CO2-Emissionen. Nicht, dass der Verbrauch solcher Brennstoffe seither zurückgegangen wäre. Stand er 1990 bei insgesamt 3’425 Millionen Tonnen Erdöläquivalenten, so stieg er bis 2002 auf 4’075 Millionen Tonnen an. Diesem Mehrverbrauch von 650 Millionen Tonnen Erdöläquivalenten im Bereich von Kohle, Erdöl und Erdgas stand auf seiten der erneuerbaren Ressourcen ein Zuwachs von nur 200 Millionen Tonnen gegenüber – und davon entfielen erst noch 140 Millionen Tonnen auf Atomenergie, eine pseudo-erneuerbare Energiequelle also. Und die Produktion von Atomenergie hat in den letzten Jahren ihren Zenit überschritten.

Abgesehen von der Wasserkraft, stek-ken alle Industrien im Bereich der Produktion erneuerbarer Energie noch in den Kinderschuhen. Es handelt sich um Strukturen, die ohne fortgesetzte staatliche Subventionierung zur Senkung der Produktionskosten – oder auch ohne den Willen der Konsumenten, für «grüne Energie» eine Extraprämie zu bezahlen – gar nicht bestehen könnten. Was Wunder, wenn sogar in den modernsten Volkswirtschaften der Welt durchschnittlich noch immer über 85 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus fossilen Brennstoffen gedeckt werden – und die Hälfte der restlichen 15 Prozent aus Atomkraftwerken. Vor diesem Hintergrund scheint, wie gesagt, schon die Hoffnung übertrieben, erneuerbare Ressourcen könnten in Zukunft wenig-stens die zusätzlich anfallende Nachfrage decken. Vollends verstiegen ist die Annahme, «grüne Energie» werde in absehbarer Zukunft Kohle, Erdöl und Erdgas ersetzen.

Es sei denn, die Politik greife ein. Aber steht zu erwarten, dass Regierungen eine «grüne» Transformation der Energiemärkte voluntaristisch vorantreiben werden? Wohl kaum.

Zum einen wäre im Zuge einer solchen Transformation mit Schwierigkeiten in der Versorgung zu rechnen, zum anderen mit nachhaltigem Widerstand seitens der Konsumenten gegen die im Vergleich zum Status quo ante deutlich höheren Kosten eines solchen Wegs. Hinzu kommt, dass nicht alle Bereiche einer Volkswirtschaft den Wechsel auf erneuerbare Ressourcen so einfach nachvollziehen könnten – man denke etwa an das Transportwesen. Über 50 Prozent des weltweiten Verbrauchs an Erdöl und gut 20 Prozent des Energieverbrauchs insgesamt entfallen momentan auf diesen Bereich allein, und die Anteile steigen.

Gleiche Chancen für den Süden?

Auch in den ärmeren Regionen der Welt wird man sich auf lange Zeit hinaus den Luxus erneuerbarer Ressourcen schlicht nicht in grossem Ausmass leisten können. 80 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in sogenannten Entwicklungsländern. Rund zwei Milliarden Menschen sind zuhause ohne Zugang zu Elektrizität; der durchschnittliche Energieverbrauch pro Kopf liegt bei einem Achtel des in unseren Breitengraden üblichen Niveaus. Rea-listische Entwicklungsperspektiven, will heissen: Industrialisierung, Urbanisierung und Motorisierung, kann es für die Dritte Welt nur geben, wenn in den kommenden Jahrzehnten mehr, viel mehr Energie zur Verfügung steht. Und sie muss billig sein – womit erneuerbare Ressourcen ausser Betracht fallen. Auch im Süden wird die Versorgung darum auf Jahrzehnte hinaus fast gänzlich aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden müssen – ob es gefällt oder nicht. Wer mit solchen Aussichten Mühe hat, sei immerhin daran erinnert, dass die rasante wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Europa und Nordamerika seit dem 18. Jahrhundert nur dank stetem Zugang zu preiswerter Energie aus fossilen Brennstoffen überhaupt erst möglich wurde. Will man den ärmeren, weniger entwickelten Ländern heute das gleiche Recht, die gleiche Chance verwehren?

