Blattkritik über die
Februar-Ausgabe
Die Februar-Ausgabe des «Schweizer Monats» wird von
Isabella Seemann beurteilt.
Mein Blick ist geprägt durch mein liberales Ideal der individuellen Freiheit, sowie als langjährige Leserin des Schweizer Monats wie auch als Journalistin. Das «Wahre, Schöne, Gute» ist mein Leitgestirn – an diesem werde ich mich auch im Blatt orientieren. Zumal der Schweizer Monat mit seinem Versprechen, «ein Debattenmagazin für Politik, Wirtschaft und Kultur» zu sein und «den freiheitlichen Wettbewerb der Ideen unter den besten Autorinnen und Autoren der Schweiz und der Welt» zu pflegen, die Messlatte selber ziemlich hoch anlegt.
Der erste Eindruck: Als ich das Magazin aus dem Briefkasten holte, blätterte ich es durch, wie ich es an einem Bahnhofskiosk täte, mit der Überlegung, ob ich es mir für eine lange Zugreise kaufen würde.
Das ruhige und gepflegte Layout wird den Anforderungen an ein Autorenmagazin gerecht, es ist der Konzentration förderlich und macht das Lesen angenehm. An die dreissig Texte von Schriftstellern, Journalisten, Publizisten, Wissenschaftlern, Politikern und Experten zu einer Vielfalt von Themen, die meine eigenen Neigungen abdecken, aber auch die Neugier auf mir bislang wenig Bekanntes wecken, würden mich gewiss zum Kauf animieren. Und dies, obgleich ich den Titel «Vom Glück des Lesens» eher mit Geschenkbüchern verbinde und mich die SM-Titelblätter als «Schaufenster des Magazins» im Allgemeinen nicht anziehen. Eine kreative grafische Umsetzung eines Meta-Themas auf der Titelseite, die vielfältige Assoziationen auslöst, wäre kraftvoller als die zuweilen bieder wirkenden Portraits von Politikern oder Wirtschaftsführern, die der Imagination wenig Raum geben.
Das «Intro» zur Begrüssung, eine neue Rubrik, gefällt mir von der Idee her, doch hätte die erste Umsetzung charmanter, witziger, spritziger, schärfer sein dürfen. Diese Adjektive kann ich dafür vorbehaltlos dem Editorial des Chefredaktors Ronnie Grob zuschreiben.
Der technokratisch wirkende Titel «Strukturprobleme der Stromversorgung» und das Aufmacherbild machen einem der Einstieg in das Schwerpunkthema «Strommarkt» schwer. Über vierzehn Seiten hinweg kommen keine Bilder von Menschen vor, sondern vorwiegend Balkendiagramme. Dabei bedeutet Energie doch Leben. Das hätte man beispielsweise mit Menschen bei der Arbeit in einem Kraftwerk illustrieren können. Mit dem Schwerpunktthema «Strommarkt» habt ihr jedoch ein gesellschaftlich und politisch hochaktuelles und relevantes Thema gewählt. Die verschiedenen Artikel bilden eine Bandbreite von Aspekten ab und sind äusserst informativ, verständlich, gut begründet, dicht und tief.
Grundsätzlich besteht die Herausforderung für die Redaktoren und Autoren dieses Schweizer Flaggschiffs der liberalen Publizistik darin, ihren in den Theorien des Liberalismus bewanderten und realpolitisch gut informierten Lesern in den Artikeln profunderes Wissen und originelle Ideen, kluge Argumente und neue Ansätze zu vermitteln sowie Themen zu entdecken, die erst noch zu reden geben werden – oder sie wenigstens auf intelligente Weise zu unterhalten. Das gelingt bei den Kolumnen nicht gleich gut. Sie funktionieren eher nach dem Prinzip «Preaching to the Converted» und lösen den erwartbaren Reflex aus, dass die Gleichgesinnten bei der Lektüre bis zur Genickstarre zustimmend mit dem Kopf nicken. Ich vermisse bei den meisten Kolumnen die Kunst, liberale Themen auf überraschende, provozierende, witzig-polemische, selbstironische, eigensinnige Weise aufzunehmen.
Eine Perle im Heft ist das Interview mit der französischen Starintellektuellen Hélène Cixous. Sie hat meines Wissens noch nie einer Deutschschweizer Zeitung ein Interview gegeben, somit könnt ihr euren Leser eine Exklusivität anbieten. Mit dem SM-Redaktor Vojin Saša Vukadinović und der Schriftstellerin begegnen sich zwei kluge Köpfe auf Augenhöhe, und das Resultat ist ein überaus anregendes, geistreiches Gespräch.
Doch oh weh, darauf folgt gleich ein Tiefpunkt: Ein dreiseitiges, völlig unkritisches Interview mit José Cordeiro über seine pseudowissenschaftlichen Phantastereien vom «Sieg über den Tod». Seine Behauptung, dass die Wissenschaft uns in den nächsten Jahrzehnten unsterblich machen werde, wird in keiner Weise durch aktuelle wissenschaftliche Daten gestützt und wird auch niemals gestützt werden. Denn: Unsterblichkeit ist unvereinbar mit Evolution.
Indem der Interviewer weder auf die fehlende Logik in Cordeiros Argumentation eingeht noch seine Thesen hinterfragt respektive den Transhumanismus in einer Box erklärt, überlässt er seine Arbeit der Recherche dem Leser. Kann es sein, dass das Interesse an der Richtigkeit zuweilen aussetzt bei einem ideologisch gleichgesinnten Gegenüber?
Danach geht es aber wieder steil aufwärts. Mit Bruno S. Frey und Louis Moser habt ihr zwei Autoren ins Blatt geholt, die sachverständig schreiben und urteilen und dem Leser mit ihren Ausführungen die Sinne für Manipulationen von staatlichen Statistiken schärfen.
Der Kulturteil meistert die oben genannten Herausforderungen bestens. Er ist ebenso originell, wie unterhaltsam geschrieben.
Das Dossier über digitale Desinformation ist vom ersten bis zum letzten Satz lesenswert, aufklärend, gut geschrieben. Das Thema wird so umfassend bearbeitet wie wohl sonst nur in einem Sachbuch. Die Texte öffnen nicht nur die Augen für die Probleme, sondern bieten auch konstruktive Lösungsansätze an. Das ist für mich Qualitätsjournalismus. Mit dem Bericht von Daniel Jung und Jannik Belser über die Twitter-Files habt ihr wiederum ein äusserst relevantes Thema aufgenommen – notabene nahezu exklusiv in der Schweiz. Die Bedeutung des Schweizer Monats als Debattenmagazin zeigt sich auch darin.
Fazit: Ich kann nach der Lektüre ehrlich sagen, dass ich im Schweizer Monat Autoren und Themen besser kennenlernte, die sonst kaum irgendwo zu lesen sind, ich bin klüger geworden, konnte mein Verständnis vertiefen und neue Gedanken haben sich in meinem Gehirn verankert. Sicherlich werde ich an der nächsten Dinnerparty sagen: «Im Schweizer Monat habe ich kürzlich etwas Kluges dazu gelesen … »