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Büsten von Rodin bis Wang Du in Appenzell

«Eine gute Büste anfertigen, heisst, eine harte Schlacht liefern» soll Auguste Rodin über die nun im Museum Liner erstmals umfassend dargestellte Kunstform gesagt haben. Eine harte Schlacht liefern mussten wohl auch die Kuratoren der Ausstellung «Die obere Hälfte». Dank der Zusammenarbeit ihrer drei Häuser – des Museums Liner, der Städtischen Museen Heilbronn und der Kunsthalle […]

«Eine gute Büste anfertigen, heisst, eine harte Schlacht liefern» soll Auguste Rodin über die nun im Museum Liner erstmals umfassend dargestellte Kunstform gesagt haben. Eine harte Schlacht liefern mussten wohl auch die Kuratoren der Ausstellung «Die obere Hälfte». Dank der Zusammenarbeit ihrer drei Häuser – des Museums Liner, der Städtischen Museen Heilbronn und der Kunsthalle in Emden – ist es ihnen jedoch gelungen, einen differenzierten und qualitativ hochstehenden Überblick über die Entwicklung der Büste vom idealisierenden Repräsentationsbild bis zur experimentellen Neuentdeckung zu bieten und beachtenswerte Leihgaben von Museen und Privaten zusammenzutragen.

Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hatte die Büste das Ziel, Macht und Ansehen der Dargestellten mittels Fokussierung auf ihr Gesicht zu mehren und zu bewahren. Damit räumte Honoré Daumier als erster gründlich auf. Die dreidimensionalen Karikaturen von Politikern und Prominenten – ursprünglich angefertigt, um als Vorlagen für seine Lithographien zu dienen – stehen am Anfang einer Entwicklung, die mittels Anonymisierung, Abstraktion und Verfremdung neue künstlerischen Dimensionen eröffnete und auch künftige Möglichkeiten ahnen lässt. So finden Daumiers Karikaturen ihre derzeitige Fortsetzung in Paul McCarthy’s entlarvender, surrealer und doppeldeutiger Büste «Dick Eye» aus dem Jahr 2002 oder in der grotesken Objekt-Assemblage «Kleines Monsterchen/Kopffüssler» (1990-1995) von Daniel Spoerri, die am Schluss der mit 90 Werken von 50 internationalen Künstlern bestückten Ausstellung stehen.

Systematisch und thematisch werden Aspekte wie «Die Büste als pars pro toto», «Zeitlosigkeit und Zeit», «Die Vergänglichkeit des Körpers», «Die Ironisierung der Büste» oder «Die Büste und die Vergänglichkeit des Materials» aufgearbeitet. Alberto Giacometti hat sich wohl unter den Vertretern der klassischen Moderne am intensivsten mit der Büste und ihrer Formgestaltung auseinandergesetzt. Ihm ist ein besonderer Raum mit 20 Exponaten gewidmet. Er experimentiert mit den Dimensionen der Büste und deren Sockel: auf überdimensionalen Sockeln erscheinen die miniaturhaften, aber minutiös modellierten Büsten, deren Gesamthöhe höchstens 20 cm misst.

Die veristischen Silikon-Skulpturen aus der Serie «No One – In Particular» des Kanadiers Evan Penny aus dem Jahr 2005 faszinieren vor allem durch ihr «Irritationspotential». Mit ihrer schonungslosen Überschärfe gehen sie weit über die Realität hinaus. Mit einer anderen Art «Verfremdung» setzt sich die deutsche Künstlerin Angelika Böck (geboren 1967) auseinander. In ihrer konzeptionellen Arbeit «Stille Post» 1999, verfremdet sie ihre eigene Person, indem sie nach einer Bildvorlage bei fünf südafrikanischen Holzschnitzern eine Büste von sich anfertigen liess. Jeder sah, abhängig von Alter und kultureller Prägung, die Künstlerin auf seine Weise.

Die zeitgenössischen chinesischen Künstler wie Ah Xian (geb. 1960), Wang Fu (geb. 1956) und Wang Du (geb. 1960) repräsentieren eine Künstlergeneration, die ungeniert traditionelle chinesische Motive und Materialien radikal verfremdet. So sind Ah Xians Büsten zwar in ihrer Form traditionell, mit ihren geschlossenen, totenmaskenähnlichen Augen und ihren symbolischen und erotischen Motiven jedoch gezielt provokativ.

Die Ausstellung «Die obere Hälfte. Die Büste von Rodin bis Wang Du»ist bis zum 23. April 2006 im Museum Liner, Appenzell, zu sehen

(www.museumliner.ch).

Juliana Schwager-Jebbink berichtet für die «Schweizer Monatshefte» über Kunstausstellungen. Sie lebt und arbeitet in St. Gallen und Zürich.

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