Blattkritik über die Februar-Ausgabe
Die Februar-Ausgabe des «Schweizer Monat» wird von Cristian Cardoso beurteilt.
Diese Replik beinhaltet unterschiedliche Aspekte: selbstkritische Erkenntnisse, ernstgemeinte Komplimente, konträre Ansichten und kritische Urteile. Sie soll aber vornehmlich einer konstruktiven Rückmeldung dienen, mit dem Ziel, eine begründete Gegensicht zu transportieren – so jedenfalls meine treue und gutgläubige Absicht.
Selbstkritik als Grundlage einer Blattkritik
An dieser Stelle sei festgehalten, dass mein Tweet, der zu diesem Replikangebot geführt hat, letztlich eine zu kritische Reaktion meinerseits war – zumindest in bezug auf diese Ausgabe und die Artikel, die ich gelesen habe. Die Beschreibungen «rechtslibertär» und «diktaturbagatellisierend» waren in bezug auf die Gesamtheit der Artikel rückblickend übertrieben. Dafür gebührt mir Asche über mein Haupt und es veranlasst mich dazu, inskünftig abzuwarten, eine solche Beschreibung zu verfassen.
Der Start: Was überzeugt?
Nichtsdestotrotz liegen in dieser Ausgabe Ansichten, Formulierungen und Behauptungen vor, die in mir «Aber-Reflexe» ausgelöst haben und hier einen begründenden Raum erhalten sollen. Doch wie es sich für eine konstruktive Kritik gehört, werden in einem ersten Schritt zunächst die genuinen Komplimente angebracht:
Hier sei zunächst das ansprechende Layout genannt. Das Inhaltsverzeichnis, die einzelnen Artikel mit den unterschiedlichen Layout-Ebenen (kurz: das Corporate Identity Design des Magazins) vermag zu überzeugen.
Inhaltlich hat mich das Dossier zum Thema Human Enhancement sehr beeindruckt und bleibende Einblicke hinterlassen. Besonders eindrücklich empfand ich das Interview mit dem nüchternen, technisch-pragmatischen Basler Transhumanisten Mike Schaffner sowie den Selbstversuch des stellvertretenden Chefredaktors. Auch der Artikel zu Prothesen war äusserst ansprechend. Leuzingers und Belsers Artikel vermögen jeweils anschaulich darzustellen, was Hilfsmittel für einen Wert für Betroffene haben beziehungsweise was das Fehlen solcher für Einbussen der Lebensqualität bedeuten kann. Wirklich toll. Auch die anderen Artikel zu Human Enhancement waren hochinteressant und gaben Einblicke in (fast sci-fi-ähnliche) technologische Errungenschaften, die das Potenzial einer Transzendierung beinhalten. Ein gutes Beispiel hierfür ist die These von Michael Greve und Isabelle Schiffer, dass das Alter(n) gegebenenfalls zu einem Relikt der Vergangenheit werden könnte.
Der Druck zur permanenten Optimierung
Was solche (beinahe romantisierten) Zukunftsvorstellungen für schwierige, gesellschaftlich-soziale wie auch ethische Fragestellungen aufwerfen können, das kam mir in diesem Dossier zu kurz. Zwar wurden in vereinzelten Artikeln oberflächlich-rhetorische Fragen der sozialen Gerechtigkeit gestellt. Im Artikel bezüglich Neuralink wurden von Surjo R. Soekadar nicht zu unterschätzende Schreckensszenarien direkt thematisiert. Der soziale Druck einer Gesellschaft, diese übermenschlichen Technologien zur Selbstverbesserung nutzen zu müssen (oder im Umkehrschluss die soziale Verachtung beim Ausbleiben dieses Bedürfnisses), bleibt unthematisiert. Dieses Phänomen wäre durchaus bekannt und könnte mit einleuchtenden Beispielen hinterfragt werden. Beispielhaft wäre die pränatale Diagnostik, bei der es seit einiger Zeit möglich ist, ohne nennenswertes Risiko der Mutter mit einer Treffsicherheit von nahezu 100% herauszufinden, ob das künftige Kind Trisomie 21 haben wird oder nicht. Die Folge: 9 von 10 Frauen treiben bei dieser Diagnose das Kind ab. Was bedeutet das für die Frau, die sich bewusst für dieses Kind entscheidet?
