Blattkritik über die November-Ausgabe
Die November-Ausgabe des «Schweizer Monat» wird von Benjamin von Wyl beurteilt.
Die Herausforderung jedes weltbildlich klar verortbaren Magazins ist es, sein Publikum auf eine Weise zu überraschen, die für das Publikum interessant ist. Es ist immer ein Gratgang zwischen «Preaching to the Converted» und dem Herausfordern des Publikums. Diese Herausforderungen können auf verschiedene Arten gelingen: Originelle Argumentationslinien in eigenen Texten, neue Ansätze an bereits im Milieu bekannte Themen, sowie Themen für das Milieu entdecken, die es eigentlich nicht sind. Die letzte Art, wie ein klar verortbares Magazin interessant bleiben kann, ist Exklusivität: Primeurs und journalistisches Handwerk. Dies ist allerdings nicht der Fokus des Schweizer Monats, generell schwierig bei Monatsmagazinen und würde wohl mehr angestellte Journalistinnen bedingen: Leute, die die Aktualität verfolgen und im richtigen Moment recherchieren und zustechen.
Trotzdem gelingt genau dieses letzte Beispiel Lukas Leuzinger mit dem Kurztext «Locker-flockig dringlich», in dem dieser beschreibt und anprangert, dass das Schweizer Parlament das Corona-Gesetz erneut im «dringlichen Verfahren» verlängert hat – obwohl man es einfach früher hätte traktandieren können. In eine ähnliche journalistische Sparte fällt der – selbst wenn es sich um eine aufbereitete Masterarbeit handelt – Artikel, in welchem Clara Goebel quantitativ nachzeichnet, wie viel häufiger Bundesrat Berset in den Medien in positivem Kontext erwähnt wird als Bundesrat Maurer. Ich sage journalistische Sparte, weil derselbe Artikel als Meinungstext langweilig gewesen wäre – die Datengrundlage und Recherche macht ihn interessant.
Auch in eher auf der longue durée ausgelegten Themen unterläuft der Schweizer Monat Erwartungen, die man an ihn stellen würde, so ist etwa der überlegte und viele Ansätze verfolgende Schwerpunkt zum Thema Tod und Sterben sehr gelungen. Ebenso wie der Artikel zur Monopoltendenz der globalen Tech-Konzerne: Analyse und Kritik von Monopolbildung ist ein urliberales Thema – entlang der gegenwärtigen politischen Gräben scheint es mir aber etwas zu selten diskutiert. Das mag an der Realpolitik (beispielsweise «Lex Netflix»-Debatte) liegen, scheint mir aber umso mehr als Thema für den Schweizer Monat fruchtbar.
Die Kolumnen von Christine Brand und Baschi Dürr habe ich beide gerne gelesen, weil sie sich nicht in breit getretenen Narrativen ausruhen – redaktionell hinterfragen würde ich den Entscheid, Dürrs Kolumne gegen eine auf «die Ewigkeit» ausgerichtete Politik in der gleichen Ausgabe zu publizieren, die ein – solides – Dossier über «Die Schweiz in 20 Jahren» enthält.
Der Schwerpunkt befasst sich mit «Zentralbanken am Scheideweg». Ein aktuelles und interessantes Thema. Aber der fordert, zumindest aus meinem Aussenblick, niemanden heraus: Im Editorial des Magazins startet Ronnie Grob mit der Aufhebung des Goldstandards 1971, der frühere Privatbankier Karl Reichmuth setzt in seinem ersten Satz mit der Aufhebung des Goldstandards 1971 ein. Im Artikel von Hans Kuhn ist der Übergang zum «Fiatgeld» immerhin vor den ersten Zwischentitel gerückt. Auch der Artikel über die Europäische Zentralbank von Peter Kuster – für mich der beste dieses Schwerpunkts – beginnt mit einer historischen Chronik. Immerhin hat die EZB keinen Bezug zur Aufhebung des Goldstandards. Die Geschichte, wie sie Reichmuth erzählt, wie sich das Geld vom Goldstandard verabschiedet hat, dies die Zentralbanken «zur Aufnahme von riesigen Schuldenbergen verlockt» habe und wie die Hoffnung nun womöglich, in Kryptowährungen liege, habe ich in den letzten Jahren zehntausendmal gehört, gelesen, ja, ich denke, sie ist mir sogar als Social-Media-Werbevideo aufgeploppt. Ich würde das Magazin nicht mit diesem Text eröffnen – und ich hätte es spannender gefunden, wenn der Schweizer Monat Autoren beauftragt hätte, an bestimmte Themen, in bestimmte Bereiche heranzuzoomen. Was ich beispielsweise hochinteressant gefunden hätte, wäre ein Gedankenspiel, was die Zentralbanken und Regierungen denn während der Finanzkrise 2008/2009 aus liberaler Sicht hätten tun sollen. Das wäre eine Perspektive, die ich noch nie gehört habe. Ebenso hätten die Schreibenden verschieden an ihre Texte herangehen können: Kusters Text über die EZB hätte mich mehr gepackt, wenn er etwa mit dem entscheidendsten Moment in der Geschichte der Bank eingestiegen wäre statt mit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags.
Dieser Schwerpunkt ist – in der Ausrichtung des Hefts logisch – am Anfang des Magazins. Doch in seiner gleichförmigen Starre fühlte er sich wie eine Wand an. Auf Seite 24 kommen erst die ersten Kolumnen. Ich würde die Kurzformate nach vorne holen, sie erleichtern den Einstieg ins Heft. Das zugänglichste und bunteste Format «Apéro – Häppchen aus der Alltagskultur» kommt auf Seite 54. Das gehört für mich ebenfalls an den Anfang des Magazins. Zudem frage ich mich, ob das Konzept nicht ausgeweitet werden könnte: Der Schweizer Monat könnte durchaus auch – sehr subjektiv gefärbte – Lifestyle-, Einrichtungs- und Freizeit-Häppchen bieten.
Ich bin nicht Teil eurer Zielgruppe. Doch jede Zielgruppe möchte sich erkannt fühlen, eben etwa auch in ihrem, keine Ahnung, Bartpflegeproduktegeschmack. Dies ist auch nicht bloss «Apéro», ein Zückerchen, Hedonismus – sondern ermöglicht auch ein Framing auf der Bauchgefühlebene.