Bildungsstandort Schweiz: Teil II
Was Unternehmer denken: Bettina Hein, Juli, St. Gallen
Lebenslanges Lernen ist für Bettina Hein nicht einfach ein Schlagwort. Unter der Woche zieht die 47-Jährige gerade ein neues Start-up hoch. Am Wochenende büffelt sie für ihr bereits viertes Studium, einen Master in Computerwissenschaften. Aufgewachsen in Deutschland und in den USA, kam Hein für ihr Wirtschaftsstudium nach St. Gallen. Im Jahr 2000 gründete sie mit einigen Partnern ihr erstes Unternehmen, die Sprachtechnologie-Firma Svox. Das Timing war nicht ideal: Nach dem Platzen der Dotcom-Blase war es schwierig, Investoren und Kunden zu gewinnen. Hein musste die Belegschaft auf Kurzarbeit setzen, einmal sogar die Hälfte der Leute entlassen. Doch das Durchhaltevermögen zahlte sich aus: 2011 verkauften die Gründer die Firma für 125 Millionen Dollar. «Am meisten habe ich in schwierigen Zeiten gelernt», sagt Hein. «Dann wird man am meisten gefordert.» Tatsächlich scheint sie ein Faible für herausfordernde Startbedingungen zu haben: Die Videomarketing-Firma Pixability gründete sie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008; ihr jüngstes Projekt Juli, eine App für Menschen mit chronischen Krankheiten, startete im Coronajahr 2020.
Bei der Rekrutierung von Angestellten achtet Hein nicht nur auf Abschlüsse und Arbeitserfahrung. «Gute Mitarbeiter sind solche, die sich ausserhalb von Schule und Studium engagiert haben.» Dabei lerne man, auf ein Ziel hinzuarbeiten und mit anderen zusammen etwas zu erreichen. Natürlich geht es aber nicht ohne fachliche Qualitäten: Hein bemängelt, dass in der Schweiz der Umgang mit digitalen Technologien, etwa Programmieren, kaum gelehrt werde. Auch brauche es dringend mehr Hochschulabsolventen: «Den Unternehmen fehlen Fachkräfte mit Kompetenzen etwa im Bereich Machine Learning oder Data Science. Hier müssen wir die Leute auch stärker pushen.»
Ausserdem müsse man Kinder stärker zu unternehmerischem Denken anregen. Der Schlüssel liege dabei in der Frühphase der Erziehung. Bildung ist aber keine Einbahnstrasse: In der Technologiebranche zum Beispiel gehe es immer wieder um Disruption, also darum, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und zu verändern. «In dieser Hinsicht kann man von Kindern viel lernen, denn ihnen ist noch nicht die ganze Kreativität abtrainiert worden», sagt die Mutter zweier schulpflichtiger Kinder.