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Boomer bremsen die Jungen aus

Noch nie war eine Generation so privilegiert wie meine. Doch was haben wir daraus gemacht? Wir hinterlassen den Jungen ungedeckte Kosten und Schulden.

Boomer bremsen die Jungen aus
Golfspieler auf dem Riffelberg in Zermatt, im Hintergrund das Matterhorn. Bild: Keystone/Christof Schürpf.

Nie in der Weltgeschichte gab es eine Generation, die ihr ganzes Leben in wirtschaftlich derart prosperierenden Verhältnissen verbringen konnte wie die sogenannten Babyboomer. Und nie gab es eine Generation, die so gesund und wirtschaftlich so gesichert so alt werden konnte.

Gewiss gab es immer wieder Blütezeiten oder goldene Zeiten für bestimmte Schichten der Gesellschaft in einzelnen Weltregionen, aber nie haben sie über acht Jahrzehnte angedauert, und nie hat eine derart grosse Mehrheit der Gesellschaft an diesen glücklichen Umständen partizipieren können. Ohne Kriege in Westeuropa, ohne schwere Epidemien, ohne längere Zeiten der Massenarbeitslosigkeit hat diese Generation in der besten aller bisher möglichen Welten gelebt. Als Krönung dieser in weltgeschichtlicher Perspektive paradiesischen Zustände erreichte das Gesundheitswesen dank zahlreicher Innovationen einen für die gesamte Bevölkerung nie gesehenen hohen Stand in der medizinischen Versorgung. Schliesslich sorgt ein engmaschiges Netz von Sozialleistungen dafür, dass niemand den Wechselfällen des Lebens (Krankheit, Unfall, Invalidität oder Tod) schutzlos und ohne Absicherung ausgeliefert ist.

Günstige Ausgangslage

Nicht alle diese Errungenschaften waren das Ergebnis eigener Leistungen; viele davon waren auch der Gunst der Stunde zu verdanken. Unser Land ging verschont aus der europäischen Katastrophe des Zweiten Weltkrieges hervor, mit einem intakten Produktionsapparat. Auch Kapital zur Finanzierung eines beeindruckenden Wachstums war reichlich und günstig verfügbar. Dieses Wachstum betrug im Durchschnitt seit 1950 bis zum Beginn der Rezession von 1974 real 5 bis 6 Prozent pro Jahr, in Jahren der Hochkonjunktur erreichte es gar 8 Prozent! Es wurde nicht allein vom Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs angetrieben, sondern auch von Technologieschüben, einer starken Produktivitätssteigerung, dazu ganz allgemein von der demografischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Internationalisierung.

Kurz: Die Generation der Babyboomer wuchs in einer Welt auf, in der sie ein steiler Wachstumspfad nach oben führte, und auch in ihrem Erwachsenenalter hielt dieses Wachstum – abgesehen von einigen kurzen Rezessionsjahren – unvermindert an.

Schulden zur Finanzierung aller Wünsche

Nun hat die Gesellschaft mit dem Reichtum, mit dem sie über Jahrzehnte gesegnet war, eine ganze Reihe von langfristigen Investitionen an die Hand genommen. Sie hat sich jedoch auch so sehr an die überreichlich vorhandenen Mittel gewöhnt, dass sie verlernt hat, Prioritäten zu setzen. Lücken, die sich zwischen Wünschen und finanzieller Wirklichkeit öffneten, hat sie mit immer höheren Schulden überbrückt. Gewiss ist die schweizerische Staatsverschuldung mit 30 bis 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), zumal im Vergleich mit den EU-Staaten, aber auch mit den anderen OECD-Ländern, unter Kontrolle. Das gilt allerdings bloss für die explizite Verschuldung, also die in den offiziellen Statistiken erfassten Schulden. Berücksichtigt man hingegen auch die zukünftigen Zahlungsversprechen des Staates inklusive der Sozialwerke, also die implizite Verschuldung, präsentiert sich das Bild ganz anders. Dann betragen die Schulden unseres Landes nicht mehr einen Drittel, sondern das Doppelte des BIP! Erinnern wir uns daran, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind.

