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«Bonstettiana», letzter Band

Forschungsförderung in den Geisteswissenschaften ist derzeit vor allem eines: exzellenzbeflissen. Und als exzellent gilt dabei meist das, was – hermetisch betitelt und jargonlastig formuliert – ohnehin nur sehr wenige Eingeweihte zu interessieren scheint. Mit anderen Worten: klassische Editionsprojekte, als die einstigen Flaggschiffe der Grundlagenforschung in den philologisch ausgerichteten Fächern, haben es unter den gegebenen Umständen […]

Forschungsförderung in den Geisteswissenschaften ist derzeit vor allem eines: exzellenzbeflissen. Und als exzellent gilt dabei meist das, was – hermetisch betitelt und jargonlastig formuliert – ohnehin nur sehr wenige Eingeweihte zu interessieren scheint. Mit anderen Worten: klassische Editionsprojekte, als die einstigen Flaggschiffe der Grundlagenforschung in den philologisch ausgerichteten Fächern, haben es unter den gegebenen Umständen schwer, sogar sehr schwer. Solche Vorhaben also, in denen das Werk einer Persönlichkeit der Geistesgeschichte textgenau erschlossen und durch, häufig mühsamste, Quellen- und Handschriftenstudien kontextualisiert wird. In den modisch aufgebrezelten Forschungsportfolios der Förderinstitutionen werden sie längst als unzeitgemässe Altlasten gebucht und wo immer möglich marginalisiert.

Umso mehr zu bewundern ist daher die Beharrlichkeit der Herausgeber der «Bonstettiana». Mit dem vorliegenden Band schliessen sie ihre seit 1996 erscheinende historisch-kritische Gesamtausgabe der Schriften des Schweizer Intellektuellen Karl Viktor von Bonstetten (1745–1832) ab. Unbeeindruckt von kurzlebigen akademischen Strömungen haben sie diese imposante Edition auf der Basis eines bereits seit 1980 aufgebauten, rein privaten Archivs erarbeitet. Unbeirrt auch von gewaltigen finanziellen Hürden, haben sie zudem immer wieder Wege gefunden, die Erträge ihrer Arbeit zu veröffentlichen. Die derart manifest werdende Wertschätzung für den hochgebildeten Schriftsteller speist sich dabei keineswegs allein aus einem rein historischen Interesse.

Der Denker Bonstetten, der seine feine Konversationskunst in zahlreichen Briefen und seinerzeit sehr verbreiteten Essays bis ins hohe Alter stetig kultiviert hat, dieser gelehrte Kopf hat uns heutigen Lesern manche nach wie vor bedenkenswerte Einsicht mitzuteilen. Hinsichtlich der nationalen Eigenheiten der Europäer etwa, die der weitgereiste Kosmopolit in der hier neu übersetzten Studie «L’homme du Midi et l’homme du Nord» vergleichend beschreibt, finden sich ebenso aktuelle wie sperrige Positionen. Was Bonstetten beispielsweise in seinem «Exkurs über die Mundarten» über den spezifisch deutschschweizerischen Umgang mit dem Deutschen zu sagen hat, würde freilich in den gegenwärtigen Diskursen nicht eben als politisch korrekt gelten: der «alemannische Teil der Schweiz» habe die «ungeschliffenste Sprache», und die «Aussprache» namentlich der Zürcher sei so «schwerfällig und unharmonisch», dass man Mühe habe «zu bemerken, dass diese Laute Gedanken ausdrücken». Eher nüchtern konstatiert er, was heute einen medialen Aufschrei erzeugen würde: «Solange den Müttern die Sprache, die ihre Kinder erlernen sollten, selber nicht geläufig ist, bleibt das Deutsche für die Schweizer eine tote Sprache.» Jenseits solcher Polemik bleibt festzuhalten: der den «esprit européen» (Sainte-Beuve) wie kaum jemand sonst in seiner Zeit repräsentierende Bonstetten verwahrte sich erkennbar gegen jegliche sprachliche, kulturelle und nationale Selbstbezüglichkeit, weil sie grenzüberschreitendes Denken und damit zivilisatorischen Fortschritt behindere.

Charles Victor de Bonstetten: «L’homme du Midi et l’homme du Nord. 1810–1826». 2 Bde. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von D. & P. Walser-Wilhelm. Göttingen: Wallstein, 2010

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