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Blattkritik:
Claudia Blumer über die Oktober-Ausgabe des «Schweizer Monats»

Die Ausgaben des «Schweizer Monats» werden jeweils von einem eingeladenen Gast beurteilt. Im Sinne der Transparenz veröffentlichen wir die Essenz der Blattkritik online.

Blattkritik: Claudia Blumer über die Oktober-Ausgabe des «Schweizer Monats»

Zu «Schweizer Monat» Ausgabe 1060, Oktober 2018

Titelgeschichte ist der «Markt des Zusammenlebens», ein Beitrag von Titus Gebel. Davon habe ich noch nie gehört: die «freie Privatstadt» – was ist das? Man müsste den Leser an der Hand nehmen, ihn an das Thema heranführen. Warum bringen wir das, und warum jetzt? Und worum geht es genau? Ich werde ins kalte Wasser geworfen. Wenn ich mich durch den schwierigen, holprig-wissenschaftlichen Text hindurchgekämpft habe – was ich nicht getan hätte ohne das Versprechen, eine Blattkritik zu machen –, dann weiss ich Bescheid. Mit dem erworbenen Wissen fange ich den Text nochmals an und merke: Es ist wirklich nicht ganz einfach, mit diesem Thema leserfreundlich einzusteigen. Der Produzent hat es versucht, es ist ihm nicht gelungen.

Schon beim Lead bin ich staunend hängengeblieben, da heisst es: «Untertanen und Obrigkeiten gehören der Vergangenheit an.» Ich frage mich, in welchem Jahrhundert derjenige lebt, der das geschrieben hat. In Westeuropa gehören Untertanen und Obrigkeiten schon seit der Französischen Revolution der Vergangenheit an. Den Text «Elternzeit ist Avantgarde» von Nadine Jürgensen finde ich interessant. Welche Elternzeit meint sie, die 480 Millionen Franken kostet? Das Modell FDP mit 16 Wochen für beide? Das wäre eine gute Geschichte für den Tagi, dem müssen wir nachgehen.

Das Kurzfutter zwischendurch erfrischt und belebt.

Interview mit Annamaria Lusardi: Gute Idee, Anlage originell. Informativ, lehrreich. «The Big Three» müsste man im Interview kurz erklären. Zumindest dem Wesen nach. Was sind das für drei Fragen? Oder im Lead: Annamaria Lusardi ist die Erfinderin der drei Kernfragen…

Den China-Komplex kann ich aus zeitlichen Gründen nicht lesen, und er ist so unendlich lang. Ausser dem Beitrag von Beni Frenkel mit dem witzigen Titel, der vom Text leider überhaupt nicht gestützt wird, was mich am Ende ein wenig ärgert, fühle mich veretikettengeschwindelt.

Ich blättere weiter – was steht mir noch alles bevor? Und sehe Lara Stoll. Was für ein attraktives Bild! Der Text beginnt schwierig: ein Drittel davon ist eine Szene aus ihrem Film. Das versteht man bald, aber die Szene ist zu raumeinnehmend. Nach wenigen Sätzen müsste man das auflösen und in die Gegenwart kommen. Dort wird es spannend. Am Ende bleiben Fragen: Was sieht man im Film, was unvorteilhaft ist und zu intim, so dass sie den Film nicht einmal ihren Eltern zeigen kann? Wie nahe ist ihr damaliger Freund ihr gekommen, was er nur durfte, weil er ihr Freund war? Es soll nicht pornografisch sein, auch nicht billig. Aber man muss es so weit beschreiben, dass im Kopf des Lesers Bilder entstehen, ohne dass er sich dafür anstrengt. Keine ganz einfache Aufgabe. Aber entweder leidet der Schreiber oder der Leser. Gut ist der Einstiegssatz: «Sie sieht nicht gut aus.» Widersprüchlich, kontrastig. Das zieht hinein.

Grundsätzlich: Was versteht ihr unter «liberal»? Manchmal hat man den Eindruck, liberal werde als Synonym für politisch rechts verwendet. Doch das stimmt nur bedingt. Ist es nötig, immer wieder Giftpfeile gegen links abzusenden? Es genügt doch, die eigenen Ideale anzustreben, sie möglichst gut, intelligent und für den Leser gewinnbringend darzustellen. Ich denke beim Wort «liberal» an die Gründer der Eidgenossenschaft, wie sie damals den Grundsatz der Verhältnismässigkeit hochgehalten haben, wie klug sie die Regeln des Zusammenlebens definiert haben, wie sie es verstanden, den politischen Gegner nur so weit zurückzubinden, damit er nicht gefährlich wurde, und ihn so fest zu integrieren, dass die Gesellschaft zusammenhielt. Das ist liberal im besten Sinn. So wenig wie möglich intervenieren, so viel wie nötig. Über allem bleibt die Vision, das übergeordnete politische Ziel.

Insgesamt: Es ist immer bereichernd, den «Schweizer Monat» zur Hand zu nehmen, der in der Zeitungsauslage bei uns im Sitzungszimmer liegt mit seinem noblen Erscheinungsbild. Man ist nach der Lektüre immer klüger, der Horizont weiter.

Eine Anmerkung noch zur Abo-Bestellkarte: Wer klug ist, braucht das nicht zu betonen. Die «Schweizer Monatshefte» haben einen guten Ruf, ihr Image ist intellektuell, apart, für die Elite. Lasst es die anderen sagen! Das ist viel stilvoller.

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