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Chinas virale Propaganda

Autoritäre Systeme meistern die Herausforderungen der Krise angeblich besser. Ein Trugschluss.

 

Die Kaiser der Qing-Dynastie zogen erst dann persönlich in die Schlacht, wenn der Krieg als gewonnen galt. Das Risiko, als Verlierer heimzukehren, war zu gross, galt es doch als schlechtes Omen und gefährdete so die Legitimität des Kaisers. Xi Jinping traf am 10. März 2020 erstmals in Wuhan ein. Er trug eine Atemschutzmaske und unterhielt sich via Videocall mit einem Erkrankten. Er sprach ihm Mut zu und sagte, dass er an vorderster Front im Kampf der ­Nation gegen das Virus stehe. Der Krieg, so zumindest hatte man das in Peking beschlossen, galt zu diesem Zeitpunkt als gewonnen.

Wundersame Senkung der Neuinfektionen

Zwei Wochen später vermeldeten die offiziellen Stellen, dass die Zahl der Neuinfektionen im Inland gegen null gesunken sei. Die wenigen Fälle von SARS-CoV-2-Infektionen, die es jetzt noch gab, waren aus dem Ausland eingeschleppt worden. Von nun an konnte sich Peking als Saubermann der Welt präsentieren. Das Narrativ, das die Zeitung «Global Times», der Fernsehsender CCTV oder die Nachrichtenagentur Xinhua im Inland und Ausland verbreiteten, lautete jetzt: China hat durch sein rigoroses Vorgehen das Virus besiegt und der Welt wertvolle Zeit erkauft. Dazu entsandte man mal ein Ärzteteam nach Italien, mal schickte man einhunderttausend Masken nach Griechenland oder andere Länder, deren Gunst man für wertvoll hielt.

Während Europa und der Rest der Welt in Panik und Chaos versanken, war das Virus nun für China ein Problem des Auslands. Das Narrativ fiel auf fruchtbaren Boden: China erschien nunmehr vielen als Positivbeispiel. Nicht mehr lange und die Zahl der Infizierten in Italien hatte jene in China überschritten. Spätestens dann stand das autoritäre Regime als globaler Seuchenbekämpfer Nummer eins da.

Wenn es um die eigene Gesundheit geht, scheint vielen Bürgern die massive Einschränkung ihrer Freiheitsrechte gerechtfertigt. Und hat China nicht in der Provinz Hubei unter Beweis gestellt, wie man ein Virus eindämmt? Eine Provinz von der Grösse und Einwohnerzahl Frankreichs wurde innerhalb kürzester Zeit von der Aussenwelt ab­geschnitten und elf Millionen Menschen bei sich zu Hause unter Zwangsquarantäne gestellt. Niemand durfte mehr ohne Genehmigung der Behörden das Haus verlassen. Der öffentliche Nahverkehr wurde komplett eingestellt, der Fernverkehr sowieso. Wer sich den Vorschriften widersetzte, musste mit drakonischen Strafen rechnen. Das Essen wurde zentral an die Wohnblöcke verteilt. Innerhalb von zwei Wochen stampfte man 16 Krankenhäuser für tausende Menschen aus dem Boden, während der Berliner Flughafen nach 15 Jahren Bauzeit immer noch nicht fertig ist. Wer allgemein nach Schanghai oder ­Peking reiste, konnte für zwei Wochen in Quarantäne gesteckt werden, in Peking sogar ausschliesslich in besonderen Einrichtungen.

Wer länger in China gelebt hat, kennt diese Art der Bewunderung. Müde von den ewigen Diskussionen, Kompromissen und Vertagungen im Westen, erleben gerade Wirtschaftsvertreter in der Volks­republik einen Rausch der Effizienz. Ein Flughafen wird eben gebaut, wenn das die Führung in Peking beschliesst, und eine Provinz eben von der Aussenwelt abgeriegelt. Autoritäres Durchregieren ­erscheint in Zeiten der Krise immer besonders attraktiv. Die Lösung liegt doch auf der Hand, jetzt gehe es nur darum, sie umzusetzen. ­Informations- und Rückkopplungsprozesse scheinen redundant.

Kurz nach Xis Besuch in Wuhan begann die Pekinger Propaganda­maschinerie auch, China als Ursprungsland des Virus in Frage zu stellen. Es sei überhaupt nicht erwiesen, dass das SARS-CoV-2-­Virus vom Fischmarkt in Wuhan komme. Das Virus könne gleichzeitig an mehreren Stellen der Welt entstanden sein. Auch die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua und die staatsnahe Zeitung «Global Times» streuten in den vergangenen Wochen immer wieder die Vermutung, das Virus habe seinen Ursprung gar nicht in China, sondern sei von US-Militärs bei einer gemeinsamen Übung im Herbst nach Wuhan gebracht worden. Dem widersprach zwar der Seuchenexperte Zhang Wenhong von der Fudan-Universität in Schanghai. Doch seine Kommentare verschwanden bald aus dem Netz. Am 12. März wiederholte der Sprecher des Aussenministeriums, Zhao Lijian, die Verschwörungstheorie.

«Krankenhäuser ­können in autoritären Systemen

vielleicht schneller gebaut ­werden,

aber Informationen fliessen langsamer.»

