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Blattkritik über die September-Ausgabe
Philippe Welti, zvg.

Blattkritik über die September-Ausgabe

Die September-Ausgabe des Schweizer Monats wird von Philippe Welti beurteilt.

Mein erster Eindruck: Auf dem Cover sehe ich eine junge Frau. Schlage ich den Schweizer Monat auf und blättere ihn erst einmal durch, sehe ich allerdings fast nur noch alte, weisse Männer – viele davon sind emeritierte Professoren – und eine betagte Dame. Dazu passt auch der Cartoon: Für mich ein klassischer Fall von Alte-weisse-Männer-Humor, den ich einfach nicht lustig finde.

Ich kenne die Problematik aus eigener Erfahrung: Wenige exponieren sich mit prägnanten Aussagen, wenn sie dadurch Nachteile gewärtigen. Wer nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis steht, hat es da einfacher und muss weniger Rücksicht nehmen. Das ist interessanter für den Monat, aber das Magazin kommt mir diesbezüglich doch etwas old school vor. Wäre es nicht möglich gewesen, jüngere Personen zu prägnanten Aussagen zu bewegen?

Sonst: Mir gefällt das Erscheinungsbild. Es ist edel. Wohltuend unaufgeregt. Das Papier ist matt, ich habe das Magazin gerne in der Hand.

Als Signal-User war ich neugierig auf das Interview mit Meredith Whittacker, der Präsidentin der gemeinnützigen Signal-Stiftung. Wie viele andere auch warnt sie vor der Überwachung durch Künstliche Intelligenz. Eigentlich müsste auch ich zu 100 Prozent auf Signal umsteigen. Doch in meiner Bubble sind die Signal-User dünn gesät. Ein kleiner Kasten mit den Vorteilen von Signal hätte man dem Interview noch beifügen können.

Javier Milei, den libertären argentinischen Präsidentschaftskandidaten, hatte ich bisher nicht auf meinem Radar. Seinen Ansatz finde ich eine Überlegung wert. Doch das Editorial hat mich auf eine falsche Fährte geführt. Ich ging davon aus, dass ich weiter hinten im Monat noch einen vertieften Text dazu finde. Fehlanzeige.

Schmunzeln musste ich ob den «Trouvaillen». Daniel «Covid» Koch als Bundesrat respektive Mr. President. Ein würdiger Berset-Nachfolger, der keine Berührungsängste mit dem Boulevard hat und sein Liebesglück den Schweizer Medien anvertraut. Die Hommage an den Ex-Credit-Suisse-Historiker Joseph Jung ist gelungen. «Spirit of ‘48» ist bestellt.

Ebenso gefallen hat mir der Kommentar von Baschi Dürr. Ja, der Kapitalismus ist kein System. Er steht für die Freiheit der Entfaltung. Ich behaupte sogar: Er liegt in unserer DNA. Für Christine Brand ist er hingegen ein «Gefühl». Die Geschichte ihres Weges zur selbständigen Unternehmerin habe ich so schon zu oft gelesen.

Dem «ewigen» Schachweltmeister Garri Kasparow kann man eine Plattform geben. Im Interview ist er felsenfest davon überzeugt, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland Wirkung zeigen. Dies hätte ich nicht unwidersprochen gelassen und nachgebohrt.

Ich lasse mich gerne inspirieren und will etwas Neues erfahren Deshalb lese ich den Monat. Diesmal hat es mir der «Einwurf» von Severin Heck angetan. Seine Argumentation: Pflanzen binden CO2 aus der Atmosphäre. Deshalb sollten wir bei der Energiewende vermehrt auf das Pflanzenwachstum und damit auf die Renaturierung von unbebauten Flächen setzen.

Zum Schluss noch dies. Sprachliches Imponiergehabe geht mir auf die Nerven. Ein Raum wird nicht grösser oder wichtiger, wenn man ihn wie in einem Kulturbeitrag als «Räumlichkeit» bezeichnet. Dass er in Beamtenstuben und in der Unternehmenskommunikation gehäuft auftritt, ist schlimm genug. Bitte, lieber Monat, verschone Du mich mit solchem Blähdeutsch. Danke.

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