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Dada-Base

Das internationale DadaArchiv der Universität Iowa Es sind nicht etwa die Historiker, die sich heutzutage vor allem für die Dada-Dokumente interessieren, sondern die experimentellen Künstler. Doch das auf säurehaltigem Papier gedruckte Dada-Erbe zerfällt. Die Universität von Iowa hat daher ein digitales, ständig wachsendes Archiv angelegt.

Es scheint ein Widerspruch zu sein, Dada archivieren zu wollen. Denn Dada war die Avantgarde-Bewegung, welche gerade die bürgerliche Kunst mitsamt ihren Museen und allzu frommen Ewigkeitsansprüchen radikal in Frage stellte. Tristan Tzara wollte höchstens Kunst als Ausdruck der anarchischen Lebensprozesse erkennen. Wie kann man da auf die Idee kommen, diese lebendige Anarchie auf Eis zu legen und sie archivarisch erstarren zu lassen?

Vielleicht gibt es wenigstens zwei Gründe für die Notwendigkeit einer Dokumentation der Dada-Bewegung. Dada hat die Künstler nach 1945 gewaltig angesprochen. Wenn wir an Lettrisme, Fluxus, Pop- und Op-Art, Conceptual Art, Minimalismus und Performance Art denken, so können wir die Bedeutung von Dada für die Kunst des 20. Jahrhunderts kaum überbewerten. Dada scheint auch heute noch Künstler anzuregen, während der Kubismus und andere Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts bereits als mehr oder weniger abgeschlossene Stationen der Moderne dastehen. Noch viel mehr als Kunst- und Literaturhistoriker sind es Künstler, die sich heute noch für die Dada-Dokumente interessieren. Und es sind vor allem die experimentellen Musiker, Dichter, Stückeschreiber und Filmemacher, welche die Spuren dieser Bewegung aufsuchen, Spuren, die Greil Marcus in seinem Buch «Lipstick Traces» von Dada bis Punk Rock aufzeigte.

Der zweite Grund besteht darin, dass Veröffentlichungen dieser Bewegung in der Form von Zeitschriften, Programmen, Flugblättern und Büchern auf säurehaltiges Papier während und unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg gedruckt wurden, so dass sie heute buchstäblich zerfallen. Eine Dokumentation dieser Bewegung bewahrt diese Texte in einem andern Medium für die heutigen Künstler auf.

Trotz des grossen Interesses für Dada gab es kein Museum oder keine Bibliothek, welche diese Bewegung dokumentarisch erfasste. Fluxus-Leute mussten Raoul Hausmann in Limoges besuchen oder Eintritt in Tzaras riesige Dada-Sammlung erbitten, um seltene Dada-Dokumente zu sehen. Ironischerweise hatte nämlich Tzara, der sich gegen jegliche museale Form auflehnte, selber jedes Flugblatt und jede Veröffentlichung bis zum Visitenkärtchen sorgfältig aufbewahrt. Er engagierte sogar zur Dada-Zeit drei Zeitungsausschnittdienste, die ihm jede veröffentlichte Notiz über Dada zuschickten, die er dann sorgfältig und chronologisch in seinen Ordnern aufbewahrte.

Urlaub mit der Mikrofilmmaschine

Um die vielen Dada-Dokumente leichter zugänglich zu machen, beschlossen vor allem Künstler, die am internationalen Dada-Symposium im Jahre 1978 an der Universität von Iowa teilgenommen hatten, eine Dokumentationsstelle einzurichten. Sie wählten dazu die Universität von Iowa, weil sich an dieser Staatsuniversität mit 30 000 Studenten viele Künstler, Musiker, Tänzer, Filmemacher und Schriftsteller für Dada interessierten und vom Rektorat, Dekanat und der Universitätsbibliothek die Unterstützung für eine solche Dokumentation erhielten.

Die hohen Preise, das geringe käufliche Angebot an Publikationen und der oft zerbrechliche Zustand der Dokumente regten uns bald an, die Dada-Bewegung durch Mikrofilme zu erfassen. Mit der Unterstützung des amerikanischen Nationalfonds und der Jerome Foundation, einer privaten Stiftung in Minneapolis, reiste ich während sechs Jahren in meinen Ferien mit meiner tragbaren Mikrofilmmaschine, die mir manchmal wie eine mechanische Braut vorkam, von Sammlung zu Sammlung. Ich filmte Briefe, Zeichnungen, Collagen, Entwürfe, seltene Ausstellungskataloge und Dada-Veröffentlichungen auf Küchentischen von ehemaligen Freundinnen und Freunden, von Töchtern und Söhnen der Dadaisten. Ich klopfte bei privaten Sammlern wie Hans Bolliger in Zürich an, der unser Projekt immer grosszügig unterstützte. Im Jahre 1982 filmte ich mit Regierungserlaubnis sogar Dada-Dokumente im damaligen Ostberlin.

