Bilder vom heiligen Bill
Wer als gläubiger Mensch, Tourist oder – wie ich – als Ruhesuchender im Berner Münster einkehrt, wird von den dort seit neustem installierten Bildschirmen überrascht sein. Statt Fernsehpredigten, wie man vielleicht hätte erwarten können, zeigen Videos rätselhaft handelnde, stumme Menschen in Slow Motion und HD. Mein Gott, ist es etwa Kunst? Hat man denn nirgends seine Ruhe davor? Wurde das Berner Münster im Zeitalter der Reformation nicht gerade deshalb von überzähligen Bildwerken gesäubert, auf dass man sich besser auf Gottes Wort konzentriere? Auch eine koreanische Touristin ist ratlos: «This place is awesome. I am Christian, but I don’t really get the videos!»
Ihnen allen ist gemeinsam, dass Wasser fliesst: Hände werden endlos lang gewaschen, Wasser benetzt Köpfe, Tränen fliessen, eine leblose Gestalt erhebt sich aus einem überlaufenden Becken, ein starker Strahl trifft eine Gruppe – Bilder von Ritualen der Reinigung.
Manche haben als Künstler alles erreicht: Markterfolge, Museumsausstellungen, Preise – und doch fehlt etwas. Oftmals bleibt bei all dem Erfolg ein Makel. Bei Bill Viola, Pionier und Grossmeister der Videokunst, ist es die mit seinen Werken einhergehende Assoziation zum technisch hochwertigen Kitsch, die die Rezeption vergiftet. Nun gibt er ein Gastspiel im Münster. Die Initiative dazu ging vom Berner Kunstmuseum aus, Viola und die Münstergemeinde liessen sich auf das Experiment nur zu gern ein. Eine Hand wäscht (auch hier) die andere: Violas Kunst bekommt nicht mehr nur von Markt oder Museum die höhere Weihe, sondern gleich noch vom Allmächtigen. Und die Kirche kann sich mit Hilfe der Videoinstallationen als weltoffen, modern und kunstsinnig präsentieren.
So viel Weihe darf andächtig stimmen. Ich entspanne also, soweit es die Kirchenbänke zulassen, geniesse die kontemplative Atmosphäre – und vernehme von fern das Dröhnen des Handstaubsaugers, mit dem das Chorgestühl gesäubert wird. Grossputz im Münster, Rituale der Reinigung – ganz weltliche Passionen.
Bill Viola: Passionen. Berner Münster und Kunstmuseum (bis 20.7.)