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Das Erbe der Postmoderne: Islam
Ahmad A. Omeirate. Bild: Imago Images.

Das Erbe der Postmoderne: Islam

Der Orientalismusvorwurf.

 

1978 veröffentlichte der Literaturwissenschafter Edward W. Said sein wohl bekanntestes Buch «Orientalismus». Es sollte aufzeigen, wie «der Westen», «der Okzident» aus seiner damals hegemonialen globalen Position «den Orient» in all seinen verschiedenen Facetten als unterlegen und unterentwickelt wahrnehme. Dies habe seit der Orientalismusforschung des 19. Jahrhunderts nicht nur das Bild dieser Region nachhaltig beschädigt, sondern sie erneut dem Diktat des Westens unterworfen. Folglich sei «Orientalismus» sowohl in der Wissenschaft, der Kunst, den Medien als auch in der Politik allgegenwärtig – als eine Art neokolonialistisches Unterdrückungs­system.

Wann und wo genau dieser westliche Überlegenheitskomplex seinen Ursprung haben soll, konnte Said jedoch nicht eindeutig festmachen. Um seine Theorie zu untermauern, sprang er von den alten Griechen bis zum Imperialismus des 19. Jahrhunderts. Seine Abhandlung wirkt wie die Diagnose eines chronisch kranken Westens, der seine vermeintliche Erbpathologie von Generation zu Generation überträgt und eine Heilung nahezu unmöglich erscheinen lässt.

Fast 45 Jahre später erfreut sich Saids Diagnose in bestimmten Teilen der Gesellschaft nach wie vor grosser Beliebtheit und rief sogar eine eigene Wissenschaftsindustrie hervor. Anhänger dieser Theorie, die wie selbsternannte Heilpraktiker auftreten, wollen in der Literatur, Kunst- und Filmindustrie, den Berichterstattungen sowie der Politik immer noch eine europäische Kolonialherrschaft gegenüber «dem Orient» erkennen und diagnostizieren in Sprechchören einen inhärenten europäischen Rassismus.

Besonders bemerkbar machen sich solche Vorwürfe, wenn reaktionäre Islamverbände und deren antiquierte Weltbilder in der Kritik stehen, die die Religion regelmässig als Herrschaftsinstrument missbrauchen oder antisemitische Narrative tradieren. Von postmodernen Therapeuten der Gegenwart wird Kritik hieran allerdings mit den Chiffren «Islamophobie», «Islamfeindlichkeit» und «antimuslimischer Rassismus» abgetan. Damit wird Muslimen zugleich abgesprochen, die Allgemeingültigkeit von Menschen- und Frauenrechten sowie Freiheits- und Autonomierechten einfordern zu dürfen. Denn vordergründig geht es darum, der westlichen Welt weiterhin die angebliche Erbkrankheit zu attestieren.

 

«Für die Jünger des Orientalismus gilt als oberstes Credo, dem Westen eine Unfähigkeitsbescheinigung auszustellen.»

 

Von solchen Scharlatanakademikern wird bereits der Hinweis auf die Proteste von Iranerinnen gegen den Kopftuchzwang in der Mullah-Diktatur, auf die stetigen Menschenrechtsverletzungen totalitär-islamistischer Autokraten im Nahen Osten oder auf die Fatwa gegen den Autor der «Satanischen Verse», Salman Rushdie, der seit 1989 unter Lebensgefahr mit der iranischen Todesdrohung im Rücken lebt und 2022 bei einem Attentat schwer verletzt worden ist, als Geste westlicher Hegemonie interpretiert. Mit der Rede vom «antimuslimischen Rassismus» relativieren sie nicht nur autoritäre Zustände, in denen sie selbst niemals leben wollen würden, sondern offenbaren ihre Ignoranz gegenüber den Entwicklungen im Nahen Osten, die die Menschen dort tagtäglich beschäftigen. Denn für die Jünger des Orientalismus gilt als oberstes Credo, dem Westen eine Unfähigkeitsbescheinigung auszustellen. Nicht nur, dass diese Art des antiwestlichen Denkens in sich rassistisch ist – es unterteilt fein säuberlich in ewige Täter und ewige Opfer –, es offenbart auch das Minderwertigkeitsgefühl, das die Verkünder von Saids Lehre gegenüber dem Westen und seiner Literatur, Kunst und Kultur verspüren.

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