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Das Gegenteil von gut  ist gut gemeint
Beat Kappeler, zvg.

Das Gegenteil von gut
ist gut gemeint

Prinzipien für nachhaltige Anlagen suggerieren Nutzen für die Allgemeinheit. Darunter verbergen sich oft Beruhigungsmittel für das Gewissen, die der Privatwirtschaft den Schnauf abwürgen.

 

Drei Buchstaben fassen das Gutgemeinte zusammen – mit ESG (environmental, social, governance) wollen Firmen, Verwaltungen, Investmentfonds nachhaltig werden. Heere von Beratern formulieren, wie das gehen soll. Die Sensation des Guten unserer Zeit: Alle Ziele in Ökologie, Sozialem und Governance sind möglich, und nichts tut weh. Daran lassen die Verlautbarungen keinen Zweifel, «Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen» will etwa die Sprecherin der Energie-Agentur der Wirtschaft am 22. Juni am Radio. Die Credit Suisse nennt insgesamt 190 Seiten an vielfachen Governance-Richtlinien, denen sie sich unterstellt. Man stelle sich vor, sie will sogar die Menschenrechte achten! Alles wird gut. Die Grossbank schleppt allerdings mit den Pannen bei Greensill und Archegos Brüche in «Best Practice» hinter sich her, die sie ­international diskreditierten und nebenbei noch ein halbes ­Dutzend Milliarden verschleudern liessen.

Alle Firmen fassen solche uferlosen Grundsätze, manche ­verweisen der Einfachheit halber auf allgemeine Codes, wie jenen der Economiesuisse, der OECD, auf die Equator Principles oder hochstehende Klimaziele, auf UNO-Erklärungen, und der Papst dekretierte 2020 in «Fratelli tutti», dass das Privateigentum nicht dominieren solle. Viele gute Deklarationen fürs Allgemeine. Aber geht das so schmerzlos, und warum klappt es nicht auf dem ­Terrain?

Dilettantische Klimaziele

Beginnen wir mit dem grossen E, mit der environmental – ökologischen – Harmonie. Es ist unbestritten, dass seit dem neuen Jahrtausend die meisten Firmen ihren Energieverbrauch und den ­Ressourceninput senkten, mindestens pro hergestelltes Stück. Insgesamt sieht es weniger rosig aus, weil die Stückzahlen zunahmen, weil die Volkswirtschaften wuchsen: Da gleichzeitig die Dienste in diesen Volkswirtschaften zunahmen, da immer mehr Vorprodukte aus aller Welt importiert werden, ist die Bilanz schwierig. Auf der Verbraucherseite der Volkswirtschaften ist der Energiehahn immer noch offen. Nur gerade dank der Pandemie sank der Verbrauch letztes Jahr; in den letzten zwei Jahrzehnten haben der Privatverkehr, der private Energieverzehr in Heizkubaturen und Kühlungen alle Fortschritte der Industrie aufgefressen, denn an Primärenergie verbraucht Europa immer noch fast gleich viel. Ich schätze, dass die ganze Produktion der mit viel Aufwand, Subventionen und Propaganda in der Schweiz installierten Wind- und Solarenergie seither nur schon in neuen Klimaanlagen und Rolltreppen vergeben wurde. Komfort muss her.

Die hochgelobten Elektroautos wiegen zwei Tonnen, mehr als die alten Benzinkutschen. Es darf nicht ärmlich aussehen. Die grünen Wortführer auf der ganzen Welt versprechen, dass jede ökologische Anstrengung viele neue Arbeitsplätze bringen werde. Diese Gewinner des grossen E werden allerdings ihrerseits mehr fahren, heizen, kaufen – das fehlt in der Bilanz. Ausserdem stellten Forscher des University College in London fest, dass die enormen neuen Mengen klimaverbessernder Finanzmittel in Entwicklungsländern nicht genügend Projekte finden und nur die Kurse treiben. Es kommt zu einem «Investment Trap».1

