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Da da, sieh an!

Zürich? – Eine Stadt der Banken, idyllisch am See gelegen, von den schneebedeckten Bergen ringsum hallt der Ruf der Alphörner. Zürich, reich, harmlos, hübsch und etwas langweilig. So oder ähnlich wird diese Stadt ausserhalb der Schweiz öfters eingeschätzt. Und doch ist Zürich, das kaum jemand in einem Atemzug nennen würde mit Grossstädten wie Berlin, Paris […]

Zürich? – Eine Stadt der Banken, idyllisch am See gelegen, von den schneebedeckten Bergen ringsum hallt der Ruf der Alphörner. Zürich, reich, harmlos, hübsch und etwas langweilig. So oder ähnlich wird diese Stadt ausserhalb der Schweiz öfters eingeschätzt. Und doch ist Zürich, das kaum jemand in einem Atemzug nennen würde mit Grossstädten wie Berlin, Paris oder New York, die den vielfältigsten Kunstrichtungen Zuflucht und Heimat geboten haben, der Ort gewesen, von dem während des Ersten Weltkriegs mit «Dada» eine der inspirierendsten Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm.

1916 trafen sich im Zürcher Exil Flüchtlinge, Deserteure und Pazifisten, um alles auf den Kopf und in Frage zu stellen: den Wahnsinn des Krieges, die Selbstzufriedenheit der Bourgeoisie, das Pathos der Vorkriegsavantgarde, die ästhetischen, moralischen und politischen Kategorien der Tradition. Im Restaurant «Meierei» an der Spiegelgasse gründeten sie das «Cabaret Voltaire» und provozierten tanzend und singend, deklamierend, grimassierend und collagierend ihr Publikum mit immer neuen Tabubrüchen, bevor sie mit dem Ende des Krieges nach Paris, Berlin und Köln weiterzogen und Dada sich in der Welt zerstreute.

Dada in Zürich war lebendig, solange das Publikum mit Grenzüberschreitungen und Polemik brüskiert und provoziert werden konnte. Doch irgendwann nützt sich jeder Tabubruch ab, irgendwann wird auch eine Bewegung, die sich durch Abgrenzung, das Dagegen- und das Anderssein definiert, zur Tradition, kanonisiert sich als ein -ismus oder löst sich in eine Reihe anderer -ismen auf. So geschah es auch mit Dada. Im Lexikon findet man es nur noch unter dem Eintrag «Dadaismus», und viele der frühen Dadaisten sind uns lediglich als Surrealisten, Kubisten oder Konstruktivisten im Gedächtnis geblieben.

Vor dem Spott und Hohn der Dadaisten hatte nichts Bestand, sie schufen sich freie Bahn, eine leere Bühne, Platz für die eigene Entfaltung. Ihre Destruktivität war Voraussetzung für ihre Kreativität. Bis heute fasziniert an Dada vor allem die Radikalität des Gegen-Alles-Seins – eine Stilisierung, zu der die Dadaisten auch selber mit beigetragen haben. Die Tabus des frühen 20. Jahrhunderts sind inzwischen überholt. Nachdem nicht zuletzt in den 60er Jahren, durchaus auch mit dadaistischen Methoden, die letzten Autoritäten in Frage gestellt wurden, lässt sich mit Grenzüberschreitung nur noch schwer Aufmerksamkeit erhaschen. So gesehen, ist es zu Beginn des 21. Jahrhunderts langweilig geworden. Ein Revival des historischen Dada scheint nicht möglich, weil eine weitgehend autoritätslose und individualisierte Gesellschaft keinen Schwingboden mehr abgibt, auf dem dieses Dada weiter tanzen könnte.

«Dada ruht nie. – Dada vermehrt sich.»

Dada hat sich vermehrt, das historische Dada ruht.

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