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Blattkritik über die November-Ausgabe
Peter Moser, zvg.

Blattkritik über die November-Ausgabe

Die November-Ausgabe des Schweizer Monats wird von Peter Moser beurteilt.

Eine Blattkritik spiegelt ja immer beides – das Blatt wie den Kritiker. Letzterer ist im vorliegenden Text ein leidenschaftlicher Leser nicht nur aber auch der einschlägigen angelsächsischen Periodika (dazu gehören der unentbehrliche «Economist», der «New Yorker», «Foreign Affairs» sowie die «New York Review of Books» und ihr Pendant aus London). Ihm sind «Bleiwüsten» sprudelnde Oasen, «long reads» ein Labsal.

Zum Blatt: der Novembernummer des Schweizer Monats. Der erste Eindruck: 82 Seiten! Das ist nicht wenig. Kursorisches Durchblättern lässt allerdings ein luftiges Layout erkennen, mit vielen Elementen, die zur Informationsvermittlung, zur Debatte aus meiner Sicht nicht viel beitragen, wie etwa die seitenfüllenden Porträts der Autoren oder die Kernbotschaften im Grossdruck. Mir scheint das entbehrlich; auch den Häppchen der Sektionen Intro oder Apéro oder den kurzen Buchrezensionen kann ich nicht viel abgewinnen. Doch die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, und das mag einem Publikumsbedürfnis entsprechen.

Zudem ist einem derartigen Magazin ja auch seine Bündelhaftigkeit wesenseigen. Man braucht nicht alles zu lesen – wenn man’s denn überhaupt vermöchte. «Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus» – Weiterblättern ist nicht verboten, und man hält sich an das, was einen festhält.

Substanziell und vielseitig sind die Debattenbeiträge zur Jugend und ihrer problematischen Situation in einer Multioptionsgesellschaft, welche die Reizüberflutung durch das allgegenwärtige Smartphone zum ausgeklügelt optimierten Business gemacht hat, das menschliche Grundbedürfnisse der Anerkennung und Zuneigung gnadenlos ausnutzt. Dass die langfristigen Folgen für den Gefühlshaushalt der Generation, die damit aufwächst, thematisiert werden, ist wichtig, auch wenn die langfristigen Folgen übers ganze Leben noch nicht beurteilt werden können. Besonders der Beitrag von Liselotte Staub überzeugt in seiner Mischung von Exempel und Reflektion.

Die Kolumnen von Baschi Dürr und Christine Brand – sicher alles richtig und wichtig, wenn auch in einem Magazin mit dezidiert liberaler Grundausrichtung wie dem Schweizer Monat inhaltlich erwartbar. Auch die eigene Kirche muss ihre Predigt haben.

Für den ehemaligen Germanisten und Liebhaber deutscher Literatur der Vorklassik höchst willkommen: das Gespräch mit Jan Philipp Reemtsma über seine Wieland-Biografie. Einmal abgesehen davon, dass das sehr interessant ist, finde ich, dass auch andere davon wissen sollten. Nebenbei erlaube ich mir eine eigene Empfehlung: Es gibt keinen besseren Cicerone in die entlegeneren Gefilde der deutschen Literatur gerade auch dieser Epoche (aber nicht nur) als die «Dialoge» von Arno Schmidt! Auch mit Wieland hat er sich natürlich befasst. Ich bin sicher, dass sich der Schmidt-Kenner Reemtsma an diesem Hinweis nicht stören wird!

Sehr aufschlussreich sind die Ausführungen von Martin Hellwig zu den Schwächen der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht. Einen derartigen gründlichen Artikel zu einem Thema, von dem ich wenig verstehe, lese ich gerne, weil lehrreich. Er hätte meinetwegen auch noch länger sein können, ebenso wie die Überlegungen von Matt Johnson zur Identitätspolitik, einem zeitgenössischen Denkmuster, das sich zwar zunehmend in seinen eigenen Widersprüchen verhaspelt, aber vielleicht gerade deshalb auch mentale Ressourcen bindet, die man anderswo zur Lösung dringenderer Probleme besser einsetzen würde. Der Augenzeugenbericht Marc Neumanns aus dem amerikanischen Alltag illustriert das sehr schön.

Etwas verschroben schien mir der Schwerpunkt zur modernen klassischen Musik und ihren Akzeptanzproblemen. Zum einen bleibt das ganze naturgemäss blässlich-abstrakt, weil der Gegenstand gehört werden müsste, man aber nur darüber reden kann. Aber wenn man dann auch noch so darüber orakelt wie Clemens Nachtmann und Sebastian Kiefer in ihren Apologien, macht das aus meiner Sicht die Sache nicht besser. Deutsche Professorenprosa vom Feinsten gewiss; doch ich kann diesen überkomplexen, jargonschwangeren Ausführungen wenig abgewinnen – obschon ich barock-überschwänglicher Hypotaxe sonst durchaus nicht abgeneigt bin. Was das Problem der «modernen Klassik» häufig ist, eine Verkopftheit, gepaart mit einer gesunden Dosis Publikumsverachtung, wird hier gewissermassen vorgeführt – und so wird, was als Diagnose intendiert ist, zum Symptom der Krankheit.

Zum Schluss noch das Dossier zur neuen raueren Weltlage, die ja eigentlich in vielerlei Hinsicht nicht neu ist, sondern eher eine Rückkehr zum von Machtpolitik geprägten geschichtlichen Normalzustand. Ob die durch­militarisierte Gesellschaft Israels, die uns Dmitry Adamsky preist, wirklich als Vorbild für die Schweiz taugt, wage ich zu bezweifeln. Ebenso, mit Verlaub, dass seine Ausführungen die komplexe und widersprüchliche Gesellschaft dieses Landes adäquat spiegeln. Aber als Fenster auf die Denkweise der technokratischen Elite Israels ist das natürlich sehr aufschlussreich – dasselbe gilt auch für die indische Perspektive aufs Weltgefüge von Saurav Jha. Es würde manchem, der Aussenpolitik in erster Linie als moralisches Unterfangen versteht, als Gelegenheit mit erhobenem Zeigefinger die Segnungen unserer westlichen Gesellschaften zu predigen, guttun, sie zumindest zur Kenntnis zu nehmen: Von Delhi aus gesehen sieht die Welt eben schon etwas anders aus als von Berlin oder Bern. Und die Zukunft liegt, schon aus demografischen Gründen, eher dort als hier. Kompetent interviewt von Lukas Leuzinger, hat Niall Ferguson wie gewohnt meistenteils recht, mit dem was er erwidert. Schliesslich das Streitgespräch von Christoph Frei und Paul Widmer – ein Genuss. Der schweizerischen Aussenpolitik würde es guttun, wenn öfters auf diesem Niveau diskutiert würde!

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