
Das 51. Gremium soll es
richten? Die im Nachgang der Pandemie vorgeschlagenen
Föderalismusreformen sind der falsche Weg
In der Coronakrise harzte die Koordination zwischen Bund und Kantonen zuweilen. Deshalb ein neues Exekutivgremium zu schaffen, ist allerdings eine schlechte Idee.
Auf Bundes- und Kantonsebene wird derzeit der Umgang mit der Coronapandemie evaluiert. Einige der Berichte sind inhaltlich ein Gewinn, andere scheinen eine «Alibiübung» zu sein – mit der Hauptaussage, alles sei bestens gelaufen und nichts zu überdenken.
Ein Aspekt der Aufarbeitung betrifft die Koordination zwischen Bund und Kantonen sowie zwischen den Kantonen untereinander. Dabei rücken die Regierungs- und Direktorenkonferenzen in den Fokus. Während der Bekämpfung der Pandemie standen insbesondere zwei Gremien im politischen und medialen Scheinwerferlicht: die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) und die Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). Zwei von vielen.
Eine helvetische Einzigartigkeit
Je nach Zählweise bestehen bis zu 50 solcher Exekutivgremien, ohne Berücksichtigung länderübergreifender und im Rahmen eines spezifischen Konkordats geschaffener Exekutivgremien. Im internationalen Vergleich ist diese Anzahl einzigartig. Die Konferenzen zeichnen sich durch eigene Kompetenzen und Zuständigkeiten aus, sie haben erheblichen Einfluss und de facto weitreichende Entscheidungsbefugnisse. Sie sind zu einem bedeutenden politischen (Macht-)Faktor geworden.
Mit der Pandemie kamen enorme Herausforderungen auf die Behörden aller drei Staatsebenen zu. Ohne Erfahrungswissen und unter grossem Zeitdruck galt es die Krise zu managen. Der Einsatz war vielerorts immens. Vieles lief gut, manches kann verbessert werden – das ist in einer aussergewöhnlichen Situation normal. Auch wenn die Schweiz besser als andere Länder durch die Pandemie gekommen ist, sollten Aspekte der Krisenbewältigung, die nicht gelungen waren, identifiziert und Massnahmen zur Verbesserung diskutiert werden. Allerdings werden auch Lösungsansätze vorgeschlagen, die potentiell eine Verschlimmbesserung und staatspolitisch kritisch sind.
Eine Erkenntnis mancher Berichte lautet, dass die Koordination zwischen den Kantonen sowie zwischen diesen und dem Bund ungenügend war. Im Verlauf der Pandemie zeigte sich immer wieder, dass es mit den bestehenden Strukturen nicht möglich war, rasche und breit abgestützte Entscheidungen zwischen den Kantonen herbeizuführen (Evaluation Aargauer Regierung1). Auf interkantonaler Ebene fehlte ein Gesamtüberblick über das Krisenmanagement. In den meisten Fällen stimmten sich die gesamtschweizerischen interkantonalen Konferenzen nur in spezifischen Bereichen untereinander ab. Es war nicht immer klar, wie die Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen den Konferenzen verteilt waren. In der besonderen Lage führte dies teilweise zu Koordinationsproblemen zwischen den einzelnen Konferenzen (Evaluation Interface2, KdK3).
Auf Basis dieser Erkenntnisse werden nun neue, zusätzliche Exekutivgremien ins Spiel gebracht:
– Die KdK fordert in ihrem Zwischenbericht zum Krisenmanagement, für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen solle «künftig ein schlankes und paritätisch zusammengesetztes Führungsgremium auf politischer Ebene eingesetzt werden, das die geteilte Verantwortung der Staatsebenen adäquat abbildet. Dieses Gremium könnte eine umfassende und kohärente Koordination sicherstellen, regelmässig Lagebeurteilungen vornehmen und die Grundlagen für klare und rasche Entscheide von Bundesrat und Kantonsregierungen erarbeiten.»4
– Im Schlussbericht wird es allerdings etwas temperierter: Im Hinblick auf künftige Krisen sollten der Bundesrat und die Kantonsregierungen gemeinsam prüfen, wie der Austausch über bestehende Strukturen gewährleistet und gestärkt werden könne, heisst es. «Ergänzend dazu soll ein permanenter und departementsübergreifender Krisenstab des Bundes auf operativer Ebene und unter Einbezug von Kantonsvertretungen die Vorbereitung von Grundlagen für politische Entscheide auf Bundesebene sicherstellen.»5
– Und mit Blick auf die Konferenzen: «Die gesamtschweizerischen interkantonalen Konferenzen richten in der Krise auf Fachebene ein ständiges Koordinationsgremium ein, das den Informationsaustausch und die Abstimmung unter den Konferenzen sowie zwischen den Konferenzen und den Kantonen unterstützt und zu einer ganzheitlichen Krisenbewältigung beiträgt.»
– Im April stellte die Aargauer Regierung ihren Corona-bericht dem Parlament zu. Es sei zu prüfen, «welche Möglichkeiten bestehen, um zusammen mit dem Bund und den Kantonen effiziente interkantonale Steuerungs- und Koordinationsinstrumente sowie -gremien zu schaffen, welche die Bewältigung künftiger Krisensituationen fördern».6
Solche Vorschläge beflügeln Diskurse, und ich möchte den Wunsch nach guter Zusammenarbeit und Koordination auch nicht kritisieren. Regierungskonferenzen sind (notwendige) Bestandteile eines…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1100 - Oktober 2022 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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