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Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied…

Wer kann sich eine Geschichte ausdenken, in der es genauso um Aussteiger geht, die im Baselbiet und im Schwarzwald als Möchtegernindianer in Tipis spirituelle Feiern abhalten, wie um den Basler Geld- und Kunstadel, eine Geschichte, in der griechische Statuen mit mittelalterlichen Altarbildern kombiniert werden, Solbaden mit Schweinezüchten, die baselstädtische Schwulenszene (samt Ableger im Kriminalkommissariat) mit […]

Wer kann sich eine Geschichte ausdenken, in der es genauso um Aussteiger geht, die im Baselbiet und im Schwarzwald als Möchtegernindianer in Tipis spirituelle Feiern abhalten, wie um den Basler Geld- und Kunstadel, eine Geschichte, in der griechische Statuen mit mittelalterlichen Altarbildern kombiniert werden, Solbaden mit Schweinezüchten, die baselstädtische Schwulenszene (samt Ableger im Kriminalkommissariat) mit einem tschechischen Hehler, der Flasche verfallene Geschichtslehrer und vergessliche Professoren mit blitzgescheiten alten Damen, Elsässer mit Schwaben und Schweizern, eine Geschichte, in der die Aargauer Kantonspolizei einen Schuh voll Wasser herauszieht, so peinlich, dass man vor Schmunzeln vergisst, in einem fiktiven Roman zu sein? Die Antwort lautet: Hansjörg Schneider in seinem neuesten Krimi «Hunkeler und die goldene Hand».

Der Mord geschieht auf der siebten Seite. Ein Basler Kunsthändler treibt tot in einem Rheinfelder Solebassin. Sein junger Lover wird in Untersuchungshaft gesteckt, leugnet, die Polizei tappt im Dunkeln. «Hunki» aber – kurz vor der Pensionierung, und damit auf dem Zenith der Erfahrung – fährt pausenlos in der trinationalen Regio umher, bringt gewieft (fast alle) Leute zum Reden, wird einmal um Haaresbreite von einer Bisonherde zertrampelt, ein andermal von einem halbirren Hünen zusammengeschlagen und findet dank seiner Beharrlichkeit eine Spur nach der anderen. Aber keine erlaubt es, den jungen Mann herauszuholen; im Gegenteil, die Spuren führen auseinander. Erst ganz am Schluss verdichtet sich alles, und in der Schlussszene (die ruhig ein bisschen weniger rasant hätte erzählt werden dürfen) erbringt Vater Rhein wieder einmal den Tatbeweis dafür, wie gut er die Welt von allerlei zwielichtigen Typen und fiktiven Objekten säubern kann.

Schneider unterhält glänzend. Nie tiefschürfend, aber immer erhellend, nie fanatisch, aber immer pikant. Eine bekannte «Boulevardzeitung» samt Reporter wird in den Blick genommen und kriegt einen kräftigen Nasenstüber, ayurvedische Rücken- und tibetische Energie-Ganzkörpermassagen werden belächelt, ein klein wenig wird auch am Image des Basler Kunst- und Antikenhandels gekratzt und im Teig gerührt, aber nie verletzend. Sogar der Mörder zeigt am Ende noch eine Spur Grösse. Hübsch sind wie gewohnt die Situationsbeschreibungen. Mit ein paar Pinselstrichen wird einmal die frustrierende Öde einer Quartierkneipe, dann der lautstark-erotische Jugendmarkt in der Steinenvorstadt gemalt. Handkehrum wandern wir mit Hunkeler durch wunderbar stille Landschaften im Baselbieter Jura und im nahen Elsass. Unbezahlbar schliesslich seine Ode an Fritz, den alternden Gockelhahn! Vor dem Lesen empfiehlt es sich, wieder einmal die Merseburger Zaubersprüche zu lesen.

vorgestellt von Rudolf Wachter, Basel/Lausanne

Hansjörg Schneider: «Hunkeler und die goldene Hand». Zürich: Ammann, 2008.

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