Natürlich kann man jetzt einwenden, dass es hinsichtlich der Impffrage aus der Perspektive des Human Enhancement eine ähnliche Dynamik annimmt, was zum Teil korrekt ist. Jedoch mit dem kleinen, aber durchaus wichtigen Unterschied: Beim einen geht es schlussendlich um den Schutz eines signifikanten Teils der Gesellschaft, beim anderen um die egozentrische Selbstoptimierung und das Besserwerden im Vergleich zum Rest. Ist das sozial (im Sinne eines der wesentlichen Attribute des Menschseins)? Sind wir dann überhaupt noch Menschen? Oder doch eher organische Maschinen? Ist das für die Psyche gesund? Eine solche ethische Thematisierung mit damit verbundenen Spannungsfeldern hätte mich sehr interessiert.
Und zuletzt ein anderer Teil, der mir sehr gefallen hat: Die «Politik für Zyniker»-Kolumne Leuzingers mit der berechtigten Frage/Kritik der (meist im bürgerlichen Lager vorhandenen Mehrfach-)Mandate und Interessenkonflikte.
Wir gegen die Elite – aber sind das nicht wir?
Doch nun zum Titelschwerpunkt dieser Ausgabe, dem «Aufstand gegen die da oben», allen voran dem Artikel von Martin Gurri: Die Ausführungen zu den neuen Technologiemöglichkeiten, dem exponentiellen Wachstum der Informationsdichte und den damit verbundenen Herausforderungen waren äussert interessant und anregend. Wie diese die Kommunikation und die (Selbst-)Präsentation der Politik, aber auch der Bürger(innen) verändert hat, war ebenso ansprechend. Das konstante «Eliten-Bashing» innerhalb westlicher Demokratien und das schon beinahe Mystifizieren dieser «Gattung» als eine Art «weltfremde, gezüchtete Spezies» irritierte mich hingegen sehr. In oligarchischen, scheindemokratischen Strukturen wie in Belarus oder gewissen Ländern Afrikas mag es eine derartige Elite geben (was durch Korruptions- und Pressefreiheitsindizes erkenntlich ist). Aber wie das auf westliche Demokratien (oder im Artikel des Chefredaktors sogar auf die Schweiz) umgemünzt wird, ist nicht nur bedenklich, sondern schlicht postfaktisch. Interessant fand ich den Abschnitt hinsichtlich der «staatlichen Kriege», zum Beispiel gegen Drogen, die nachweislich wenig erfolgreich waren. Doch was waren die Gründe für das Scheitern? Ein konstantes Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse, begründet mit einer Ideologie, die meist von «volksnahen RepublikanerInnen» entstammt.
Ein weiterer Aspekt dieses Artikels: Selbstverständlich ist das Internet eine der grössten Bedrohungen für Demokratien (fairerweise: auch für andere Regierungsformen). Der Grund: Es ist möglich, unglaublich schnell nachweisliche Unwahrheiten zu verbreiten, die gewisse Personengruppen massiv beeinflussen (Stichwort: Donald Trumps Bleiche zur Coronabehandlung) oder mit anstachelnden Worten zunehmend radikalisieren (Stichwort: Capitolsturm wegen nachweislichen Falschbehauptungen). Der Zenit: Gewalttaten ‒ und das ist nur die offizielle Spitze. Anonyme Gruppen im Darknet oder anderen Portalen thematisiere ich erst gar nicht. Es liegt ein existenziell-vitales Interesse einer demokratischen Gesellschaft daran vor, dass nachweislich falsche und gewaltbefeuernde Informationen nicht reproduziert werden.
Infantilisierung der Frau: agree to disagree
«(…) Frauen zu ermutigen, sich vermehrt selbst einzubringen, Panels in Eigenregie durchzuführen oder sich das nötige Fachwissen anzueignen, um gebucht werden zu können (…)», schreibt Nicole Ruggle in ihrem Artikel «Die Infantilisierung der Frau» – Ansichten, die ich mit der Autorin teile. Was ich in diesem Artikel aber zu vereinfacht, ja beinahe schon bemühend finde, ist die absolute Delegation der Verantwortung hin zum Individuum und das komplette Stillschweigen struktureller Aspekte: Selbst Top-CEOs von Schweizer Unternehmen gestehen in einem kürzlich erschienenen Artikel ein, dass sie es als Frau mit höchster Wahrscheinlichkeit schwieriger gehabt hätten. Sie begründeten dies mit unternehmensinternen Strukturen und den veralteten Vorstellungen der Entscheidungsträger (bewusst im pluralen Maskulin). Es gibt mehr als genug Erfahrungsberichte betroffener Frauen, die mit derselben (wenn nicht sogar besseren) Qualifikation nicht den Vorzug erhalten.
