
Das
Erklimmen
der Pyramide ist mühsam
Die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt lässt sich nur schwer bekämpfen. Sie ist oft Vorurteilen und impliziten Konventionen geschuldet.
Es steht ausser Frage, dass in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung gemacht wurden. Dass Frauen seit 50 Jahren das Stimmrecht in der Schweiz haben, ist ein untrüglicher Ausdruck dieser Verbesserung – auch wenn es im internationalen Vergleich natürlich sehr spät kam. Nicht minder wichtig ist, dass darüber hinaus gerade in globaler Perspektive viele weitere, lange bestehende Unterschiede zwischen Männern und Frauen verringert werden konnten: in der Gesundheit, in der Ausbildung und in der Politik. Zudem gibt es mittlerweile deutlich mehr Frauen in der Arbeitswelt, wobei hier die Unterschiede immer noch sehr gross sind, vor allem was die Führungsetagen anbelangt. An den Veränderungen zeigt sich auch, wie langsam der Fortschritt bisweilen ausfällt – und wie anfällig er für Rückschläge ist. In den entwickelten Ländern sorgte beispielsweise die Pandemie dafür, dass mehr Frauen als Männer den Arbeitsmarkt wieder verlassen haben, darunter vor allem Mütter kleiner Kinder. Ausserdem hat häusliche Gewalt zugenommen, ein Sachverhalt, der in den letzten Monaten aufgrund von Daten aus Krankenhäusern ans Licht kam.
Mittlerweile ist klar: Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt kann es ohne Gleichberechtigung zu Hause nicht geben – und umgekehrt. Lohnungleichheiten haben einen direkten Einfluss auf die Gleichstellung im Privaten. Nehmen wir als Beispiel ein Paar, in dem beide Friseure sind: Verdient der Mann 10 bis 20 Prozent mehr als seine Frau, stellt sich in der Regel die Frage nicht, wer sich auf dem Arbeitsmarkt weiterentwickeln soll. Dass es diesbezüglich Verbesserungen gegeben hat, ist oftmals das Resultat kreativer Lösungsversuche, die von manchen Staaten initiiert worden sind, um der Gleichberechtigung zu mehr Nachdruck zu verhelfen. Forschungsarbeiten aus Skandinavien etwa zeigen, dass Väter, die den Vaterschaftsurlaub in Anspruch nehmen, langfristig mehr Zeit mit ihren Kindern und im Haushalt verbringen werden, was sich wiederum gesellschaftlich positiv niederschlägt, was die Rolle von Männern und Frauen angeht.
In globaler Perspektive wird der Zusammenhang zwischen Eheleben und Arbeitsmarkt besonders deutlich. In Lateinamerika beispielsweise ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Bildung umgedreht worden. Dort gibt es inzwischen mehr Frauen mit tertiärer Ausbildung – das heisst mit Universitätsabschlüssen – als Männer. Das hat sich sowohl auf den Arbeits- wie auch auf den Heiratsmarkt ausgewirkt, da Männer oft eher Frauen ehelichen, die weniger gut ausgebildet sind als sie selbst, Frauen dies aber umgekehrt nicht tun. Gut ausgebildete Frauen und schlecht ausgebildete Männer bleiben daher eher alleinstehend. Auch in der Golfregion können mittlerweile viel mehr Frauen eine universitäre Ausbildung vorweisen als Männer. Dort hat man erkannt, dass der eigene Talentpool riesig ist, was dem Umstand, nicht genügend hochausgebildete Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben zu können – oder dass man solche nicht im Land haben möchte –, entgegenwirkt. Von einer Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist man aber noch weit entfernt. Dieser ist in Staaten wie Saudi-Arabien, wo Frauen erst kürzlich das Recht zum Autofahren erhielten, nach wie höchst segregiert.
Hartnäckige Unterschiede in Karriereverläufen
Ein weiteres Problem ist die Karriereentwicklung, die einen grossen Teil der Bruttolohnunterschiede zwischen Männern und Frauen ausmacht. Nach wie vor gibt es nur wenige weibliche CEOs und andere Höchstverdienende, genauso wie nur wenige männliche Kassierer im Supermarkt oder Krankenpfleger im Spital anzutreffen sind. Hier spielen Vorurteile, Diskriminierung und Stereotypen, die Frauenkarrieren beschränken oder verhindern und Männern die Berufswahl einschränken, weiterhin eine Rolle.
Dies führt zu einer Pyramide: Es gibt zwar viele Frauen am Karrierebeginn, aber immer weniger, die es tatsächlich ins mittlere Management schaffen – und noch weniger an die Spitze von Unternehmen. Ihr Aufstieg wird durch verschiedenste Faktoren verhindert. Oftmals sind die Vorurteile implizit und die Barrieren informell – der Chef, der nicht daran denkt, seine Mitarbeiterin vor dem Verwaltungsrat sprechen zu…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1092 - Dezember 2021 / Januar 2022 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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