Propagandabild mit Rissen

Dabei sind Zweifel an den Zahlen der Regierung mehr als berechtigt. Zwei Wochen nach Xis Besuch in Wuhan erzählte ein Arzt der japa­nischen Nachrichtenagentur Kyodo, in den Tagen davor habe man Patienten mit offensichtlichen Symptomen überraschend nach Hause geschickt. Von da an seien die Kriterien für eine Quarantäne lose geworden und man habe «infizierte Patienten in Massen nach Hause geschickt». Besonders brisant kommt hinzu: Ende März waren noch rund 100 Millionen Wanderarbeiter nicht an ihren Arbeitsplatz in die Städte der Ostküste zurückgekehrt. China hat rund 250 Millionen Wanderarbeiter, die das Jahr über zu geringen Löhnen in den ­Fabriken der Ostküste arbeiten. Einmal im Jahr zum chinesischen Frühlingsfest fahren diese Menschen zurück in ihre Heimatdörfer im Inland, was stets zur grössten Migrationsbewegung auf dem Planeten führt. Wie viele von ihnen das Virus in sich tragen, darüber kann derzeit nur spekuliert werden.

Das Problem der Stimmigkeit von Zahlen ist in autoritären Systemen ein strukturelles: Es gibt keinen Anreiz, die Wahrheit zu sagen. «Nudging» gibt es nur dahingehend, die Zahlen zu vermelden, die dem Nächsthöheren gefallen. Wo das hinführen kann, zeigt ein Blick in Chinas Geschichte: In den 1950er Jahren gab Peking Soll-Zahlen an die Provinzgouverneure aus, um die wirtschaftliche Produktion zu ­erhöhen. In der Folge meldeten die Provinzen immer unrealistischere Zahlen an die Zentralregierung. In völliger Selbstüberschätzung der eigenen Produktionskräfte führte der «Grosse Sprung nach vorne» schliesslich in die grösste von Menschen verursachte Hungersnot, bei der zwischen 45 und 55 Millionen Menschen ums Leben kamen.

Und so kann man Peking zwar zugutehalten, dass es ab dem 25. ­Januar hart durchgriff und die Freiheitsrechte von Millionen von Menschen massiv einschränkte. Dem voraus gingen aber Wochen der Untätigkeit, in denen unbequeme, aber essentielle Informationen unterdrückt worden waren. Bereits am 27. Dezember informierten Ärzte erste Regierungsstellen über die Lungenkrankheit. Ärzte wie Ai Fen und Li Wenliang posteten in den kommenden Tagen auf Wechat, der chinesischen Messaging-Plattform, Berichte über Zustände in den Krankenhäusern. Die Berichte wurden zensiert. Am 7. Januar ­erfährt der chinesische Präsident Xi Jinping von der Lungenkrankheit. Etwa zur selben Zeit wird der Arzt Li von den Sicherheitsbehörden in Wuhan einbestellt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, wonach er «Falschinformationen gestreut habe, um die öffentliche Ordnung zu stören». Erst am 23. Januar wird Wuhan und die Provinz Hubei von der Aussenwelt abgeschnitten. Zu diesem Zeitpunkt aber haben bereits fünf Millionen Menschen Wuhan verlassen und das Virus in das Land getragen. Der Arzt Li Wenliang stirbt am 7. Februar an einer Lungenentzündung.

Mindestens drei Wochen also hätte Peking Zeit gehabt zu reagieren und das Virus unter Kontrolle zu bringen. Krankenhäuser können in autoritären Systemen vielleicht schneller gebaut werden, aber ­Informationen fliessen langsamer. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass selbst Xi Jinping nicht die tatsächlichen Coronainfektionen kennt. Diejenigen, die sie liefern könnten, Ärzte und Journalisten, werden vorher zum Schweigen gebracht.

Gegenbeispiel Taiwan

Dass Demokratien im Kampf gegen ein Virus nicht unterlegen sind, zeigt ausgerechnet das Beispiel Taiwan. Der demokratische Inselstaat ist ein Musterbeispiel im Umgang mit dem Coronavirus. Taiwan ­reagierte extrem schnell. Als China am 31. Dezember die Weltgesundheitsorganisation über eine unbekannte Lungenkrankheit informierte, begann man in Taiwan umgehend, Einreisende aus der Provinz Hubei zu befragen und zu untersuchen. Das Krisenzentrum ­erstellte zudem eine Liste von 124 Punkten, die dabei helfen sollten, das Virus einzudämmen, darunter Grenz- und Schulschliessungen. Am 12. Januar bereits entsandte Taipeh eine Ärztedelegation nach Wuhan, um sich aus erster Hand zu informieren.

Kurz darauf begann man, die Krankenhäuser auf mögliche Fälle und Tests vorzubereiten. Das geschah, bevor am 21. Januar in Taiwan der erste Coronafall gemeldet wurde. Fünf Tage später unterband man alle Flüge aus Wuhan. Die Ausfuhr von Schutzmasken wurde ­gestoppt, deren Produktion mit Hilfe des Militärs ausgeweitet und der Preis staatlich festgesetzt. Ende Januar hatte die Regierung 44 Millionen Atemschutzmasken auf Lager. Am 6. Februar strich man alle Flüge vom Festland. Ähnlich wie auf dem Festland bedient man sich ­modernster Technik. Reisende können einen QR-Code am Flughafen scannen und dann ihre Reisehistorie auf einer App eingeben. Die Daten werden direkt an das Gesundheitsministerium übermittelt. Eine Ausgangssperre war zu keinem Zeitpunkt notwendig.

Ein bemerkenswertes Krisenmanagement für ein Land, das auf Druck Pekings nicht mal ein offizielles Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist und damit weder an Expertenrunden teilnimmt noch Zugriff auf die Daten der WHO hat. Die Beziehungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik sind angespannt, da Peking Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet. «Wir sahen nichts, was sie uns nicht sehen lassen wollten», sagte Kolas Yotaka, ein Regierungssprecher Taiwans. «Aber unsere Experten wussten, dass die Situation nicht gerade optimistisch ist.»

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