Meine letzten Bemerkungen zu Ruggles Artikel: Selbstverständlich ist Familie im Grundsatz Privatsache, auch hier bin ich mit der Autorin einig. Dies darf und muss aber meiner Auffassung nach relativ verstanden werden. Denn allerspätestens, wenn es zu Gefährdungssituationen kommt, darf es nicht mehr Privatsache bleiben. Zudem würde eine «absolute Auslegung» den Fakt ignorieren, dass es Situationen gibt, in denen Familien nicht selber Abhilfe schaffen können. Das kann auch bei der Frage nach der Arbeitsteilung der Fall sein. Vielen Familien ist es aus ökonomischen Gründen schlicht nicht möglich, eine Arbeitsteilung vorzunehmen, so beispielsweise bei meinen aus Argentinien immigrierten Eltern. Ohne familiäres Netzwerk und angewiesen auf zwei Monatseinkommen blieben ihnen nur zwei Möglichkeiten: entweder der Verzicht auf Familiengründung, da eine Reduktion eines Pensums (oder im Idealfall beider) für die Betreuung der Kinder nicht möglich war – oder die Inanspruchnahme einer staatlich hervorgebrachten Kinderbetreuung. Ich bin glücklich, haben sich meine Eltern für Letzteres entschieden, denn ich bin gerne hier und bin froh um die Erfahrungen im Tagesheim, die mich bis heute prägen. Dass diese vom Staat finanziert werden, ist natürlich im gesamtgesellschaftlichen Interesse: Es schafft Chancengerechtigkeit, da es u.a. in die frühe Bildung investiert, es schafft Anreize zur Erwerbstätigkeit, es kann belastete Familiensysteme entlasten (was auch aus psychosozialer und folglich [gesundheits-]ökonomischer Hinsicht vorteilhaft ist) und würdigt die zuvor erwähnte Tatsache, dass nicht alle eine Reduktion des Pensums umsetzen können.
Im übrigen beschränkt sich diese Unmöglichkeit keinesfalls nur auf den finanziellen Aspekt, sondern hat auch Gründe innerhalb der Arbeitswelt: Der Grossteil der erwerbstätigen Männer arbeitet nach wie vor in handwerklich-industriellen Berufen, auf dem Bau oder im Finanzsektor – und seien wir ehrlich, Teilzeitpensen in diesen Bereichen sind schlicht eine Utopie und werden seitens Arbeitgeber kaum bewilligt. Oder kennen Sie einen Schreiner, der 60% arbeitet? Ein Sanitär oder ein Elektriker, der jeweils nur morgens arbeitet, um den Kindern Mittagessen zu kochen und am Nachmittag bei ihnen zu Hause zu bleiben? Oder ein Bauarbeiter, der jeweils am Montag oder Freitag nicht arbeitet, um einen «Papi-Tag» einzulegen?
Ein guter Freund teilte mir kürzlich in einem Gespräch mit, dass sein Teamleiter, als dieser sich beim Filialleiter einer Bank nach einer Reduktion von 100% auf 80% erkundigte, als sinngemässe Rückmeldung erhielt: «Stellen Sie sich ein Familienbild auf ihr Pult, das muss reichen. Bei 80% können Sie Ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Sie haben ja dann am Wochenende Zeit für die Familie.» Mit Verlaub: Es sind somit nicht (nur) individuelle Entscheidungen für oder gegen ein Teilzeitpensum. Es bedarf ganz klar einer Haltungsänderung der Arbeitgeber in diesen Arbeitsbereichen – und das kann eine Einzelperson nicht hervorbringen, ohne mit äusserst nachteiligen Konsequenzen rechnen zu müssen. Spätestens in solchen Momenten wird es Aufgabe der Politik (oder des Staates), hier gewisse (Anreiz-)Strukturen zu setzen. Denn bekanntlich ist Freiwilligkeit kein wirklich leistungsstarker, schneller Veränderungsmotor.