Zunächst aber zu den durchaus positiven, langfristigen Investitionen, die für die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte getätigt wurden. Das sind primär Investitionen in Infrastrukturen und in Forschung und Bildung. Unter den Infrastrukturen, dem Rückgrat jeder wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes, ist an erster Stelle der Ausbau des öffentlichen Verkehrs nicht allein in den Agglomerationen, sondern auch des Fernverkehrs mit dem Bau der beiden alpenquerenden Tunnels (Neat) zu nennen. Dann aber auch der Bau eines dichten Autobahnnetzes genauso wie Haupt- und Nebenstrassen bis in weit abgelegene Bergdörfer. Hinzu kommen die Infrastrukturen der Kommunikation, also die Glasfaserleitungen oder die Mobilfunkantennen. Wie die Investitionen in Forschung und Entwicklung, primär an den Hochschulen und Fachhochschulen, gehen alle diese Investitionen weit über die heutigen Bedürfnisse der Babyboomer hinaus.

Klaffende Finanzierungslücke

Dagegen hinterlassen die Babyboomer riesige Defizite im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Denn obwohl «Nachhaltigkeit» seit wenigstens zwei Jahrzehnten zum politischen Standardvokabular gehört, verhält sich diese Generation alles andere als nachhaltig: Gemeinhin wird Nachhaltigkeit definiert als ein Verhalten, das die eigenen Bedürfnisse erfüllt, ohne die Lebensmöglichkeiten der kommenden Generationen einzuschränken. Genau dieser Grundsatz wird aber von der Boomergeneration in eklatanter Weise in drei Bereichen verletzt: im Bereich der Altersvorsorge, der Pflegeversicherung und der Energiewende. Gemeinsam ist allen drei Bereichen, dass sie gemeinhin als die grossen Zukunftsprobleme anerkannt sind, dass aber daraus keinerlei wirtschaftliche Konsequenzen gezogen werden. Vielmehr dominiert die Einstellung «Nach uns die Sintflut». Die privilegierteste Generation der Menschheitsgeschichte hinterlässt ihren Kindern und Kindeskindern gewaltige implizite Staatsschulden, welche die Lebensmöglichkeiten der kommenden Generationen dramatisch einschränken werden.

Am Ursprung der enormen Finanzierungslücke der Vorsorgesysteme steht ein dreifacher Alterungsprozess: Das Durchschnittsalter der schweizerischen Bevölkerung steigt erstens als Folge des Babybooms der 1940er- bis 1960er-Jahre an und zweitens als Folge des Einbruchs der Geburtenrate zu Beginn der 1970er-Jahre («Pillenknick») sowie drittens auch infolge der zunehmenden Lebenserwartung. Somit wird sich der Altersquotient, also die Anzahl der über 65-Jährigen pro 100 Personen gegenüber solchen im Alter von 20 bis 65 Jahren, mehr als verdoppeln. Statt derzeit etwa 3,5 Personen im erwerbsfähigen Alter werden es im Jahr 2060 lediglich noch 2 Erwerbsfähige auf einen über 65-Jährigen sein. Dieser demografischen Alterung kann sich die Schweiz nicht entziehen.

Es ist daher seit Jahren absehbar, dass die Rentenversprechen der AHV das jährliche schweizerische BIP um das Doppelte übersteigen. Von den drei möglichen Finanzierungen – Kürzung der Renten, Erhöhung der Beiträge oder Verlängerung der Lebensarbeitszeit – erweist sich bis anhin keine als mehrheitsfähig. Im Gegenteil: Als ob dieser Tatbestand nicht schon dramatisch genug wäre, genehmigt sich die abstimmende Bevölkerung (in ihrer Mehrheit wiederum die Boomer, also Stimmberechtigte über 50) eine zusätzliche, die 13. AHV-Rente, deren Finanzierung völlig ungeklärt ist. Kurz: Statt eine seriöse Finanzierung dieser Alterslasten zu diskutieren und dann umzusetzen, verschiebt die Generation der Boomer das Problem auf die kommenden Generationen, die absehbar während Jahrzehnten unter der Schuldenlast ächzen werden.

«Statt eine seriöse Finanzierung der Alterslasten zu diskutieren,

verschieben die Boomer das Problem auf die kommenden Generationen.»

