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Das Erfolgsrezept der Schweiz ist, keines zu haben

Schon vor zwei Jahrhunderten fragten sich die Briten, warum Schweizer Firmen so wettbewerbsfähig sind. Die Antwort: weil der Staat sie machen lässt.

Das Erfolgsrezept der Schweiz ist, keines zu haben
Maschinenhalle von Escher Wyss in der Neumühle, 1875. Bild: Wikimedia Commons.

Im Jahr 2022 suchte der «Economist» nach einer Antwort auf die Frage, die andere Länder der Welt regelmässig fasziniert. Unter dem Titel «The Recipe for the Outperformance of Swiss Businesses» versuchte die Zeitschrift, das Geheimnis des Schweizer Erfolgs zu ergründen. Wie konnte dieses kleine Land mit seinem schwer zugänglichen Territorium, in dem es ausser Holz und Salz keinerlei natürliche Rohstoffe gibt, so erfolgreich werden?

In Grossbritannien war man schon lange an dieser Fragestellung interessiert. Sie wurde sogar schon vor der Gründung des «Economist» 1843 gestellt. Die Schweiz war damals ein völlig anderes Land als jenes, das wir heute kennen. Jedes Jahr verliessen mehr Menschen das Land als zuwanderten. Dennoch ist eine Dynamik in Gang gekommen. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Schweiz zu einem vorindustriellen Land, das seine Söldner durch Kaufleute ersetzte. Im Ausland konsolidierte sich ihr Ruf.

Erkenntnisse eines britischen Spions

In vielen Ländern der Welt stand England vor dem gleichen Problem: Die Qualität der Schweizer Maschinen war eine harte Konkurrenz. Das Preis-Leistungs-Verhältnis beeindruckte, warf aber auch Fragen auf. Wie fast zwei Jahrhunderte später erschien das «Schweizer Wunder» abstrus. Die Briten, die von diesem tapferen Konkurrenten ermüdet und verärgert waren, griffen zu ihrem letzten Mittel: Spionage. Sie schickten ein Mitglied des Parlaments in die Schweiz, um das Geheimnis dieser Erfolgsgeschichte aus den Bergen zu ergründen. Der Name dieses frühen Sherlock Holmes ist John Bowring. Er kam 1835 mit der festen Absicht an, mit den Zaubermitteln nach Hause zurückzukehren, welche die englische Industrie stärker als je zuvor machen würden.

Er erwartete, das zu finden, was anderswo normal ist: geniale staatliche Beihilfen und protektionistische Zölle. Nur eben raffinierter. Nachdem er die meisten Kantone besucht hatte, musste Bowring feststellen, dass dieses Land in Bezug auf staatliche Beihilfen und Regulierungen langweilig ist. Als er seine Beobachtungen zu Papier brachte, war eine Mischung aus Begeisterung über das, was er gesehen hatte, und Enttäuschung darüber, dass der Erfolg nicht einfach kopiert werden kann, zu spüren: «In der Schweiz hergestellte Waren sind auf allen wichtigen Märkten der Welt vertreten, und zwar aus einem einfachen, aber unbestreitbaren Grund: Die Industrie wurde sich selbst überlassen.» Mit anderen Worten: Das Erfolgsrezept der Schweiz besteht darin, keines zu haben. Der Industrie geht es hervorragend, weil … der Staat sie in Ruhe lässt.

«Nachdem er die meisten Kantone besucht hatte, musste Bowring
feststellen, dass dieses Land in Bezug auf staatliche Beihilfen und
Regulierungen langweilig ist.»

Was uns Swatch und Nespresso lehren

Bowrings Schlussfolgerung mag auf den ersten Blick wie eine Anekdote erscheinen, doch in Wirklichkeit ist sie symptomatisch für eine Geisteshaltung, die das Schweizer Modell bis heute durchdringt. Der Reichtum des Landes ist das Ergebnis einer langsamen und kurvenreichen Entwicklung. Mit Einbrüchen und Neuorientierungen, die manchmal brutal sind, etwa während der Uhrenkrise. Die Anpassung erfolgt im Zuge der technischen Entwicklungen und nicht aufgrund einer weitsichtigen staatlichen Strategie, die sich damit brüstet, die Sektoren der Zukunft zu identifizieren. Die Geschichte zeigt, dass der Staat in dieser Rolle oft ein kurzsichtiger Mensch ohne Brille ist.

Diese Skepsis gegenüber staatlicher Steuerung ist in der Schweiz besonders leicht zu erklären. Wie der Autor R. James Breiding sagt: «Welche Behörde, welches Planungsgremium hätte erahnen können, dass die Schweizer Uhrenindustrie durch eine Plastikuhr namens Swatch gerettet werden würde? Oder dass ein in Aluminiumkapseln gepresster Kaffee namens ‹Nespresso› ein weltweiter Erfolg werden würde?» Die Frage zu stellen, ist bereits eine Antwort.


Diese Kolumne erschien zuerst auf Französisch in «Le Temps».

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