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Blattkritik über die Dezember-Ausgabe
Urs Grob, zvg.

Blattkritik über die Dezember-Ausgabe

Die Dezember-Ausgabe des Schweizer Monats wird von Urs Grob beurteilt.

Ehrenvollerweise hat mir die Redaktion die Blattkritik der Dezember-Ausgabe des Schweizer Monats aufgetragen. Eine Aufgabe, der man noch so gerne nachkommt. Das Titelblatt präsentiert die Themen: Finma, Bonnie & Clyde, Ukraine und Atomwaffen. Darunter ein Portrait zur eigentlichen Titelgeschichte. Es ist offensichtlich: Hier wird der Leserin unter den Rubriken Politik, Wirtschaft und Kultur etwas abverlangt! Ob es sie auch zum Lesen verführt? Kaum umgeblättert, wirft die Ausgabe noch mehr Fragen auf. Das Inserat in eigener Sache klärt darüber auf, dass man die letzte echte Ausgabe eines Monatsmagazins in Händen hält, das sich schon bald in eine Quartalspublikation verwandelt – der Schweizer Monat wird zu «Q»; die Referenz an Ian Flemings MI6-Quartiermeister ist wohl zufällig. Oder ist damit der Anspruch angezeigt, dass sich das liberale Monatsblatt betont smart der Tatsache stellt, dass die lange Ehe von Druck und Werbung zerbrochen ist? Auf alle Fälle werden Abonnenten zu Mitgliedern, die Leserschaft zur «Community». Ich wünsche den neuen Publikations- und Veranstaltungsformaten schon jetzt viel Erfolg und Publikum!

Zur Inhaltsübersicht gäbe es einiges zu sagen: Da verkauft sich das Heft unter Wert. Aber das wird ja jetzt bald alles anders, lassen wir’s gut sein. Das Kurzfutter unter Rubrik «Intro» scheint mir nur halbgar: Der Schweizer Monat bekennt sich zum Bargeld, das sollte er auch deutlich hinschreiben, als Leser will ich nicht zwischen den Zeilen lesen müssen. Dito klingt in der zweiten Trouvaille eine Kritik an digitaler Zensur an – auch wenn es um den abgewählten US-Präsidenten geht. Schreibt es das nächste Mal deutlicher! Wenn Liberalismus schmerzhaft wird, braucht es Klarheit im Ausdruck. Die Kritik an vermeintlichen Auswüchsen der Parteienfinanzierung verfängt bei mir nicht – diese Brötchen sind zu klein, um sich darüber aufzuregen.

Das Editorial startet schwungvoll und verargumentiert in einer geraden Linie US-Staatsanleihen zu Ramschpapieren. Auch wenn dies korrekt sein kann, findet Kapital trotzdem keine Sicherheit in Bitcoin und anderen Kryptowährungen. Abgesehen davon: als hungriger Leser steuere ich direkt die Titelgeschichte und dann interessegeleitet weitere Beiträge an. Über das Editorial stolpere ich nur gelegentlich, bevorzuge dann aber einen hitzigen oder humorigen Bezug zum Aktuellen oder eine wirkliche Lesehilfe fürs Magazin.

Das Bild auf der Doppelseite, die den Schwerpunkt zur Finanzmarktaufsicht, weckt dann Emotion – zum ersten Mal. Die dunkle Masse der Geschädigten des Zusammenbruchs einer Berliner Bank 1932, versammelt in einem Saal. Das erinnerte mich an die letzte Generalversammlung der Credit Suisse, nur die Hüte waren 1932 noch zahlreicher, die Gemütslage aber wohl dieselbe.

Das Stück von Hans Kuhn über die Regelung kryptobasierter Vermögenswerte durch die Finma ist Anlass für ein paar Bemerkungen aus der Schule der Verständlichkeit. Kuhn schreibt ein hervorragendes Deutsch in kurzen bis maximal mittellangen Sätzen. Kaum ein Passiv oder ein Infinitiv, Wolf Schneider selig hätte seine helle Freude am Text gehabt. Ein Beitrag wie aus einem Block gefräst, aber: man versteht trotzdem nicht, was drinsteht! Bei so kompetenten Experten wäre es die noble Aufgabe der Redaktion, solange auf Verständlichkeit zu drängen, bis der Laie die Sprache der Eingeweihten versteht. Die noch bessere Alternative wäre ein Interview mit dem Autor gewesen, in dem sich das Verständnis der Leserinnen den Fragen des Interviewers hätte entlanghangeln können.

