Braucht die Schweiz eine Stiftungsstrategie?
Wann waren Sie das letzte Mal so richtig grosszügig? Nein, darunter fällt es nicht, wenn Sie einem Strassenmusiker für sein Spiel einen Fünffränkler in den Hut gelegt, einen Fair-Trade-Kaffee gekauft oder dem Nachbarsjungen 20 Franken fürs Rasenmähen gegeben haben. Grosszügigkeit, das ist die Kunst des Gebens, die sich ausserhalb der reinen Tauschbeziehung bewegt. Man gibt […]
Wann waren Sie das letzte Mal so richtig grosszügig? Nein, darunter fällt es nicht, wenn Sie einem Strassenmusiker für sein Spiel einen Fünffränkler in den Hut gelegt, einen Fair-Trade-Kaffee gekauft oder dem Nachbarsjungen 20 Franken fürs Rasenmähen gegeben haben. Grosszügigkeit, das ist die Kunst des Gebens, die sich ausserhalb der reinen Tauschbeziehung bewegt. Man gibt ohne direkte Gegenleistung. Man gibt, um etwas zu bewirken.
Insgeheim mag sich damit die Hoffnung verbinden, irgendwann belohnt zu werden. Und sei es nur in Form eines guten Gefühls: Zahlreiche neuropsychologische Studien zeigen, dass Grosszügigkeit glücklich macht. Das Wissen über die gebende Seite des Menschen hilft, die zivilisatorischen Türen zu freiwilligem Engagement zugunsten anderer aufzumachen. Je direkter und einfacher das Geben ist, desto eher wird der Geber in uns aktiviert. Die in uns schlummernde Grosszügigkeit wartet geradezu darauf, sich entfalten zu können – und ihre gesellschaftliche Relevanz von aussen bestätigt zu sehen.
Der Schweizer Stiftungssektor ist dank einer langen zivilgesellschaftlichen Tradition und einem liberalen Stiftungsrecht leistungsfähig und stark. Doch die Grosszügigkeitsindustrie ist zersplittert und ausserhalb ihrer Netzwerke weitgehend unbekannt. Während andere Sektoren ihre Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung gekonnt zu überhöhen verstehen, stellt sich das Schweizer Stiftungswesen nicht gebührend dar – trotz geschätzten jährlichen Ausschüttungen von 1,5 bis 2 Milliarden Franken. Wir finden: es wäre an der Zeit, nicht nur Gutes zu tun, sondern auch selbstbewusst darüber zu reden. Die philanthropische Wertschöpfungskette reicht weit und verdient mehr öffentliche Aufmerksamkeit – denn es ist die Öffentlichkeit, die davon profitiert.
Die Signale sind positiv. Stiftungen wagen sich aus dem Reich der Diskretion, kommunizieren transparent, beginnen zu kooperieren; eigene Verbände gewinnen an Stärke und organisieren sich; der Bundesrat prüft Vorschläge zur Steigerung der Attraktivität der helvetischen Stiftungslandschaft. Wir wagen eine aktuelle Lagebeurteilung des Stiftungsstandorts Schweiz im internationalen Kontext, der an Dynamik zulegt – die EU-Kommission ist gerade dabei, ein europäisches Stiftungsstatut zu erarbeiten, das grenzübergreifendes Stiften und Spenden erleichtern soll. Unsere Autoren erläutern, warum die Schweiz eine Stiftungsnation ist. Und sie zeigen auf, wo weiterhin viel Potential schlummert – und wie es zum Leben erweckt werden kann. Damit jene, die geben wollen, auch in Zukunft gerne – oder noch lieber – geben.
Die Redaktion