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Bildung ja – aber welche?

Zu keiner Zeit wurde im «alten Europa» so einvernehmlich über die Notwendigkeit von Investitionen in die Bildung gesprochen wie in den vergangenen Jahren schwachen wirtschaftlichen Wachstums. Die Pisa-Studien und die ihnen gewährte Aufmerksamkeit sind der sichtbare Ausdruck dieser Überzeugung: Wenn koreanische Kinder besser lesen könnten als unsere Kinder, dann schade das unserer Wettbewerbsfähigkeit. Es gelte […]

Bildung ja – aber welche?

Zu keiner Zeit wurde im «alten Europa» so einvernehmlich über die Notwendigkeit von Investitionen in die Bildung gesprochen wie in den vergangenen Jahren schwachen wirtschaftlichen Wachstums. Die Pisa-Studien und die ihnen gewährte Aufmerksamkeit sind der sichtbare Ausdruck dieser Überzeugung: Wenn koreanische Kinder besser lesen könnten als unsere Kinder, dann schade das unserer Wettbewerbsfähigkeit. Es gelte aufzuholen! Widerspruch ist kaum zu hören, schon gar nicht aus dem Bildungssektor.

Gerade darum lohnt es sich, kritisch nachzufragen. Wenn es etwa heisst, Bildung sei die Schlüsselressource für den alten Kontinent – welche Bildung ist dann gemeint? Nicht jede Art von Humankapital wird einem Land gleichermassen dabei helfen, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Wenn aber unterschiedliche Arten von Bildung unterschiedlich hilfreich sind, welche Art von Bildung nützt dann heute dem «alten Europa»?

Aus ersichtlichen Gründen drückt sich die Bildungslobby um die Beantwortung solcher Fragen; die Suche nach Antworten würde das vermeintliche Einvernehmen ja schnell strapazieren. Allein, Bildung ist nur dann eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Zukunft des «alten Europa», wenn – erstens – eine Aussage dazu gemacht wird, welche Wettbewerbsposition überhaupt angepeilt werden soll. Zweitens muss plausibel dargelegt werden können, dass angesichts der übrigen Standortfaktoren die angestrebte Wettbewerbsposition erreichbar, drittens, dass sie langfristig auch zu verteidigen ist. Am Beispiel einer Spezialisierung auf das, was man die «Symbolgesellschaft» nennen könnte, sei dies verdeutlicht.

Wenn das Dienstleistungszeitalter jene Epoche bezeichnet, in der Unberührbares in grossem Stil verkaufbar wurde, dann ist das Symbolzeitalter jene Epoche, in der in grossem Stil Berührbares gekauft und dabei für Unberührbares bezahlt wird. Ein «Symbol» steht für mehr als sich selbst; der Schlüsselprozess in der Symbolgesellschaft ist das Eindampfen komplexer Zusammenhänge zu einem für das Ganze stehenden Symbol. Marken sind solche Symbole. Sie sorgen dafür, dass Produkte vielfältige Nebenfunktionen erhalten, die ihren Wert jeweils steigern.

Mit Symbolgütern kann viel Geld verdient werden; das gilt für Unternehmen wie für ganze Volkswirtschaften. Nicht jedes Unternehmen aber kann Symbolgüter mit Gewinn herstellen, und nicht jede Volkswirtschaft kann sich mit Vorteil darauf spezialisieren.

Wenn dies die Bedingungen korrekt beschreibt, unter denen der globale Wettbewerb heute stattfindet, dann kann eine Investition in Bildung für diese Symbolgesellschaft in der Tat ein Ausweg für das «alte Europa» sein. Weil Berührbares in der Herstellung immer billiger wird, dürfte China unaufhaltsam zur Werkbank der Welt aufsteigen. Das grosse Geld aber wird nicht primär in der Fertigung, sondern in der Sinnstiftung verdient – und hier liegt vielleicht eine Chance für das «alte Europa».

Nur: aus Berührbarem ein Symbol zu machen, für das die Menschen mehr Geld ausgeben als für das Berührbare an sich, ist komplex. Klassisches Schul- und Universitätswissen reichen nicht aus. Gefragt ist Interdependenz zwischen Kunst und Wirtschaft, ein Zusammenspiel zwischen Kreativität und Ordnung im Denken. Mit repetitiver Büffelei haben diese Anforderungen wenig zu tun. Es braucht die richtige Kultur, und die ist bekanntlich weder schnell produziert noch einfach nachgemacht. Und doch ist sie die Voraussetzung dafür, dass die Besetzung der beschriebenen Nische in der globalen Arbeitsteilung gelingt und langfristig auch verteidigt werden kann.

Unser Beispiel zeigt, dass die Forderung nach mehr Bildung im «alten Europa» zwar nicht falsch, aber in dieser Pauschalität auch nicht hilfreich ist. Bildung als Ausweg aus der Wachstumskrise verlangt im Bildungssektor selbst, aber auch mit Blick auf die konkrete Positionierung im Rahmen globaler Arbeitsteilung, eine präzisere Wegbeschreibung als jene, die die grosse Koalition von Bildungslobbyisten zu geben gewohnt ist.

Ernst Mohr, geboren 1955, ist Rektor der Universität St. Gallen.

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