Editorial, Thiel’sche Satire, Kulturschock Maskenfreiheit und günstig bauen: Nochmals agree to disagree
Ich möchte hier mehrheitlich auf die Inhalte des Editorials eingehen und die anderen Schriftstücke nur stichwortartig kritisieren:
- Kolumne Brand: Die Flucht nach Sansibar als Land ohne jedwede Schutzmassnahmen während einer Pandemie ‒ warum sollte dafür Toleranz erwartet werden? Es ist ein Affront gegenüber dem seit Monaten am Limit laufenden Pflegepersonal und gegenüber jenen, die sich ein schnelles Ende der Pandemie wünschen und so auf gewisse schöne Aktivitäten verzichten (um so eben Ansteckungsketten zu verhindern).
- Kolumne Dürr: Nicht bauliche Mindeststandards sind verantwortlich für steigende Mietpreise, sondern die Renditeorientierung (die durch einen BGE nun noch höher ausgelegt werden darf). Die Mieten sind per se zu hoch, was die Raiffeisen-Studie nachweist ‒ und das, obschon der Referenzzins seit Jahrzehnten sinkt. Das macht ja auch Sinn, wenn Anreize für noch mehr Rendite gefördert werden, nicht?
- Die Ironie des Ernstfalls: Der Artikel von Andreas Thiel transportiert verschwörungsmythische Annahmen (unsichtbarer Feind, der Kinder verschont ‒ obwohl sie nachweislich auch Ansteckungspersonen sind). Auch äussert er mehr als fragwürdige Inhalte: «Alle bisher verfügbaren Daten deuten auf einen Fehlalarm hin, und zwar sowohl auf die Fallzahlen wie auch die Krankheitsverläufe und Sterberaten.» Was?! Ein Beispiel: Die Spital- bzw. IPS-Auslastung war zu gewissen Zeitpunkten mehr als kritisch, und das trotz bisher in der Schweiz noch nie dagewesenen, einschränkenden Massnahmen. Wo ist der relative Vergleichswert? Und unabhängig von diesem Artikel: Dass Thiel als Schulrat zu einem Maskenboykott aufruft, ist schlicht verantwortungslos.
Doch gerne möchte ich mich nun dem Editorial zuwenden, bei dem es einige Aspekte gab, die in mir die Reaktion des Blattkritik-Titels ausgelöst haben:
Das neidische Schielen auf China als einziges Land mit einem BIP-Wachstum wirft bei mir Fragezeichen auf. Wenn (v.a. Rechtsbürgerliche) ehrlich sind, müssen sie eingestehen, dass dieser Umstand erst durch diktatorische und menschenrechtsverletzende Massnahmen ermöglicht wurde (die notabene weiterhin aktiv sind). Dass dieses Vorgehen den Linken zugespielt werden möchte, ist arg bemühend.
Der Abschnitt hinsichtlich hilflosen Zuschauens und des Aufbrauchens der eigenen Ersparnisse ist leider eine bittere Realität. Doch an was liegt das? Es hat primär zwei Gründe: Die rechts- sowie liberalbürgerlichen Blockaden für ein unkompliziertes und schnelles Bereitstellen grosszügiger, finanzieller Hilfen, gepaart mit einer Ignoranz eines Teils der Bevölkerung, der zu einer bewussten Umgehung der Schutzmassnahmen aufruft, was Ansteckungen begünstigt und somit alles unnötig in die Länge zieht. Das wiederum führt dazu, dass der BR schlicht und ergreifend auf das Verhalten der Bevölkerung reagieren muss. Dies hat nichts mit einer totalitär regierenden Staatsgewalt zu tun ‒ zumal sämtliche Entscheide eine gesetzliche Grundlage haben und das Parlament jederzeit die Möglichkeit hätte zu intervenieren. Tut es aber nicht. Warum? Weil ein Grossteil des Parlaments (als direktdemokratisch gewählte Vertretung) dahintersteht. Zudem ist es doch einfach Fakt, dass aufgrund des Virus gewisse Aktivitäten schlicht mit einem zu grossen Risiko verbunden sind, das letzten Endes uns alle trifft. Ist das in einer Ausnahmesituation erstrebenswert? Nein.