Der Beitrag von Rolf Weber fängt mit einem Satz an, der Hoffnung machen könnte für die kommenden 200 Seiten eines Kriminalromans, in dem entweder ein Finanzmarktexperte oder gar ein Finanzminister irgendwann unter vorerst ungeklärten Umständen aus dem Leben scheidet. Leider wird die Hoffnung enttäuscht, der Text bleibt in nobler Distanz zu konkreten Problemen. Im Schlussabschnitt steht er bei den beiden Fragestellungen, zu denen man vom Autor gern mehr erfahren hätte.

Am Anfang des dritten Artikel im Finma-Schwerpunkt zeichnet der Autor schwungvoll ein Bild: ein Becken mit 100 Haien und tausenden kleineren Fischen. Selbst chinesische Ingenieure sähen sich durch das Projekt herausgefordert. Für den Artikel hätte ich eine Bademeister-Analogie aussichtsreicher gefunden. Und diesem selber etwas mehr Fokus vielleicht auf nur eines der vielen angerissenen kritischen Themen. So paddelt der Autor durch das Wellental der aktuellen Diskussion über die Finma, ohne eine Welle richtig zu erwischen.

Mit den beiden auf einer Seite nebeneinander gestellten Kolumnen von Baschi Dürr und Christine Brand ist es dann eine durchaus betrübliche Sache. Dass diese beiden exquisiten Federn nicht ins neue «Q» hinübergerettet werden, ist beklagenswert! Man hätte sich auch vorstellen können, dass die zwei sich zum Abschied länger unterhalten hätten über den liberalen Optimismus und das liberale Nein. Und die Redaktion aus dem Gespräch eine satte Doppelseite fabriziert hätte. Aber eben, vielleicht gibt es ja tatsächlich ein Wiederlesen… Der gegenüberliegende Cartoon von Polloi zündet beim Blattkritiker nicht.

Das Interview mit dem Ökonomen Gabriel Calzada über den steinigen Weg bis zur Eröffnung der Universidad de las Hesperides auf Gran Canaria ist dann ein Stoff, den man kaum in einer anderen Printpublikation als dem Schweizer Monat liest. Interessant. Angesichts der hochprofiligen Unterstützer und dem anspruchsvollen akademischen Ansatz bin ich gespannt, was aus der Universität in den nächsten 16 Jahren wird.

Peter Kuster geht in seinem Stück der Frage nach, warum die Massnahmen des Bundesrates während der Corona-Pandemie Gefolgschaft bekommen haben. Seine Betrachtungen sind feinsinnig und interessant zu lesen. Mir persönlich fehlt nur der Aspekt, dass auch die verbreitete Angst vor einer unbekannten, lebensgefährlichen Erkrankung diese Gefolgschaft befördert hat; unter Umständen noch mehr als andere gesellschaftliche Veränderungen, die der Pandemie vorausgingen.

Ein Lesespass dann die knackig vorgeführte These von Claudio Pietra, dass unsinnige und widersprüchliche Regulierungen nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in den ach so solide verwalteten Ländern des Nordens einem das Leben schwer machen können. Der Ausflug in die Realpolitik mit Erich Weede macht mir dann wieder etwas weniger Spass. Ist das jetzt ein Votum für mehr oder für weniger Atomwaffen? Der Text ist mir zu theoretisch und sortiert teilweise die Fakten nicht richtig. So trifft es nicht zu, dass der Westen Russland keine Einflusssphäre zugesteht. Das Beispiel Syrien zeigt schon das Gegenteil, da haben sich die westlichen Länder vollends um ihren Einfluss gebracht.

