Das Bundesgericht torpediert die Vereinsfreiheit
Schweizer Universitäten dürfen nun offiziell (wenn sie denn wollen) Männerverbindungen wie die Zofingia ablehnen

Das Bundesgericht hat entschieden. Sollten Frauen weiterhin nicht zugelassen werden, können Studentenverbindungen wie die Zofingia, bei der seit 1819 nur Männer zugelassen sind, die Anerkennung der Universität verlieren. Der Entscheid betrifft vorerst nur die Zofingia in Lausanne, hat aber gesamtschweizerische Strahlkraft. Mit diesem richterlichen Federstrich wird somit die Vereinigungsfreiheit in Frage gestellt.
Die Zofingia entstand in einer Zeit, die von liberalen Idealen durchdrungen war. Diese Burschenschaften und Verbindungen standen im Visier der Metternich’schen Repression, weil ihre protodemokratischen Werte als gefährlich galten. Es waren denn auch eben diese Ideale, die 1847/48 zu Revolutionen in ganz Europa führten und in der Schweiz den Grundstein für die moderne Bundesverfassung legten. Die Protagonisten der frühen Zofingia zählen zu den Vordenkern der modernen Schweiz.
Ein gefährlicher Präzedenzfall
Als Mitglied einer ähnlichen Bruderschaft erlebe ich täglich die Liberalität solcher Vereine. Regelmässig laden wir Frauen – Professorinnen, Künstlerinnen, Politikerinnen – als Gastrednerinnen ein. Wir suchen den Austausch, wir lernen von ihnen.
Die Befürworter des Bundesgerichtsentscheids argumentieren, dass universitär anerkannte Organisationen allen Studierenden offenstehen sollten. Sie sehen in der Exklusivität eine Fortsetzung historischer Ungleichheiten und betonen, dass gerade die in Verbindungen geknüpften Netzwerke später im Berufsleben Vorteile verschaffen können. Diese Sichtweise verkennt jedoch die Realität. Berufliche Netzwerke und Lobbyplattformen gibt es in der Schweiz zuhauf – wer solche Vorteile in einer Bruderschaft sucht, wird schnell enttäuscht werden. Diese Gemeinschaften sind keine Karrieresprungbretter, sondern Orte der Geselligkeit, der Freundschaft und des intellektuellen und ethischen Austauschs.
Das Urteil öffnet eine Büchse der Pandora. Was kommt als Nächstes? Müssen die Freimaurerlogen der Grossloge Alpina, die seit 1844 nur Männer akzeptieren, ihre Türen nun für Frauen öffnen? Müssen katholische Kirchgemeinden Frauen als Priester zulassen? Müssen Moscheen Frauen als Imame akzeptieren? Es wird viel Arbeit auf die Bundesrichter mit ihren Rotstiften zukommen, wenn sie all diese Grenzen neu ziehen müssen.
Neue Ideen statt Verbote
Vereine – egal ob sie männerexklusiv, frauenexklusiv oder LGBTQ-exklusiv sind – beschneiden niemandem seine Freiheiten oder Grundrechte. Die Vereine sollen selber über Sinn oder Unsinn ihrer Exklusivität streiten, und das tun sie bereits: Manche haben sich von ihr verabschiedet, andere nicht.
«Das Urteil öffnet eine Büchse der Pandora.
Es wird viel Arbeit auf die Bundesrichter mit ihren Rotstiften zukommen.»
Es gibt auch Wege, wie man Gleichstellung fördern kann, ohne das Bestehende per Diktat ändern zu wollen – nämlich mit neuen Ideen, die das Alte herausfordern. Nehmen wir das Beispiel meiner Freundin Seyran Ateş. Die deutsche Anwältin, Autorin und Frauenrechtlerin gründete die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. Seyran wollte zeigen, dass auch andere Interpretationen des Islams möglich sind, etwa mit Frauen als Imaminnen und einer Moschee als sicherem Raum für LGBTQ+-Personen.
Dabei dämonisiert sie traditionelle Moscheen (die 99,9 Prozent ausmachen) ausdrücklich nicht. Sie will nicht per Dekret Moscheen und Gläubigen aller Länder vorschreiben, wie sie ihre Gebete zu führen haben. Sie will einfach zeigen, dass niemand die alleinige Deutungshoheit über religiöse Praktiken hat.
Richter sollten nicht Vereine per Dekret ändern, sondern garantieren, dass sie in ihrer Form existieren dürfen, auch wenn sie von anderen als blasphemisch angesehen werden. Nur so darf Seyran ihre aufklärerische Moschee weiterführen.