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«Das Individuelle ist das Schöne am Hut»

Hutmacher Julian Huber führt die Tradition eines fast vergessenen Handwerks weiter. Dem Huttragen will er zu einer Imagekorrektur verhelfen.

«Das Individuelle ist das Schöne am Hut»
Bild: Fabian Gull.

Julian Huber ist eine der wenigen Personen, die den Beruf des Hutmachers in der Schweiz noch ausüben. Er empfängt mich mit einem kecken Strohhut mit einem «Shit happens»-Sticker auf der Rückseite. Wir sind in einem Wohnquartier in Hägglingen, in der Aargauer Provinz. Doch was heisst hier Provinz? Im 19. Jahrhundert war das Freiamt Hochburg der Schweizer Strohhutmacherei. Ganze vier Fabriken gab es, mit bis zu 50 000 Mitarbeitern, viele davon in Heimarbeit, dieser Frühform des Homeoffice. Heute gibt es nur noch die Firma Risa in Hägglingen.

Den Beruf des Herrenhutmachers kann man heute gar nicht mehr erlernen, zumindest nicht in Form einer Berufslehre. «Am nächsten kommt da noch die Lehre als Modist», sagt der 39-Jährige. «Das ist Hutmacherei im Couture-Bereich, wie sie in Ascot noch getragen wird.» Doch dieses Verspielte sei nicht seine Welt, fügt er hinzu. Er hat sich seinen Beruf mehrheitlich selbst beigebracht: mit Fachbüchern, YouTube-Tutorials, einem Praktikum in Deutschland – und unzähligen Stunden Übung, die mittlerweile in jahrelange Erfahrung übergegangen sind.

Dampf als Hauptwerkzeug

Für Huber war schon früh klar, dass er einen handwerklichen Beruf erlernen will. Schliesslich entschied er sich für eine Lehre als Polymechaniker («eine super Grundausbildung») im grossväterlichen Kunststoffbetrieb. Dort lernte er, wie wichtig Präzision ist – heute unverzichtbar für das Formen, Nähen und Pressen seiner Hüte.

Viele seiner aus England und Italien stammenden Maschinen sind über 100 Jahre alt und kaum zu ersetzen. «Mein Hauptwerkzeug ist aber der Dampf», erklärt er, während er mit einem dampfenden Bügeleisen über einen Filzhut rast. In grossen Dampfkesseln, die an asiatische Garküchen erinnern, werden Materialien befeuchtet, bis sie dehn- und formbar sind – am Tag der offenen Tür garen darin auch schon mal Wienerli.

«Als Polymechaniker lernte er, wie wichtig Präzision ist – heute unverzichtbar für das Formen, Nähen und Pressen seiner Hüte.»

Huber und sein Team haben soeben die Arbeiten für die Sommerkollektion 2026 abgeschlossen. Nahtlos geht es in die Produktion der Winterkollektion über. «Wir haben den Anspruch, frisch zu sein, und bringen jedes Jahr eine neue Sommer- und Winterkollektion auf den Markt.» Sein Ziel: dem etwas verstaubten Image des Huts frischen Wind einzuhauchen. Dazu hat er Risa einen bunten, jugendlichen Auftritt verpasst. «Als ich anfing, machten wir noch schwarze Regenhüte für Marktfahrer. Heute entstehen hier wieder schöne Sachen», sagt er lachend.

Hochzeit im Strohmuseum

Huber ist nicht nur Handwerker, sondern auch Geschäftsführer und Mitinhaber von Risa, wie er beiläufig erwähnt. Die Firma beschäftigt 20 Mitarbeitende und hat zwei Läden – in Hägglingen und am Spalenberg in der Basler Altstadt. Zudem werden Fachgeschäfte im In- und Ausland beliefert.

Die Beratung der Kunden ist für ihn eine Herzensangelegenheit. Dazu braucht es Empathie und Begeisterung. Von beidem hat der rothaarige Häggliger nicht zu wenig. «Es gibt nichts Schöneres, als wenn ein Hut perfekt zu einer Person passt.» Seine Kunden sind dabei so bunt wie viele seiner eigenen dreissig bis vierzig Hüte (die genaue Anzahl ist ihm nicht bekannt): Kostümbildner, Musiker wie Büne Huber oder Endo Anaconda. Hinzu kommen vermehrt Spezialanfertigungen für Spitalclowns, Bundesweibel, Zünfte, Theater, Musicals und Kulturevents. Auch die Trommler des Top Secret Drum Corps setzen auf Design und Handwerkskunst aus Hägglingen. Ein Hut kostet zwischen 200 und 400 Franken.

Was zurzeit im Trend liege, will ich wissen. Der bei Jazzmusikern beliebte «Porkpie» sei sehr gefragt, sagt Huber. Und «Bucket Hats» («früher hat man Melchchäppli dazu gesagt») erleben in der Hip-Hop-Szene gerade ein Revival. Dazu würden Sonnenschutz- und Unisex-Modelle immer wichtiger, ergänzt Huber. «Das Individuelle ist das Schöne am Hut.» Rund 60 Prozent seiner Kunden sind derzeit Männer.

So, nun lasse ich ihn springen. Schliesslich heiratet der Mann in wenigen Tagen – wen überrascht’s – im Strohmuseum Wohlen. Ob er da einen Hut tragen werde? Er grinst: «Ehrensache. Aber ich muss ihn noch machen.»

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Das Licht brennt, das Gebäude steht, das Auto läuft wieder: Manuelle Arbeit hat etwas Befriedigendes. Bild: Keystone / Ennio Leanza
Resultate statt Identitätskrise

Ich wuchs in einer Sekte auf. Mein Job als Hilfselektriker lehrte mich, Verantwortung zu übernehmen. Die Klarheit des Tuns führt zu einer Klarheit des Denkens.

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