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Das 51. Gremium soll es  richten? Die im Nachgang der Pandemie vorgeschlagenen  Föderalismusreformen sind der falsche Weg
Michael Strebel, zvg.

Das 51. Gremium soll es
richten? Die im Nachgang der Pandemie vorgeschlagenen
Föderalismusreformen sind der falsche Weg

In der Coronakrise harzte die Koordination zwischen Bund und Kantonen zuweilen. Deshalb ein neues Exekutivgremium zu schaffen, ist allerdings eine schlechte Idee.

Auf Bundes- und Kantonsebene wird derzeit der Umgang mit der Coronapandemie evaluiert. Einige der Berichte sind inhaltlich ein Gewinn, andere scheinen eine «Alibiübung» zu sein – mit der Hauptaus­sage, alles sei bestens gelaufen und nichts zu überdenken.

Ein Aspekt der Aufarbeitung betrifft die Koordination zwischen Bund und Kantonen sowie zwischen den Kantonen untereinander. Dabei rücken die Regierungs- und Direktorenkonferenzen in den Fokus. Während der Bekämpfung der Pandemie standen insbesondere zwei Gremien im politischen und medialen Scheinwerferlicht: die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) und die Schweizerische ­Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). Zwei von vielen.

Eine helvetische Einzigartigkeit

Je nach Zählweise bestehen bis zu 50 solcher Exekutiv­gremien, ohne Berücksichtigung länderübergreifender und im Rahmen eines spezifischen Konkordats geschaffener Exekutivgremien. Im internationalen Vergleich ist diese Anzahl einzigartig. Die Konferenzen zeichnen sich durch eigene Kompetenzen und Zuständigkeiten aus, sie haben erheblichen Einfluss und de facto weit­reichende Entscheidungsbefugnisse. Sie sind zu einem bedeutenden politischen (Macht-)Faktor geworden.

Mit der Pandemie kamen enorme Herausforderungen auf die Behörden aller drei Staatsebenen zu. Ohne ­Erfahrungswissen und unter grossem Zeitdruck galt es die Krise zu managen. Der Einsatz war vielerorts immens. Vieles lief gut, manches kann verbessert werden – das ist in einer aussergewöhnlichen Situation normal. Auch wenn die Schweiz besser als andere Länder durch die Pandemie gekommen ist, sollten Aspekte der Krisen­bewältigung, die nicht gelungen waren, identifiziert und Massnahmen zur Verbesserung diskutiert werden. Allerdings werden auch Lösungsansätze vorgeschlagen, die potentiell eine Verschlimmbesserung und staatspolitisch kritisch sind.

Eine Erkenntnis mancher Berichte lautet, dass die Koordination zwischen den Kantonen sowie zwischen diesen und dem Bund ungenügend war. Im Verlauf der Pandemie zeigte sich immer wieder, dass es mit den bestehenden Strukturen nicht möglich war, rasche und breit abgestützte Entscheidungen zwischen den Kantonen herbeizuführen (Evaluation Aargauer Regierung1). Auf interkantonaler Ebene fehlte ein Gesamtüberblick über das Krisenmanagement. In den meisten Fällen stimmten sich die gesamtschweizerischen interkantonalen Konferenzen nur in spezifischen Bereichen untereinander ab. Es war nicht immer klar, wie die Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen den Konferenzen verteilt waren. In der besonderen Lage führte dies teilweise zu Koordinationsproblemen zwischen den einzelnen Konferenzen (Evaluation Interface2, KdK3).

Auf Basis dieser Erkenntnisse werden nun neue, zusätzliche Exekutivgremien ins Spiel gebracht:

– Die KdK fordert in ihrem Zwischenbericht zum Krisenmanagement, für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen solle «künftig ein schlankes und paritätisch zusammengesetztes Führungsgremium auf politischer Ebene eingesetzt werden, das die geteilte Verantwortung der Staatsebenen adäquat abbildet. Dieses Gremium könnte eine umfassende und kohärente Koordination sicherstellen, regelmässig Lagebeurteilungen vornehmen und die Grundlagen für klare und rasche Entscheide von Bundesrat und Kantonsregierungen erarbeiten.»4

– Im Schlussbericht wird es allerdings etwas temperierter: Im Hinblick auf künftige Krisen sollten der Bundesrat und die Kantonsregierungen gemeinsam prüfen, wie der Austausch über bestehende Strukturen gewährleistet und gestärkt werden könne, heisst es. «Ergänzend dazu soll ein permanenter und departementsübergreifender Krisenstab des Bundes auf operativer Ebene und unter Einbezug von Kantonsvertretungen die Vorbereitung von Grundlagen für politische Entscheide auf Bundesebene sicherstellen.»5

– Und mit Blick auf die Konferenzen: «Die gesamtschweizerischen interkantonalen Konferenzen richten in der Krise auf Fachebene ein ständiges Koordinationsgremium ein, das den Informationsaustausch und die Abstimmung unter den Konferenzen sowie zwischen den Konferenzen und den Kantonen unterstützt und zu einer ganzheitlichen Krisenbewältigung beiträgt.»