Als ich erfuhr, dass das Getty Institute in Los Angeles eine Dada-Sammlung mit Manuskripten vom «Oberdada» Johannes Baader erstand, flog ich hin und filmte. Die öffentlichen Sammlungen wie das Museum of Modern Art in New York, das Deutsche Literaturarchiv in Marbach, die Berlinische Galerie und die Akademie der Künste in Berlin erkannten die Notwendigkeit, die zerfallenden Dada-Publikationen durch Mikrofilme aufzubewahren. Viele private Sammler begrüssten unsere Bemühungen, da sie hofften, in Zukunft die zahlreichen Anfragen an das Archiv in Iowa weiterleiten zu können. Insgesamt filmte ich über dreissig öffentliche und private Sammlungen. Timothy Shipe, der Kurator des Archivs, analysierte die bis zu eintausend Aufnahmen, die jede von mir gefilmte Mikrofilmrolle enthielt, erstellte ein Inventar für jede gefilmte Sammlung und Karteikärtchen für jedes gefilmte Dokument.

Von der Karteikarte ins Internet

1980 beschloss die Bibliothek der Universität von Iowa alle Neuerscheinungen über Dada anzuschaffen, seien es Ausstellungskataloge, Bücher, neue Ausgaben oder Aufsätze. Wie der ältere Bestand der Bibliothek wurden auch diese neuen Veröffentlichungen analysiert und auf einem Karteikärtchen festgehalten. Im Jahre 2000 entschieden wir schliesslich, die 50 000 Karteikarten des Dada-Archivs in abrufbare Daten des Internets zu verwandeln. Inzwischen kann der gesamte Bestand des Archivs über die Webadresse www.lib.uiowa.edu/dada eingesehen werden. Hier finden sich auch die digitalisierten Seiten von Dada-Zeitschriften und Dada-Publikationen, welche die Bibliothek im Original besitzt. In einem Jahr werden dann auch die separaten Inventare von jeder gefilmten Sammlung via Internet erhältlich sein.

Natürlich lebt eine solche Dokumentarstelle nur durch die Mithilfe von allen dadaistisch gesinnten Köpfen, die uns auf Sammlungen, Veröffentlichungen und Veranstaltungen aufmerksam machen. Die rege Benutzung unserer Website und Hunderte von E-mails zeigen uns, dass die Welt glücklicherweise wieder einen gesunden und kräftigen Appetit auf Dada entfaltet hat. Vor einigen Monaten sprach ich mit einem chinesischen Theatermann, der in Peking das bedeutendste Avantgardetheater leitet und gerade seinen ersten Film «Der Hühnerdichter» («The Chicken Poet») in China zeigte. Er interessierte sich nur für Dada und wollte im nächsten Jahr Dada auf seiner Bühne in Peking vorführen. Ich traf ihn in Iowa City, da er ein Mitglied des internationalen Schriftstellerprogramms unserer Universität ist, das jedes Jahr über dreissig Schriftsteller aus allen fünf Kontinenten für ein Semester einlädt. Diese Schriftsteller, Filmemacher und Künstler aus China, Afrika, Indien, Südamerika und Finnland begrüssen mich jedes Jahr mit einer immer grösseren Begeisterung für Dada.

Dada ist noch immer, wie Tzara meinte, «eine Mikrobe». Sie lebt zur Zeit recht munter in Iowa City, Zürich, Peking, Russland und Chile.

Rudolf Künzli, Professor für Anglistik und Vergleichende Literatur an der Universität von Iowa, ist Direktor des internationalen Dada Archivs. Zu seinen Publikationen gehören die Bücher: «Dada Spectrum, The Dialectics of Revolt» (University of Iowa, 1979), «New York Dada» (Wilson Locker & Owens, 1986), «Marcel Duchamp, Artist of the Century» (MIT Press, 1991) sowie «Dada and Surrealist Film» (MIT Press, 1996). Ausserdem ist er Herausgeber der Zeitschrift «Dada/Surrealism».

Das Dada-Archiv in Iowa findet sich im Internet unter www.lib.uiowa.edu/dada. Hier können alle Dokumente ein-gesehen werden, die bisher schon digitalisiert worden sind.

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