Am Rande nur sei angemerkt, dass sich auch die zweite Säule der Altersvorsorge, die berufliche Vorsorge, in den letzten 20 Jahren als reformunfähig erwiesen hat. Weil der gesetzliche Umwandlungssatz von 6,8 Prozent viel zu hoch ist, geht die Umverteilung von Jung zu Alt jedes Jahr unvermindert weiter, und das in Milliardenhöhe – auch hier leben die Boomer zu Lasten der nächsten Generation. Damit nicht genug: Die Unterdeckung bei den öffentlich-rechtlichen Pensionskassen beziffert sich auf über 50 Milliarden Franken; auch für diese Verpflichtungen werden vor allem die jüngeren und künftigen Generationen mit Steuerzahlungen aufkommen müssen. Wider besseres Wissen haben die Kantonsregierungen zusammen mit den Personalverbänden und Gewerkschaften ihre Pflicht zur seriösen Finanzierung der Pensionskassen ihrer Mitarbeiter in grober Weise verletzt.

Unabsehbare Kosten im Sozial- und Energiebereich

Die zunehmende Lebenserwartung bringt es mit sich, dass ein steigender Anteil der alten Menschen ihren Lebensabend in Pflegeheimen verbringen muss, deren Kosten von ca. 15 000 Franken pro Monat längst nicht von allen bezahlt werden können. Entsprechend kommen auch hier Bund, Kantone und Gemeinden über Ergänzungsleistungen respektive allgemeine Steuermittel zum Zug. Seit Jahren steht daher die Idee einer allgemeinen Pflegeversicherung auf der politischen Agenda. Doch auch dieses Thema wird verdrängt und der kommenden Generation überlassen. Was in jedem privat geführten Unternehmen selbstverständlich wäre, nämlich Rückstellungen für die zukünftigen Kosten zu bilden, wird nicht einmal ansatzweise diskutiert. Gleiches gilt für die weiteren Kosten im sozialen Bereich (Flüchtlingswesen, Integrationsleistungen, individuelle Prämienverbilligungen für Krankenkassen).

Während die Problemkreise Staatsschulden und Vorsorge seit Jahrzehnten bekannt sind und von weitsichtigen Politikern und Thinktanks immer wieder thematisiert werden, ist seit einigen Jahren ein weiterer ungedeckter Wechsel in gigantischer Höhe im Umlauf: die Energiewende respektive die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft und Wirtschaft mit dem Ziel, im Jahre 2050 den CO2-Ausstoss auf netto null zu bringen.

Zwar sind Parteiprogramme, Medien und Bauratgeber voll mit Beiträgen zu erneuerbaren Energien und der Dringlichkeit eines Umstieges auf sie. Doch sind es die gleichen Kreise, die sich am lautesten zum Thema Nachhaltigkeit äussern, die mit allen Mitteln der Einsprache zu verhindern versuchen, dass solche erneuerbaren Energien im grösseren Umfang produziert werden – sei es mittels neuer Stauseen und Wasserkraftwerke, sei es mit dem Bau von Photovoltaikanlagen oder Windturbinen.

Dazu kommt ein weiterer Problemkreis, der in der Politik und in der Finanzplanung noch kaum angekommen ist: Neben der Produktion erneuerbarer Energien hat die Energiewende nämlich noch eine zweite Ebene, die Distribution und die Speicherung von Energie. Während die erste technisch gelöst ist, bloss sehr hohe Kostenfolgen hat, ist für die zweite eine technische Lösung und deren Kostenfolge noch in weiter Ferne.

Nachhaltigkeit sieht anders aus

Vorsorgesysteme, Pflege und soziale Kosten sowie die Energiewende: Die Probleme und ihre Kostenfolgen sind seit Jahren und Jahrzehnten bekannt. Allein, die einmalig privilegierte Generation der Babyboomer verdrängt sie und überlässt ihre Lösung und deren Finanzierung den kommenden Generationen. Eine Politik der Nachhaltigkeit sähe anders aus.

Was also wäre zu tun? In erster Linie müsste sich die Generation der Boomer Rechenschaft ablegen über ihren Egoismus. Und dann als Konsequenz dieser Einsicht die ausufernden staatlichen Konsumausgaben durch eine klare Setzung der Prioritäten zugunsten der langfristig drängenden Ausgaben – Altersvorsorge, Pflegeversicherung, Energiewende – verschieben; das bedeutet auch Konsumverzicht, und zwar auch von staatlichen Leistungen. Auch dann bleibt das Schlaraffenland, in dem es sich die Boomer haben wohl sein lassen, ein Land, in dem Milch und Honig fliessen. Aber daran könnten dann auch unsere Kinder und Enkel teilhaben.

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