Die Vervollständigung von Stromnetzen rund um die Welt und den globalen Zugang zu Elektrizität nicht nur als wünschbar, sondern als notwendig zu erkennen – hier wäre eine angemessene und positive Art von Nachhaltigkeit gefunden. Was geschieht stattdessen? Die Politiker der reichsten Länder machen die Eindämmung und Reduktion von CO2-Emmissionen zur obersten Priorität und hoffen, durch diese Art der Nachhaltigkeit Gespenster wie Klimaveränderung und globale Erwärmung zu bannen. Abgesehen davon, dass weder diese Phänomene selbst, noch die ihnen zugrundeliegenden kausalen Verkettungen erwiesen und verstanden sind, sei hier nur soviel festgehalten: Eine Politik, die den Zugang der ärmsten Regionen dieser Welt zu den für eine Verbesserung ihres Lebensniveaus notwendigen Ressourcen verhindert oder auch nur verzögert, ist weder aus ökonomischen noch aus «ethischen» Überlegungen heraus zu rechtfertigen. Die Möglichkeit solcher Verbesserungen steht der Dritten Welt realistischerweise nur über die fortgesetzte, preiswerte Nutzung fossiler Brennstoffe offen: Industrialisierung, Urbanisierung und Mobilität sind über erneuerbare Ressourcen schlicht nicht im erforderlichen Massstab zu haben.

Die Folgerung liegt auf der Hand. Solange wir auf der in Kyoto vorgezeichneten Linie bleiben, bewegen wir uns in die falsche Richtung. Während das Protokoll eine Substitution fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energiequellen gleich im Weltmassstab vorsieht und mit dringlichen Massnahmen durchsetzen will, mündet eine realistische Bestandesaufnahme in der Erkenntnis, dass dieser Prozess frühestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in relevantem Ausmass einsetzen kann. Bis ins Jahr 2050 wird sich der Beitrag erneuerbarer Ressourcen für das gesamte weltweite Energieangebot von heute gut 10 Prozent auf ungefähr 20 Prozent verdoppeln. Dieser Zuwachs dürfte dabei vornehmlich in Ländern induziert werden, die selbst nicht über fossile Brennstoffe verfügen und darum stärker an der Entwicklung alternativer Energiequellen interessiert sind. Beispiele im europäischen Raum sind Belgien, die Tschechische Republik, Frankreich, Schweden oder Deutschland; Chile, Paraguay und Uruguay in Südamerika; Japan, die Philippinen und Südkorea in Asien; schliesslich eine Reihe von Ländern in Schwarzafrika. Solchen Staaten ist die Sicherung der Energieversorgung auf kurze und mittlere Frist wichtiger und nicht die Sorge um klimatische Veränderungen in einer unbestimmten Zukunft. Erst nach 2050 dürfte das Interesse an erneuerbaren Ressourcen auch anderswo wachsen, weil Kohle und Erdöl allmählich knapper, damit aber teurer werden. Bis zum Jahr 2080 könnte der Anteil erneuerbarer Ressourcen am weltweiten Energieverbrauch auf 25 Prozent ansteigen, bis Anfang des nächsten Jahrhunderts auf 40 Prozent. Doch die Zahlen sagen es: selbst dann werden die fossilen «Klassiker» noch immer dominieren.

Dieser Artikel wurde von Christoph Frei aus dem Englischen übersetzt. Die Originalfassung mit zahlreichen Literaturhinweisen kann bei der Redaktion angefordert werden.

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Knappe Ressourcen

Der diese Zeilen schreibt, verdankt die erste Begegnung mit dem Thema Ressourcen dem Club of Rome. Als Teenager mit den «Grenzen des Wachstums» und einer Reihe düsterer Prognosen konfrontiert zu werden, hatte durchaus etwas Bedrückendes. Rohöl, Kupfer, Zinn: wie viele Jahre noch? Bis zur Klausur zumindest kannten wir die Antworten – und wussten fortan um […]

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