Sodann sind die Regierungsakte zum grossen E oft dilettantisch, wie das 2021 glücklicherweise abgelehnte CO2-Gesetz in der Schweiz anschaulich zeigt: Einerseits trauen sich die Politiker zu, die Techniken zu bestimmen – sie verbieten Verbrennungs­anlagen, -motoren, bestimmen Grenzwerte aller Art. Andererseits verweisen sie die Grossverbraucher auf den CO2-Zertifikatshandel. Doch je erfolgreicher die technischen Massnahmen wirken, desto eher fällt der Preis des Zertifikats. Das nennt man den ­«Rebound», die zwei Hebel der Klimapolitik annullieren sich. Hohe, für alle Verbrauchsarten geltende Zertifikatspreise wären die Lösung, und die Nutzer suchen sich dann ihre Technik ohne Gebote und Verbote selbst aus. Aber man erkläre dies einmal ­einem Bürokraten oder Politiker, die immer den grössten Schreiern nachlaufen oder den neuesten ökologischen Einzelfall sofort durch allgemeine Regeln angehen.

Wer dank seines Alters die seit der Ölkrise 1973 gefassten ­Erklärungen, Eingriffe einerseits und den laufend zunehmenden Verbrauch andererseits beobachten kann, kommt auf ketzerische Gedanken: So wie alle Spinnen immer ihre Netze ausbauen, so geht die anthropologische Konstante des Menschseins auf ­«immer mehr». Damit wäre das grosse E lediglich eine beruhigende ­Heuchelei. Rettung naht von ganz anderer Seite, denn was der Historiker Pierre Chaunu und französische Demografen für möglich hielten, kündigt sich in neuesten Forschungen an: Die Menschheit wird langfristig abnehmen. Die Rivalität des schönen Konsumniveaus zum Kinderkriegen und die Steuerung der Fruchtbarkeit durch die Frauen selbst werden es schaffen. Damit dispensiert sich die Gesellschaft davon, den Verbrauch im Stück selbst zu drosseln – viel weniger einzelne schaffen das gesellschaftliche Reduktionsziel auch. Künftig wird die Welt mit Ruinen leben, wie das demografieschwache Italien nicht nur seit der ­Römerzeit, sondern heute schon mit überall aufgelassenen Fabriken, Infrastrukturen, Häusern. Falls es stimmt, dass eine menschenverursachte Klimaverschlechterung weiteren Schaden bringt, geht es einfach schneller.

Altbekannte Marktskepsis

Und nun zum grossen S – zu den Sozialzielen. Die gleiche Eleganz wie bei der Energie ziert auch diese Bestrebungen, das Adjektiv «sozial» kann ebenso wie «nachhaltig» mit allen anderen Begriffen verbunden werden, schmerzlos. Auf dem Terrain sieht es aber anders aus: Die alten Fragen stellen sich – wie viel Einkommen sollen Markt und Leistung zuteilen und wie viel die politischen Umverteilungen? An Markt und Meritokratie glauben immer ­weniger Zeitgenossen. Sie verkennen jedoch, dass die beklagten Einkommens- und Vermögensunterschiede nicht durch den Markt zustande kommen: Seit der Finanzkrise, eigentlich schon seit 1987, also seit des Fed-Chefs Alan Greenspans Zeiten, stellen die Notenbanken den Reichen dieser Welt eine Globalgarantie der Wertpapierkurse aus. Eine frivole Geldschöpfung und Nullzinsen verhelfen dazu; immer frivoler, weil die Wirkung neuer Geld­massen stetig sinkt. Dafür fehlt den kleinen Leuten, den Sparern und ihren Pensionskassen jedes Zinseinkommen. Noch nie aber war eine Konjunkturerholung so schwach wie seit der Finanzkrise: Die Geldschöpfung hat den Markt und seine Signale der Knappheit abgeschafft.

