Blattkritik über die Oktober-Ausgabe
Die Oktober-Ausgabe des Schweizer Monats wird von Jean-Marc Hensch beurteilt.
«Zurück zum Zukunftsoptimismus» verkündet auf der Titelseite Claude Longchamp, aber bereits das Inhaltsverzeichnis gibt massiv Gegendruck mit einem Dossier über den «…drohenden Abstieg». Was jetzt nun? Schauen wir mal!
Der Schweizer Monat ist für mich publizistischer Bannerträger des liberalen Geistes in unserem Land und mit dieser Brille lese ich ihn. Dazu finde ich auch in dieser Ausgabe viel Interessantes und Merkenswertes, allerdings auch immer mal wieder Flachsinn und Geschwurbel – was insofern seinen Platz hat, als es die Qualität des grossen Rests hervorhebt. Der Schweizer Monat bietet mir auch in dieser Ausgabe Wissen, Unterhaltung, und ganz viel Meinung. So stimmt es für mich.
Der erste Teil des Heftes ist «starken Frauen» gewidmet. Und in der Tat kommen solche hier zu Wort. Valérie Litz bringt hält ein dezidiertes Plädoyer (sie ist schliesslich angehende Juristin) gegen das feministische Patriarchat, das den gesellschaftlichen Diskurs prägt. Ihr stösst auf, dass Frauen als schwache und hilflose Wesen behandelt und so an der Selbstermächtigung gehindert werden.
Noch energischer ist die von Andrea Seaman interviewte englische Aktivistin Posie Parker unterwegs, welche apodiktisch feststellt: «Es gibt keine Transmenschen». Wo anderswo aus Angst vor dem Shitstorm verwedelt wird, redet sie Klartext und kämpft für Frauenrechte, trotz zahlreicher Anfeindungen. Auch die Philosophin Elena Louisa Lange setzt einen starken Akzent – sie dürfte mit ihren Positionen zu Inklusion wohl häufig anecken, obwohl – oder gerade weil – sie recht hat. Melanie Häner vom Institut für Wirtschaftspolitik punktet hingegen mit Facts zur Gesundheitspolitik. Für mich neu war der von ihr zitierte internationale Vergleich zum «Anteil des unerfüllten Bedarfs an medizinischen Leistungen».
Ja, und auch Männer kommen zu Wort. Prägnant äussert sich Milizoffizier Christoph Hürlimann zur jahrzehntelangen Demontage unserer Armee durch Politiker und Bürokraten. Und unverwüstlich eloquent erklärt uns im Interview Nationaldemoskop Claude Longchamp die langjährigen Zyklen des Wählerverhaltens.
Eigentlich könnte die Blattkritik hier aufhören, denn jedenfalls bei mir ist der Schweizer Monat nicht bekannt für sein Feuilleton. Sehr zu Unrecht, wenn man diese Ausgabe liest, denn sie bringt drei Highlights. Es beginnt mit Patrick Bürglers Analyse der modernen TV-Serien, die die Leistung der Schweizer Filmer im Spannungsfeld zwischen SRF und Netflix ausleuchtet. Von «Motel» bis «Wilder» kommt der «Serienjunkie» (Selbstdeklaration) zum Schluss, dass uns das einheimische Schaffen auch ohne patriotische Brille Einiges zu bieten hat.
Dazu passt der zweite Beitrag, ein Interview von Vojin Saša Vukadinović mit dem Schweizer Filmregisseur Michael Steiner, der nun erstmals selbst eine Serie dreht. Er prangert die typisch europäische Unterscheidung zwischen kommerziellem Film und «Autorenkino» an, die an der Realität vorbeigeht. Und natürlich kommt er mit Genuss auf die verfehlten Diversity-Vorgaben der Zürcher Filmstiftung zurück. Glanzstück des Beitrags ist allerdings das Foto, dass der Interviewer von Steiner geschossen hat: Den normalerweise nur im Glitzersmoking auftretenden Regisseur sieht man hier ganz privat im Schlabberlook mit Badelatschen.
Doch es kommt noch besser: Die Kurzgeschichte von Joseph Wälzholz hat mich begeistert: Eigentlich geht es nur um eine sehr private Erzählung über die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn Verwandte pflegebedürftig werden und es auf das Ende zugeht. Dabei tauchen Fragen auf, die uns wohl alle irgendwie beschäftigen werden, aber auch sozial- und gesundheitspolitische Problemzonen werden angesprochen. In einem nüchternen und sehr persönlichen Stil entwickelt der Autor eine Handlung, welche sich immer mehr steigert. Wenn man denkt, schlimmer oder verrückter kann es nicht mehr kommen, folgt eine weitere Drehung an der Schraube.
Die Oktober-Ausgabe des Schweizer Monats bringt alles in allem eine geballte Ladung Lesevergnügen mit starken Meinungen und viel Munition für liberales Argumentieren. Hoffen wir, dass das angekündigte neue Konzept des Schweizer Monats das Niveau halten wird.