Betreutes Denken im Landesmuseum
Die Ausstellung «Kolonial» will «globale Verflechtungen der Schweiz» aufzeigen. Ganz auf Linie des Zeitgeists.
«Man muss die Geschichte ja auch aus der damaligen Zeit heraus verstehen», murmelt eine ältere Frau auf dem Weg durch die Ausstellung «Kolonial» im Landesmuseum in Zürich. Sie sagt es mehr zu sich selber, während eine Mitarbeiterin die zahlreichen Verstrickungen der Schweiz mit dem Kolonialismus und die damit einhergehenden Schandtaten aufzählt.
Die Zeit ist entscheidend in der Geschichtserzählung. Nicht nur die Zeit, über die erzählt wird, sondern auch die Zeit, in der erzählt wird. Als der Journalist und Historiker Niklaus Meienberg 1977 «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» veröffentlichte, stellte er sich gegen ein damals immer noch verklärtes Bild der Schweiz im Zweiten Weltkrieg.
Dass die Ausstellung im Landesmuseum ähnlich mutig wäre, kann man nicht behaupten, auch wenn sie suggeriert, dass der Kolonialismus in der Geschichtsschreibung noch immer vernachlässigt und verharmlost werde. Dabei gibt es heute unter Historikern kaum ein populäreres Thema. Tatsächlich ist die Ausstellung voll auf der Linie des Zeitgeists, der allerorten strukturellen Rassismus erkennt und selbst in Häusernamen noch eine Möglichkeit erblickt, die Zugehörigkeit zur richtigen Seite zu markieren.
Dabei ist die Ausstellung über weite Strecken durchaus interessant und lehrreich. So erfährt man mehr über die Verflechtungen von Institutionen wie der Basler Mission mit dem Kolonialismus. Oder die Rolle von Söldnern, die vielfach auch in Kolonien europäischer Mächte aktiv waren.
Schade ist, wie die Auswahl und Darstellung von Objekten fein säuberlich ins zeitgeistige Narrativ eingebettet werden. Gemäss diesem war die Schweiz tief ins System des Kolonialismus eingebunden, hat von der Ausbeutung armer Länder profitiert und tut das bis heute. So wird behauptet, dass bis heute «das Geld vom globalen Süden in den globalen Norden fliesst». Ein Blick auf Handelsbilanzen, Direktinvestitionen und Entwicklungshilfe zeigt das Gegenteil. Am Ende jedes Bereichs wird der Bezug zur Gegenwart hergestellt. Zuweilen mit interessanten Inputs, oft aber mit plumpen Anklagen, wenn nicht gar Verharmlosungen des Kolonialismus. «Sind die Rohstofffirmen die neuen Kolonialherrschaften?», fragen die Ausstellungsmacher subversiv.
Passend zum Zeitgeist setzt die Ausstellung auf Gendersprache und Triggerwarnungen («Die Ausstellung enthält Objekte, Bilder und Begriffe, die rassistisch und diskriminierend sind»). Auch ein Glossar gibt es, wo man erfährt, was «Othering» oder «Agency» bedeuten. Wobei der Nutzen eines Glossars hinterfragt werden kann, wenn Begriffe nicht ausgeschrieben werden. Wer errät, was «M–» ist? Oder «I–»?
Aufschlussreich ist auch, was nicht oder kaum gezeigt wird. Etwa, dass die Verbindungen der Schweiz zum Kolonialismus eine logische Folge der frühen und intensiven Einbindung in den Welthandel waren, der nicht nur die Schweiz, sondern auch andere Länder reich machte. Oder dass nicht nur europäische, sondern auch muslimische Länder Sklaven hielten (darunter viele Europäer).
Das ist legitim. Eine Ausstellung kann schliesslich nicht alles erzählen und muss eine Auswahl treffen. Da passt zum Beispiel die Rolle der afrikanischen Eliten im Sklavenhandel offenbar nicht ins Bild, das man vermitteln will. Dafür wird dem Klimawandel ein ganzer Bereich gewidmet. Begründet wird dies damit begründet, dass der Kolonialismus «ein Treiber des Klimawandels» sei – eine ziemlich kreative Interpretation der Einflussfaktoren der globalen Erwärmung.
So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Ausstellungsmachern weniger um Information als um Belehrung und das Transportieren eines bestimmten Weltbilds geht. Dazu passt, dass sich die Besucher am Ende selber Gedanken machen können zum Kolonialismus, wobei die Stossrichtung durch Fragen wie «Was hat Kolonialismus mit mir zu tun?» bereits vorgegeben wird.
Betreutes Denken statt Wissensvermittlung: «Kolonial» ist eine vertane Chance. (lz)
«Kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz», Landesmuseum Zürich, bis 19. Januar 2025.