Nicht marktwirtschaftlich kommen auch die Boni und hohen «Entschädigungen» der Kader zustande: Die «Compensation Committees» der Firmen bestehen aus Kadern und Räten, die andernorts und in eigenen Funktionen sich reihum die Einkommenslatte immer höher legen, je mehr sie den Kadern zusprechen. Liesse man aber den Markt spielen, würden sich diese Boni und Superlöhne abbauen, falls neu die Stellen ausgeschrieben und wie Bauaufträge an denjenigen vergeben würden, der bei guten Qualifikationen den tiefsten Preis verlangt.

Die übrigen Sozialanliegen unserer Gesellschaften sind derart üppig im Arbeits-, Sozialversicherungs- und Subventionsrecht berücksichtigt, dass eher dieses einmal auf seine antisozialen ­Effekte hin durchzukämmen wäre.

Wuchernde Papiertiger

Das grosse G, die Governance, führt zu barockartigen Wucherungen der Papiere. Die Manager können sie gar nicht auswendig ­kennen. Manager stehen meist vor binären Situationen – den ­Kredit zu erteilen oder nicht, ohne die Ziselierungen der Governancepapiere anzuwenden. Manager, ganz wichtig, machen sich diese Papiere nicht selbst: Sie kaufen sie bei Consultants, bei ihren üppigen Kommunikationsabteilungen ein. Bei diesem Spiel geht es nämlich um dreierlei. Erstens greifen Medien und NGO die ­Firmen und Institutionen regelmässig und nach wechselnden ­Moden an – heute gerade ist der Vorwurf, vor langer Zeit mit Sklaverei verbandelt gewesen zu sein, sehr chic. Da auf allen Gebieten dazu nicht ausdrücklich formuliertes Recht gilt, sondern das «Soft Law» der vielen, nationalen oder internationalen «Declarations», glauben sich die Manager durch den Papierberg guten Willens ­abgesichert. Zweitens kehren die Vorwürfe an Firmen und Institutionen immer mehr die Beweislast um: Nicht die anklagenden Medien und NGO müssen beweisen, sondern die Institution, dass da gar nichts war. Das ist logisch unmöglich und rechtsstaatlich bedenklich. Aber man beweist stattdessen, dass man guten Willens dank G-Papieren ist und alles vorgekehrt hat. Drittens ­sichert sich der Manager persönlich ab – nicht er hat etwas veranlasst oder übersehen, sondern die «Best Practice» der G-Papiere legten es ihm nahe.

Lähmungserscheinungen der ESG-Flut

Die zunehmende Dichte von Umweltgesetzen (E), von Sozial­normen (S) und von Governancepapieren (G) lähmt allerdings die ganze Volkswirtschaft und Gesellschaft. NGO-Funktionäre, Juristen, Consultants beherrschen das Feld – und verdienen. Der ESG-Berater «Sphera» verfolgt die Anwendung der G-Papiere in den angeschlossenen Firmen durch eine automatisierte Kontrolle. Das aber, mit der Dichte der Regeln, friert die Abläufe ein, ritualisiert das Leben in den Institutionen, ersetzt jede Verantwortlichkeit durch das Abhaken von Kästchen. Wenn die Konzernstäbe nicht spontan über ihre G-Papierwülste lachen, entbehren sie des Realitätssinns wie der Selbstironie.

Je mehr die Wirtschaft und Gesellschaft versteinern, umso ­weniger dynamisch sind sie. Das betrifft vor allem die Firmen und Institutionen. Aber auch hier, wie bei der demografischen Ausdünnung des Planeten, darf man hoffen: Als Gegenreaktion wächst die «Gig Economy», also die auf dem Web und durch Apps vermittelte Welt eigener, selbständiger Dienste im persönlichen Verkehr, sie ist für die Wirtschaft erträglich und produktiv. Die einzelnen laufen den ESG-Normen davon.

  1. Nadia Ameli et al.: Higher Cost of Finance Exacerbates a Climate Investment Trap in Developing Economies. In: Nature Communications, 12 (2021).

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