Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Big Tech als staatliche Zensurbeauftragte

Über 90 Prozent der Kommentare, die auf Social Media gelöscht werden, sind vollkommen legal.

Big Tech als staatliche Zensurbeauftragte
Protestkundgebung in Berlin gegen Zensur im Netz, 2009. Bild: Flickr, CC-BY 2.0 Stephan Luckow.

Europäische Staaten beschliessen immer mehr Gesetze, um «Hassrede» im Internet zu unterbinden. Das 2017 in Deutschland eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zwingt Social-Media-Plattformen, «offensichtlich rechtswidrige» Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen; bei Zuwiderhandlungen drohen Bussen von bis zu 50 Millionen Euro. Die EU beschloss 2022 den Digital Services Act, der Tech-Konzerne dazu verpflichtet, illegale Inhalte zu entfernen und Risiken durch «schädliche Informationen» zu begrenzen.

Das Damoklesschwert rechtlicher Konsequenzen schwebt somit ständig über den sozialen Netzwerken. Im Zweifelsfall löschen sie lieber einmal etwas zu viel, als eine saftige Busse zu riskieren. Das legt ein neuer Bericht des Think Tanks The Future of Free Speech nahe (PDF).

Die Studienautoren untersuchten mehrere tausend gelöschte Kommentare auf Facebook und Youtube aus Deutschland, Frankreich und Schweden. Die Daten stammen von jeweils zehn grossen Facebook-Seiten und Youtube-Kanälen, die von Medien und Politikern betrieben werden.

Doch wie viele der gelöschten Inhalte waren eigentlich tatsächlich illegal? The Future of Free Speech liess eine zufällige Auswahl durch Rechtsexperten aus den drei Ländern daraufhin überprüfen, ob sie gegen die jeweiligen nationalen Gesetze verstiessen.

Die Ergebnisse sind erstaunlich:

  • Von insgesamt rund 1,3 Millionen Kommentaren wurden über 40 000 gelöscht, was einem Anteil von 3,4 Prozent entspricht.
  • Dabei gibt es grosse Unterschiede zwischen den Ländern: In Deutschland wurden 11,5 Prozent aller Youtube-Kommentare gelöscht, in Frankreich 7,2, in Schweden 4,1 Prozent. Auf Facebook variieren die Anteile zwischen 0,5 (Schweden) und 1,2 Prozent (Frankreich).
  • Die Auswertung der Rechtsexperten ergab: Über 90 Prozent der gelöschten Kommentare waren vollkommen legal.
  • Auch hier war eine grosse Varianz zwischen den Ländern festzustellen. Während in Frankreich 92,1 Prozent aller gelöschten Facebook-Kommentare gesetzeskonform waren, lag der Anteil in Deutschland bei 99,7 Prozent. Auf Youtube waren die Werte etwas tiefer.
  • Ein kleiner Anteil der gelöschten Kommentare war zwar beleidigend, aber nicht justiziabel. Der weitaus grösste Teil umfasste hingegen normale, harmlose Meinungsäusserungen.

Einschränkend ist zu sagen, dass die Daten keine Aussage darüber zulassen, wer einen Kommentar gelöscht hat: der User, der ihn geschrieben hat, der Betreiber der Seite oder der Plattformanbieter. Letztere dürften aber einen wesentlichen Teil der Löschungen vorgenommen haben, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Die Studienautoren ziehen den vorsichtigen Schluss: «Dass zu viele legale Inhalte gelöscht werden, könnte ein grösseres Problem sein, als dass zu wenige illegale Inhalte gelöscht werden.»

Das Anliegen, «Hassrede» zu unterbinden, ist gut gemeint. Doch die Definition von illegalen Inhalten ist oft derart unklar und die Angst vor staatlichen Sanktionen derart gross, dass auch völlig harmlose Meinungsäusserungen gelöscht werden.

Hass wird damit nicht bekämpft. Dafür die Meinungsfreiheit und die offene demokratische Debatte.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!