– Im April stellte die Aargauer Regierung ihren Corona-­bericht dem Parlament zu. Es sei zu prüfen, «welche Möglichkeiten bestehen, um zusammen mit dem Bund und den Kantonen effiziente interkantonale Steuerungs- und Koordinationsinstrumente sowie -gremien zu schaffen, welche die Bewältigung künftiger Krisensituationen fördern».6

Solche Vorschläge beflügeln Diskurse, und ich möchte den Wunsch nach guter Zusammenarbeit und Koordination auch nicht kritisieren. Regierungskonferenzen sind (notwendige) Bestandteile eines föderalen Staates – gerade in der Schweiz, wo die Kleinräumigkeit und die Realitäten der heutigen Zeit die Möglichkeiten der Kantone zur alleinigen, eigenständigen Gestaltung vieler Politikbereiche schnell übersteigen. Die horizontale wie auch die (in Teilen) vertikale exekutive Verflechtung haben jedoch ein Ausmass angenommen, das sich nicht mehr handhaben lässt. Die Zuständigkeiten der verschiedenen politischen Institutionen sind nicht mehr klar definiert, und die notwendige Koordination erfolgt nur unzureichend. Zudem muss hinter die Effizienz und Effektivität des jetzigen Systems ein Fragezeichen gesetzt werden.

Hat nicht die Pandemie gezeigt, dass die Konferenzen oft nicht in der Lage waren, rasche und breit abgestützte Entscheidungen zwischen den Kantonen herbeizuführen? Zudem verlangten im Frühling 2021 die Kantonsregierungen und die KdK vom Bundesrat, bei schweizweiten Massnahmen vom Konsultationsverfahren über die GDK abzusehen (zugunsten des ordentlichen Konsultationswegs über alle Staatskanzleien).7

Wenn dem Befund der ungenügenden Koordination also zugestimmt wird – wie dies z.B. die Aargauer Regierung in ihrem Bericht tat –, dann sollte als Konsequenz das bisherige System der Konferenzen einer Analyse unter­zogen werden. Die Absicht, wie bisher weiterzumachen oder gar neue Gremien auf der gleichen Grundlage zu schaffen, ist keine angemessene Reaktion.

Keine zusätzliche Ebene

Dies führt zu einer bereits bekannten Frage, welche durch die Pandemie erneut in den Fokus rückt: die Frage der Legitimität. Auf welcher gesetzlichen Grundlage beruht die interkantonale exekutive Zusammenarbeit? Sind diese ­Basis und die der Konferenzen ausreichend? Dies führt zum nächsten Punkt: Ein neues Gremium bedürfte zwingend einer verfassungsrechtlichen Grundlage – insbesondere, wenn dessen Zweck die Bewältigung einer Krisensituation sein soll. Staatspolitisch ist jedoch darauf zu achten, dass nicht eine neue institutionelle Ebene zwischen Bund und Kantonen entsteht. Diese Gefahr besteht bereits mit den existierenden Gremien. Eine weitere Frage, die sich stellt: Ist es über alle Kantonsregierungen hinweg Konsens, dass ein Gremium für sie, für alle 26 Kantone, sprechen darf? Die KdK empfiehlt den Kantonen – im Grunde genommen also sich selbst und den Regierungs­kolleginnen und -kollegen –, die Koordination im Rahmen der Regierungs- und Direktorenkonferenzen zu stärken. Es geht dabei nicht nur um eine reine Information; die Kantonsregierungen haben eine politische Gesamt- und eine politische (kollegiale) Führungsverantwortung, und diese gilt es (auch) im Hinblick auf die interkantonale Politik wahrzunehmen.

Gewiss kann nach einer Prüfung eine weitere exe­kutive Zusammenarbeit mit einem neuen Gremium proklamiert werden. Allerdings: Warum soll nun das – sagen wir – 51. Gremium das leisten können, was den bereits bestehenden nicht möglich war? Anders ausgedrückt: Wie können oder sollen es die gewünschte Koordination, Zusammen­arbeit und notwendige Massnahmen ohne wirklich grundlegende Veränderungen am jetzigen System besser erreichen als die bereits existierenden?

Zwei Vorschläge für grundlegende staatspolitische Reformen sollen hier als Beispiele genannt werden, um zu weiteren Diskussionen anzuregen: Erstens Gebietsreformen mit dem Ziel, neue «Kantone» zu schaffen, die gross genug sind, um die ihnen übertragenen Kompetenzen tatsächlich selbständig zu erfüllen. Zweitens: Den Ständerat zu einer wirklichen Kantonskammer umgestalten, so dass die Kantone direkt und unmittelbar bei der nationalen Willensbildung und Gesetzgebung mitwirken können. Andere Reformen könnten ebenfalls zum Ziel führen, das Funktionieren des schweizerischen Föderalismus zu verbessern.

Vielleicht könnte man ja ein Gremium bilden, das den Auftrag hätte, weitere Gremien abzuwenden…

  1. Aargauer Regierung (2022): Reflexionsprozess Kanton Aargau zur Covid-19-Pandemie; Analyse und Sicherung der Erkenntnisse; Erkennen von Handlungsbedarf («Corona-Bericht»), S. 55.

  2. Interface (2022): Auswertung Krisenmanagement der Bundesverwaltung (2. Phase). Resultate als Grundlage für die Erstellung des Berichts: Arbeitsdokument zuhanden der Bundeskanzlei, S. 40.

  3. KdK (2022): Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19-Epidemie: Schlussfolgerungen und Empfehlungen, S. 18.

  4. KdK (2020): Covid-19-Pandemie: Das Krisenmanagement in der ersten Welle aus Sicht der Kantone (Zwischenbericht), S. 26; Christian Rathgeb (27.5.2021). Es gilt den Föderalismus krisenfester zu machen. Neue Zürcher Zeitung, S. 20.

  5. KdK (2022): Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19-Epidemie: Schlussfolgerungen und Empfehlungen, S. 18.

  6. Aargauer Regierung (2022): «Corona-Bericht», S. 55.

  7. Bundeskanzlei (2022): Bericht zur Auswertung des Krisenmanagements der Bundesverwaltung in der Covid-19-Pandemie (2. Phase / August 2020 bis Oktober 2021), S. 23.

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