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Christof Geisel: Auf der Suche nach einem dritten Weg. Das politische Selbstverständnis der DDR-Opposition in den 80er Jahren

Berlin: Ch. Links Verlag, 2005

Christof Geisel sieht das politische Denken der DDR-Opposition in der Tradition eines «dritten Weges», gleichsam als Synthese beider Systeme in Ost und West – im Gegensatz zur dezidiert prowestlichen Haltung polnischer, tschechischer oder ungarischer Oppositioneller. «Die Zielvorstellung einer ‹gesamtgesellschaftlichen Selbstverwaltung› – ‹vorbei an der Scylla der privatkapitalistischen Anarchie und der Charybdis der politbürokratischen Despotie› […] –, welche die ‹Arbeitsgruppe Weltwirtschaft› 1988 skizzierte, dürfte die oppositionelle Stimmung der Vorwendezeit ziemlich präzise getroffen haben.» Dabei ging vieles über vage Willensbekundungen nicht hinaus. Konzeptionelle Überlegungen, etwa zum Institutionengefüge, unterblieben. Das Neue Forum tat sich schwerer mit ökonomischen Fragen als die Reformbefürworter in der SED. Auch die deutsche Frage spielte für die Opposition keine grosse Rolle.

Es gab «für die DDR-Opposition auch unabhängig von der weltpolitischen Konstellation gewichtige Gründe, die ein Verschwinden ‹ihres› Staats weder als sinnvoll noch politisch wünschenswert erscheinen liessen». Die Opposition habe den Sozialismus reformieren wollen; deshalb habe sie auch weder die Wiedervereinigung noch die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion befürwortet, weder für die Marktwirtschaft noch für die parlamentarische Demokratie Partei ergriffen. Man vertrat die Vision von einer gerechteren Welt, plädierte für einen echten, verbesserten, demokratischen Sozialismus in der DDR als antikapitalistische Alternative zur Bundesrepublik.

Dass sich Geisel mit seiner über weite Strecken treffenden Analyse keine Freunde macht, liegt nicht zuletzt an Äusserungen wie der folgenden: «In der offiziellen Rückschau wird der Umstand, dass sie [die DDR-Opposition] bis 1989/90 nichts weniger als eine Übernahme des bundesdeutschen Systems angestrebt, sie dieses mitunter sogar heftiger kritisiert hatte als das realsozialistische, meist ebenso übergangen wie die kühle Herablassung, mit der Bonner ‹Vernunftethiker› die Aktivitäten der ‹Ökopaxe› zu quittieren pflegten.» So sehr Geisel dafür zu loben ist, dass er die sozialistische Ausrichtung vieler Oppositioneller beim Namen nennt, so sehr ist Kritik angebracht bei der Tendenz, seine These zu überdehnen. Oppositionelle in der DDR waren in erster Linie Störenfriede. (Vgl. dazu Ralf Altenhof: «DDR-Bürgerbewegung und andere Störenfriede. Die Opposition in der DDR». Neue Zürcher Zeitung vom 10. März 2000, S. 8).

Geisel wirft die Frage auf, ob die Opposition angesichts ihrer weitverbreiteten Zurückhaltung eine härtere Auseinandersetzung mit der SED überhaupt führen wollte. «Für die Oppositionsgruppen», heisst es geradezu verschwörungstheoretisch, «lag es nahe, sich angesichts sinkender Popularität und nachlassenden Medieninteresses neu zu profilieren, indem sie die eskalierende Empörung gegen ‹Stasi und Nasi› aufgriffen.» Der Satz dürfte vielen – zu Recht – die Zornesröte ins Gesicht treiben. Als sei die Staatssicherheit nicht aus leidvoller Erfahrung, sondern aus Mangel an (öffentlichkeitswirksamen) Alternativen auf die Tagesordnung gekommen. Belege für diese abstruse These sucht der Leser vergebens. Man muss das Ministerium für Staatssicherheit keineswegs «als Verkörperung und Minenhund des Honeckerschen Dogmatismus […] betrachten», aber ein Hort der Reformer, wie Geisel impliziert, dürfte es ebensowenig gewesen sein. Symptomatisch dafür ist die Charakterisierung der Staatssicherheit als «Schutz und Schild der Partei» – richtig müsste es heissen: «Schild und Schwert [!] der Partei».

Geisels Verweis auf Gemeinsamkeiten zwischen Positionen der DDR-Opposition und der SED-Nachfolgepartei ist – selbst wenn er dies als «Ideenklau» bezeichnet – mit einem Fragezeichen zu versehen. Der Autor vertritt die Überzeugung, wonach «die PDS schon während der ersten Hälfte der neunziger Jahre die einzige Partei im neuvereinten Deutschland war, in deren (wie auch immer motivierter) Programmatik die Wünsche und Utopien der einstigen DDR-Opposition noch einen Niederschlag fanden». Inhaltliche Verbindungen bestanden jedoch allenfalls in einem auf beiden Seiten vertretenen diffusen Sozialismusbegriff, für den man ebenso Verfechter bei den westdeutschen Grünen oder beim linken Flügel der SPD hätte finden können. Die Differenzen zwischen der PDS und der DDR-Opposition waren grösser, als der Autor es wahrhaben möchte.

Geisel kann zwar für seine schriftliche Befragung – er hatte 350 Akteure angeschrieben, von denen 142 antworteten – eine Rücklaufquote von 40,57 Prozent in Anspruch nehmen; an wen aber der Fragebogen verschickt worden war und wer antwortete, bleibt ungewiss. Eine Liste der befragten Personen wäre allein aus Gründen der Transparenz angezeigt gewesen, ohne Aufschluss darüber geben zu müssen, wer welche Frage wie beantwortet hat. Die Gliederung der Arbeit macht einen etwas disparaten Eindruck; ein durchgehender roter Faden ist schwer erkennbar. So verwundert es, dass die titelgebende «Suche nach einem dritten Weg» den Abschluss des zweiten Kapitels bildet. Man gewinnt den Eindruck, mit jedem Kapitel beginne die Argumentation von vorne.

Dem Verfasser ist das Bemühen schwerlich abzusprechen, seinem Forschungsgegenstand gerecht zu werden. Nicht ersparen kann man ihm allerdings den Vorwurf, sein Ergebnis in gewisser Weise präjudiziert zu haben.

besprochen von Ralf Altenhof, Politologe in Freiberg (D).

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