Blogs, Rede & Widerrede
von Robert Nef, mehr unter www.schweizermonatshefte.ch/freierede
Freitag, 4. Juli
Steuervermeidung – Steuerhinterziehung – Steuerbetrug
Was ist die korrekte englische Übersetzung von Steuerhinterziehung? Ich habe schon oft versucht, amerikanischen Freunden den Unterschied zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu erklären. Das ist nicht ganz einfach. Ich versuche jeweils (auch gegenüber Deutschen und Franzosen ) unsern «Schweizer Standpunkt» folgendermassen darzulegen: Steuerbetrug ist auch bei uns ein Delikt. Wenn wir Betrug als Notwehr gegen unliebsame Normen rechtfertigen, verlassen wir den Boden des Rechtsstaates. Auch Steuerhinterziehung, die unvollständige oder unkorrekte Deklaration, ist ein unerlaubter Verstoss gegen Verwaltungsvorschriften, kein Kavaliersdelikt, denn ein Kavalier zahlt seine Steuern, selbst wenn er sie ungerecht und unfair findet. Immerhin erwartet er, dass er von den Steuerbehörden und vom Staat generell ebenfalls als Kavalier, das heisst als ein grundsätzlich korrekter Mensch und Bürger behandelt wird. Ein Staat, der alle seine Bürger als potentielle Verbrecher hinstellt, für jeden Bagatellbetrag einen Beleg einfordert, in Privatangelegenheiten herumschnüffelt, Spitzel beschäftigt oder gar selbst zum Hehler wird, muss sich nicht wundern, wenn es letztlich keine Kavaliere mehr gibt, weil die letzten Kavaliere sich entschliessen, das ganze rigorose und auch ökonomisch absurde steuerliche Überwachungssystem nicht mehr mitzutragen, sondern dorthin zu ziehen, wo man sie wieder als Kavaliere behandelt.
Donnerstag, 19. Juni 2008
Ungleichheit ist not-wendig
«Wenn Freiheit überhaupt irgendetwas bedeutet», lesen wir bei George Orwell, «dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.» Es darf und soll hier klar ausgesprochen werden, dass Marktwirtschaft und Freihandel dazu führen, dass Reiche immer reicher werden, aber sie führen auch dazu, dass Arme schneller reich werden und dass der allgemeine Wohlstand wächst, wenn nicht ein totalitäres Regime durch Zwang und Umverteilung die Produktivität wieder zerstört. Die sogenannten Misserfolge der Marktwirtschaft sind nicht durch ihre Offenheit, sondern durch korporatistische Strukturen, also durch eine verderbliche Verquickung politischer Macht mit wirtschaftlichem Kalkül entstanden. Wenn der Reichtum nicht als Investition wieder in die Wirtschaft zurückfliesst, sondern in Form von Steuern oder Korruption ins politische System umgeleitet wird, so erzeugt er keinen Wohlstand, sondern verstärkt den Teufelskreis politischer Macht.
Mittwoch, 11. Juni 2008
Emil Staiger – nicht von gestern, sondern für morgen
Emil Staiger war im sogenannten Literaturstreit im damaligen Klima zwar «kulturpolitisch unkorrekt», er bewies aber gerade damit intellektuelle Eigenständigkeit und persönlichen Mut. Seine Rede setzte ein Zeichen gegen einen verhängnisvollen intellektuellen Trend. Staiger hat damals in weiser Zurückhaltung auf eine persönliche Verteidigung verzichtet. Es ging ihm nicht um ein Verdikt gegen einzelne Autoren und Werke, sondern um die Äusserung eines sehr berechtigten Unbehagens in der zunehmend antibürgerlichen Unkultur. Er ahnte wohl, dass ihm diesbezüglich – viel später einmal – Gerechtigkeit widerfahren würde. Oft erweist sich nämlich das Unzeitgemässe als das Beständigere, und wer sich gegen den vorherrschenden Zeitgeist stellt, muss wohl einen oder zwei Generationenwechsel abwarten, bis er voll rehabilitiert ist. Die Zeit ist offenbar noch nicht ganz reif dazu. Ich teile als Bildungsbürger Staigers idealistische Sehnsucht nach einer Harmonie zwischen dem Wahren, Schönen und Guten, weiss aber natürlich wie alle selbstkritischen Idealisten, dass es auch viel Wahres gibt, das hässlich ist und viel Schönes, das sich als Illusion erweist. Der hohe Rang, den er dem Schönen einräumte, war eine Auflehnung gegen den in der Nachkriegszeit in Deutschland vorherrschenden Kult der Anklage, der Hässlichkeit, der Abscheulichkeit und der Beschreibung des ungehemmten Auslebens von Trieben. Ob es wirklich Gutes gibt, das nicht mindestens in dem Sinn wahr ist, dass es sich bewährt und in dem Sinn schön, dass es Liebe erweckt, wage ich – in Übereinstimmung mit Staiger – immer noch zu bezweifeln.