Damoklesschwert 50
Den Tag pflücken oder Angst haben – was darf es sein?
«Und dann hat sie ihre Journalistenkarriere einfach hingeschmissen…», sagte kürzlich ein Journalist des WDR-Radios über mich, als er mein neustes Buch vorstellte. Er berichtete mit solch enthusiastischer Begeisterung über meine Kündigung, dass meine Mutter glaubte, der Mann wolle mich womöglich heiraten. Auch wenn der Schritt in die Selbständigkeit täglich von Menschen gewagt wird, scheint die Aufgabe eines vermeintlich sicheren Jobs grossen Eindruck zu machen: Freunde, Bekannte und gar Unbekannte treten immer wieder an mich heran, um mich nach Rat zu fragen. Ich glaube, dass sie vor allem auf der Suche nach einer Mutmacherin sind. Noch lieber fänden sie gleich jemanden, der ihnen die Entscheidung abnimmt. Nur muss man den Mut dafür allein aufbringen. Und das wird nicht einfacher, je länger man zuwartet.
«Ich bin jetzt über 50», sagte ein Freund, der den gleichen Job macht, den ich auch mal machte. «Wenn ich kündige, finde ich nie wieder eine Stelle.» Gleichzeitig erzählte er mir, dass er das Wochenende nicht mehr geniessen könne vor lauter Kummer und Kopfschmerzen darüber, dass er am Montag wieder auf die Redaktion müsse. Er ist unglücklich. Und trotzdem ist er nicht imstande, etwas daran zu ändern: Zu gross ist seine Angst, die Stelle und somit die Sicherheit aufzugeben. Also habe ich ihm von meinen anderen Freunden erzählt.
Vom Ingenieur, der ein Leben lang Kläranlagen entwickelt hat – und mit 54 die Ausbildung zum Lehrer für Behinderte begonnen hat. Vom IT-Entwickler, 52, der sich erst als Gleitschirmpilot selbständig gemacht hat und seit Anfang Jahr zudem in einem Heim für Schwererziehbare arbeitet. Und von jenem Kadermann eines Bundesamts, der mit 51 umgestiegen ist: Er wird jetzt Postautochauffeur.
Ja, es ist ein Risiko, sich im Alter von 50 beruflich neu zu orientieren. Doch viel zu oft wird dabei vergessen, dass das ganze Leben nichts anderes ist als ein grosses Risiko. Es ist viel zu rasch vorbei. Fatal also, sich von der Angst den Weg zum Glücklichsein versperren zu lassen.