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Bevormundung, getarnt als Solidarität
Woke Selbstkasteiung: Der Westen ist nicht an allem Schuld, was in der islamischen Welt schiefgeht. Bild: Unsplash/williamfntn.

Bevormundung, getarnt als Solidarität

Nicht alle Errungenschaften stammen aus dem Westen. Genauso wenig wie alles Übel dieser Welt. Eine Kritik an der postkolonialen Romantisierung des Orients.

Bei jeder Diskussion über Gewalt oder Intoleranz in nichtwestlichen Gesellschaften sind reflexartig westliche Intellektuelle zur Stelle, die auf den europäischen Kolonialismus als Ursprung allen Übels verweisen.

So schreibt etwa der deutsche Soziologe Georg Klauda in seinem Buch «Die Vertreibung aus dem Serail», dass die Kriminalisierung von Homosexualität im Iran nicht aus islamischen Traditionen hervorgehe. Vielmehr macht er vom Westen importierte Moralvorstellungen dafür verantwortlich. Die mittlerweile verstorbene Berkeley-Anthropologin Saba Mahmood sieht das in «Politics of Piety» ähnlich: Selbst der religiöse Fundamentalismus im Nahen Osten sei im Kern nichts anderes als eine Antwort auf den Druck westlicher Dominanz. Und der amerikanische Historiker Joseph Massad legt in «Desiring Arabs» noch einen drauf: Für ihn ist Homosexualität ein westliches Konzept, das arabischen Gesellschaften aufgezwungen wurde.

Das alles folgt einer merkwürdigen Logik: Jedes gesellschaftliche Problem – egal ob Rassismus, Homophobie oder religiöser Fanatismus – wird dem Westen in die Schuhe geschoben. Die Gesellschaften vor Ort? Sie werden zu passiven Empfängern westlicher Einflüsse herabgestuft. Fast so, als könnten sie weder selber denken noch handeln. Was für eine intellektuelle Bevormundung – daherkommend im Tarnanzug der Solidarität!

«Jedes gesellschaftliche Problem – egal ob Rassismus, Homophobie oder religiöser Fanatismus – wird dem Westen in die Schuhe geschoben. Die Gesellschaften vor Ort? Sie werden zu passiven Empfängern westlicher Einflüsse herabgestuft.»

Herablassende Geschichtsklitterung

Der Eurozentrismus blendet alles aus, was nichtwestliche Kulturen geleistet haben. Als ob die Mathematik alleine von den Griechen erfunden worden wäre und die Babylonier oder Araber nichts dazu beigetragen hätten. Als ob die Renaissance ohne das Wissen aus der islamischen Welt einfach so vom Himmel gefallen wäre. Diese intellektuelle Verzerrung findet besonders in der postkolonialen Theorie fruchtbaren Boden.

Dort wird ein idealisiertes Bild vormoderner islamischer Gesellschaften gezeichnet. Angeblich lebten sie in harmonischer Toleranz, bis der koloniale Westen ihnen seine repressiven Normen aufzwang. Der iranische Islamwissenschafter Arash Guitoo entlarvt solche Darstellungen als orientalistische Romantik – wohlmeinend zwar, aber letztlich nichts anderes als herablassende Geschichtsklitterung.

Entgegen der populären Erzählung, Rassismus und Sklaverei seien eine europäische Krankheit, dokumentiert der marokkanische Historiker Chouki El Hamel in seinem Werk «Black Morocco», dass rassistische Konzepte im Osten entstanden und später in den Westen gelangten.

Ibn Khaldun, einer der bedeutendsten arabischen Historiker des 14. Jahrhunderts, schrieb unverblümt: «Die schwarzen Völker sind durch ihre geringe Menschlichkeit und ihre Nähe zum tierischen Zustand für die Sklaverei geeignet.» Der persische Gelehrte Al-Mas’udi kategorisierte schwarze Menschen als «ausgelassen, übermütig und dumm» und führte ihre Hautfarbe auf göttliche Bestrafung zurück. Das arabische Wort abd (Sklave) wird noch heute als rassistische Bezeichnung für Schwarze verwendet. Solche historischen Fakten widerlegen unmissverständlich die These, Rassismus sei erst durch den westlichen Kolonialismus in den Orient gelangt.

Auch rassistische Vorfälle jüngeren Datums in Nordafrika legen diese historischen Wurzeln offen. Als der tunesische Präsident Kais Saied 2023 schwarze Migranten als «demografische Bedrohung» bezeichnete und eine Welle der Gewalt gegen sie auslöste, demonstrierten in Tanger Marokkaner mit dem Slogan «Strassen frei von Schwarzen». In Algerien wurden 2017 hunderte Migranten aus Subsahara-Afrika in die Wüste deportiert und dem Tod überlassen. In Libyen werden bis heute schwarze Migranten auf offenen Sklavenmärkten verkauft.

«Es ist ein Zeichen von Macht, böse zu sein.» Dieser verblüffend präzise Satz von Arash Guitoo lässt mich nicht mehr los. Denn ob sich der Westen als aufgeklärter Zivilisationsbringer oder als bösartiger Kolonisator inszeniert – in beiden Fällen schreibt er sich eine absolute Handlungsmacht zu, während er den Rest der Welt zu passiven Objekten degradiert.

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