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Brasilien und Fussball I

Bis das Alter seinen Tribut forderte, habe ich leidenschaftlich Fussball gespielt. Auch in Brasilien, bis vor kurzem, fast zehn Jahre lang. Eine Partie unter Freunden nennt sich da «pelada» («nackt») und ist terminologisch scharf von einer echten «partida de futebol» zu unterscheiden. Man trifft sich beispielsweise samstags um 10 Uhr auf dem geteerten Platz neben dem alten Schulhaus […]

Bis das Alter seinen Tribut forderte, habe ich leidenschaftlich Fussball gespielt. Auch in Brasilien, bis vor kurzem, fast zehn Jahre lang. Eine Partie unter Freunden nennt sich da «pelada» («nackt») und ist terminologisch scharf von einer echten «partida de futebol» zu unterscheiden. Man trifft sich beispielsweise samstags um 10 Uhr auf dem geteerten Platz neben dem alten Schulhaus eines Quartiers in Belo Horizonte und spielt wahlweise barfuss oder mit leichten Turnschuhen. Freund ist, wer einer sein will – und zum Freundeskreis gehören im Grunde alle zwischen 15 und 70 Jahren, die fussballbewehrt auftreten. Im Nu sind zwei Teams gebildet, ohne dass man beschreiben könnte, nach welchen Regeln die Auswahl genau zustande kam. Und schon geht’s los. Die einen spielen oben ohne, die anderen oben mit. Das Feld ist eng, der Ball steinhart und nicht viel grösser als ein Handball, das Spiel für helvetische Verhältnisse extrem schnell. Gefragt ist höchste Konzentration.

Erste Regel: nicht reden, sondern spielen! Ball annehmen, unter Kontrolle bringen, mit dem Fuss streicheln, eine Seitwärtsbewegung, eine Finte, Passspiel. Die hohe Kunst: den Ball möglichst schnell in den eigenen Reihen zirkulieren lassen. «Valeu!», rufen alle, wenn dem Gringo eine Aktion gelingt. Misslingt sie, klopft ihm ein Mitspieler aufmunternd auf die Schultern. Weiter so, immer weiter.

Zweite Regel: es gibt keine fixen Positionen! Das ganze Spiel ist eine einzige Dauerrotation, was einen taktisch geschulten Mitteleuropäer wie mich erst mal an den Rand der Verzweiflung bringt. Was anfangs anstrengend ist, macht immer mehr Spass.

Dritte Regel: die Ästhetik des Spielens ist wichtiger als die Athletik des Siegens! Man spielt auch, um zu gewinnen; aber man spielt vor allem, um zu spielen. Diese Doppeldeutigkeit war meine Chance – den Gringo bewundern die Ästheten dafür, wenn er die Regel bricht und ein Tor nach dem anderen erzielt. Streit bricht nur aus, wenn man sich über ein potentielles Foul uneinig ist – in diesem Fall kommt das Anciennitätsprinzip zum Zuge. Der Erfahrene hat immer recht.

Nach einer geschlagenen Stunde sitzen alle wie Freunde zusammen und laben sich an einem Bier. Es waren unbeschwerte Samstage im alten Schulhaus gleich neben dem Clube dos Oficiais in Belo Horizonte.

Unvergesslich.

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