Eine weitere Bemerkung betrifft das bemühende Argument «Man muss Risikogruppen schützen und die, die Angst haben, sich selber». Es stimmt, dass diese Gruppen prioritär behandelt werden müssen, und es ist beschämend, wie langsam wir im Vergleich zu Israel oder Chile impfen. Auch muss dann in der Tat diskutiert werden, inwiefern die aktuellen Massnahmen verhältnismässig sind, wenn die Risikogruppen so erst einmal geschützt sind. Nur funktioniert diese egozentrische Verantwortungsabgabe schlicht nicht bei einem respiratorisch übertragbaren Virus, das von uns allen getragen und verbreitet wird. Ein Eigenschutz ist kaum möglich, gegebenenfalls nur mit FFP2-Masken (was wiederum Know-how benötigt und, seien wir ehrlich, vornehmlich der Pflege vorbehalten sein sollte). Ich meine, wo wären wir, wenn wir dieses egozentrische Verantwortungsverständnis zu Ende denken? Bei jedem (Straf-)Tatbestand würde es dann heissen: «Tja, Sie haben sich halt nicht genügend geschützt, wenn sie solche Angst hatten.» Das Aggressionsprinzip ist in dieser Situation eigentlich klar, denn ein bewusstes Inkaufnehmen der Verletzung körperlicher Integrität durch eine Ansteckung (notabene durch die neuen Varianten noch wahrscheinlicher) fällt auch in diese Kategorie, v.a. wenn Schutzmassnahmen nicht eingehalten werden.
«Lustig» ist auch: Meiner Erfahrung nach sind die Personenkreise, die sich nun vehement gegen diese Schutzmassnahmen äussern, auch diejenigen, die sich wegen datenschutzrechtlichen Aspekten vehement gegen eine umfassende Tracing-Strategie gestellt haben und wahrscheinlich bis heute die Tracing-App nicht installiert haben ‒ obschon dies eines der erfolgreichsten Rezepte wäre, wie Südkorea beweist.
Und mein letztes Votum: Im Editorial kann aus der Kritik gegen das BAG und die Volksvertretenden ein Wunsch nach mehr Demokratisierung gewisser Lebensbereiche (zumindest implizit) interpretiert werden. Als einer der wichtigsten sozialdemokratischen Forderungen kann ich dem nur beipflichten! Die Frage nach der Ausgestaltung wäre sicherlich ein spannendes Thema, das es zu diskutieren gilt. Ein Kerninhalt dieses Wunsches müsste dann aber konsequenterweise sicherlich sein, dass der Zugang zur direkten Demokratie erhöht und Hürden gesenkt werden müssen, so zum Beispiel durch das Gewähren eines Stimmrechts für AusländerInnen ab einer Niederlassungsbewilligung oder die Gewährung des Stimmrechtsalters ab 16. Dafür existieren genügend politikwissenschaftliche Argumente, was für eine Autorenzeitschrift u.a. für Politik sicherlich auch interessant wäre. Und der Wille der Bevölkerung könnte von der «bösen, diktatorisch-totalitären Elite» besser abgeholt werden, nicht?
Replik mit Vorschlägen
Eine Kritik ohne Vorschläge ist vieles, aber nicht konstruktiv. Daher widmet sich dieser Absatz möglichen Ideen, die einen Beitrag leisten können, multiperspektivischere und somit diskursivere Inhalte zu generieren:
- Streitgespräch/-interview mit Personen, die entweder ein anderes politisches Verständnis (oder zumindest ein anderes des Liberalismus) haben und diese zu einem kontroversen Thema befragen. Zum Beispiel eine Diskussion, wie dieses Virus aus Sicht des Liberalismus zu werten und entsprechend zu behandeln sei. AvenirSuisse als liberaler ThinkTank sieht beispielsweise eine temporäre Privilegierung von geimpften Personen (also im Sinne eines Anreizes) in einer liberalen Gesellschaft durchaus als realistische und realisierbare Möglichkeit.
- Eine regelmässig erscheinende, «gut-menschliche, grün-links-versiffte» Kolumne hätte sicherlich eine erfrischende Wirkung und wäre in der Lage, innere Haltungs- und Begründungsprozesse der Autorenschaft als auch der Lesenden in Gang zu setzen. Thematisch zum Beispiel in bezug auf die Schweizer Staatsverschuldung, die wir uns jenseits der dogmatischen Betrachtungen locker leisten könnten, was auch ein Artikel von TheMarket der NZZ aufzeigt.
- Die Möglichkeit von LeserInnen-Briefen zur Kommentierung eines Artikels dünkt mich ebenso eine interessante Möglichkeit für mehr Diskursivität innerhalb der Zeitschrift.
Cristian Cardoso wurde anlässlich einer Auseinandersetzung auf Twitter zur Blattkritik eingeladen. Wir danken dem Autor herzlich für das ausführliche Feedback.