Der Beitrag von Magatte Wade und ihre Forderung nach mehr wirtschaftlicher Freiheit auf dem afrikanischen Kontinent ist für mich der beste Beitrag im Heft. Engagiert und aus einer nicht-eurozentrierten Perspektive verfasst, gibt sie uns viel zum Nachdenken auf den Weg. Wenn ich Beiträge in einem liberalen Monatsmagazin lesen möchte, dann sind es genau solche!

Gefällig, aber für mich zu harmlos dann das Portrait über die Kündig-Gruppe. Für solche Rubriken hoffe ich für die Zukunft auf audiovisuelle Beiträge auf der Website von «Q». Für einen wirtschaftlichen Akteur entsteht ein Gespür nur aus dem Lesen der Unternehmensbilanz, in Grafiken dargestellten Eckwerten und bewegten Bildern. Das Wort allein genügt mir dafür nicht.

In der folgenden Kolumne startet Alexandra Janssen schwungvoll in den Text, löst aber den Anspruch nicht ein. Der Appell am Schluss ist mir zu brav. Der Unterhaltungswert von Christoph Luchsingers Kolumne ist ungleich höher. Sie zeigt einmal mehr, dass es Spass macht, Politikerphrasen mit Logik und Mathematik zu destabilisieren – die reden eben oft nur gescheiter, sind es aber nicht.

Die Kurzgeschichte von Claude Cueni erinnert mich vom Format her an die guten alten Zeiten der Printpublizistik. Warum macht das eigentlich niemand mehr? Kurzgeschichten, Fortsetzungsromane, irgendwie alles schon vor der Digitalisierung untergegangen. Die Phantasie über die «Todeskarre» von Bonnie und Clyde ist beste Nachttisch- oder Strandlektüre.

Buchhinweise und Kulturschnipsel lese ich ebenfalls mit Interesse, meist zeigt sich ja an solchen Seiten, ob man in die Zielgruppe einer Publikation gehört. Hier finden sich auch Dinge, die man sonst nirgends liest. Hoffentlich erhält sich dieses «Kurzfutter» auch im neuen «Q»!

Im Dossier zur Männlichkeit finde ich Licht und Schatten. Ich hebe hervor, was mir gefällt. Das Gespräch von Donat Blum und Ahmad Mansour ist eine tolle Sache. Allenfalls hätte man etwas schneller noch auf den Themenkreis rund um Männlichkeit und non-binäre Geschlechtsidentität im radikalisiert-islamischen Kulturraum kommen können. Da wird das Gespräch überaus ertragreich für den Leser, hätte aber auch noch mehr Tiefe ertragen. Wer kann sich noch daran erinnern, wie verwegen avantgardistisch die Lektüre der Bücher von Alexander Ziegler in den 1970ern und 80ern angemutet hat? Hat sich jemand schon mal überlegt, wie die gesellschaftliche Öffnung seit damals in der Schweiz herausgekommen wäre, hätte sie unter denselben ökonomischen und rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen und beschleunigt durch das mobile Internet stattfinden müssen? So wie derzeit in den islamischen Gesellschaften des Mittleren und Fernen Ostens?

Auch der Text von Michael Kimmel gefällt mir, zur Frage «Was ist ein guter Mann?» Relevanz bündig auf zwei Seiten. Gut. Ritchie Herrons Beitrag über seine Transition erscheint mir ebenfalls als wichtiger Text. Aber er ist das Gegenteil von Nachttischlektüre, teilweise schmerzhaft zu lesen. Transsexualität ist ein Thema, das den Liberalismus voll herausfordert. Spannend.

Gegen den Schluss plempert das Magazin etwas aus. Ein Glanzpunkt aber nochmal die Reportage von Lukas Leuzinger über die «Nacht des Monats» mit Komiker Kiko. Lebt vom Klartext Kikos, grossartig der Spruch zum Migrationsweg via «Business Class und Tomatensaft». Das wäre auch gleich ein Ansatzpunkt für ein (erneutes) Heft über «Migration». Dereinst, als «Q» (formerly known as Schweizer Monat).

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