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Befreiungsschlag für den Handel

Mit Corona hat der Protektionismus noch mehr Aufwind bekommen. Dabei bräuchte es gerade jetzt mehr Freihandel, um nicht nur Wohlstand, sondern auch Sicherheit zu schaffen.

 

Am 14. August 1941 legten US-Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill in der Atlantic Charter eine Roadmap für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fest. Handelshemmnisse sollten abgebaut und alle Staaten Zugang zu Rohmaterial und Handelsrouten haben. Protektionismus hatte den Welthandel zwischen 1930 und 1933 um zwei Drittel einbrechen lassen, die Weltwirtschaftskrise verstärkt und den Weltkrieg mitverursacht. Das sollte sich nicht wiederholen.

Internationale Beziehungen sollten auf Handel, Kooperation und Völkerrecht basieren, mit den USA als globaler Ordnungsmacht. In der Folge wurden IMF, Weltbank, Gatt und Nato gegründet. Die USA reduzierten unilateral Zölle und finanzierten den Marshallplan, weil nur in die internationale Gemeinschaft eingebundene, wirtschaftlich starke Länder friedlich sind.

Die Pax Americana war und ist ein einmaliger Erfolg: Wohlstand pro Kopf, Lebenserwartung und Alphabetisierungsrate waren nie höher, die Armutsquote nie tiefer und selten gab es weniger Kriege. Die letzten 75 Jahre waren ein Triumph für die Theorie von Montesquieu, wonach Handel zu Wohlstand und gegenseitiger Abhängigkeit führt und Friede daher die natürliche Folge von Handel ist.

Von dieser Ordnung haben dank ihrer Exportindustrie und deren hoher Wertschöpfung insbesondere Kleinstaaten wie die Schweiz profitiert. Unsere Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) ist ein Beispiel dafür: Sie macht heute 7 Prozent des Schweizer Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, beschäftigt 325 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter 20 000 Lernende, und exportiert 80 Prozent ihrer Güter. 98 Prozent der Firmen sind KMU und als globale Marktführer oft für technologische Lösungen für Herausforderungen wie die Bewältigung des Klimawandels verantwortlich.

Trotz dieser Erfolge bröckelt die Unterstützung für den Welthandel bis weit in bürgerliche Kreise. Seit 2017 dominieren Kampfrhetorik und Strafzölle von US-Präsident Trump. Mindestens so gefährlich sind die neue Abschottungs- und Industriepolitik der EU sowie die Reformblockade der Schwellenländer.

Nun hat Covid-19 die globalen Abhängigkeiten unseres Wohlstands gezeigt und die Welt in eine tiefe Rezession gestürzt. Was ist die Reaktion? Viele Industriestaaten wollen mit Subventionen die Produktion nach Hause holen. Sie verschweigen, dass globale Produktionsketten seit 20 Jahren Konsumgüter billiger und Konsumenten reicher gemacht haben. Nach Jahren der Blockade könnte das Welthandelssystem plötzlich am «Make it or break it»-Punkt stehen. Auf dem Spiel steht viel. Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, braucht es richtige Kommunikation, multilaterale Initiativen und nationale Reformen.

Die Verlierer nicht vergessen

Zentral ist ein uneingeschränktes Einstehen für den Freihandel in Politik und Wirtschaft. Zu stark verschleierten in den vergangenen Jahren wohlklingende Anliegen wie Ökologie, Arbeitsnormen und Drittweltanliegen protektionistische Ziele. Künftig braucht es nicht Debatten über negative Folgen von Handel, sondern das Hervorheben von dessen Erfolgen.

Allerdings: Handel bringt Wandel und dieser schafft auch Verlierer. Verlierer brauchen jedoch nicht Protektionismus, sondern Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist dank der Wohlstandsgewinne durch Handel möglich. Nicht durch Ausbau des überlasteten Sozialstaats, sondern durch bessere Ausbildung im Bereich der Digitalisierung und eine Weiterbildungsoffensive kann man Verlierern neue Perspektiven geben. So will die MEM-Industrie den Fachkräftemangel durch das Überwinden individueller Ausbildungsdefizite  lindern.

Die WTO reformieren

Multilaterale Lösungen sind besser als bilaterale. Nach einer Phase des Protektionismus unter US-Präsident Reagan brachten Bush senior und Clinton die Uruguay-Runde zum Abschluss und ermöglichten die Gründung der WTO. Nach Covid-19 ist eine ähnlich bahnbrechende Reform die beste Lösung zur Sicherung des weltweiten Wohlstands.

Die Schweiz sollte hier wie in der Vergangenheit eine wichtige Rolle spielen und mit kleinen und mittleren Handelsstaaten eine mutige Reform fordern. Neben einer Stärkung des Streitschlichtungsmechanismus und Regeln für E-Commerce sind dabei folgende Anliegen zentral:

  • Ende des Trittbrettfahrens der Schwellenländer: Heute bestimmen z.B. China und Indien selber, ob sie Entwicklungsländer sind und von WTO-Ausnahmeregeln profitieren. Das ist stossend. Die USA schlagen vor, dass OECD- und G20-Mitglieder bei der WTO keine Entwicklungsländer sind. Das ist fair und zwingt Indien sowie China zu Reformen.
  • Härtere Bestimmungen gegen (Export-)Subventionen: Diese sind politisches Gold, aber volkswirtschaftliches Gift und am besten durch internationale Regeln zu beschränken. Aufgrund der Coronapandemie kommt die Gefahr vor allem aus den Industrieländern. Alle Staaten – auch China – hätten heute ein Interesse, dass die noch im Januar lancierten Vorschläge von Japan, den USA und der EU umgesetzt und eine durch Covid-19 verursachte Verstaatlichung der Wirtschaft sowie ein Subventionswettlauf verhindert werden. Die Vorschläge verbieten Subventionen für defizitäre Firmen ohne glaubwürdigen Restrukturierungsplan und für Firmen ohne Zugang zu langfristigen Finanzierungen durch unabhängige Quellen. Zudem wollen sie Transparenz bezüglich Subventionen schaffen.
  • Besserer Schutz für Investitionen: Globale Produktionsketten sind und bleiben zentral. Sie bedürfen gleich langer Spiesse und des Schutzes vor staatlicher Willkür. Auch hier hat China Reformen durchgeführt, weitere sind  angekündigt und nötig. In die falsche Richtung gehen hingegen die neuen Gesetze gegen ausländische (namentlich chinesische) Investitionen in Industriestaaten inklusive der Schweiz. Der geplante Abschluss eines griffigen Investitionsabkommens zwischen der EU und China mit besserem Marktzugang wäre ein Meilenstein und eine Vorlage für neue WTO-Regeln.

 

Die Schweiz wirtschaftlich öffnen

Eine WTO-Reform wäre in der gegenwärtigen Situation hilfreicher denn je. Es ist allerdings auch möglich, dass die Entwicklung in die andere Richtung geht: hin zu einer weiteren Blockade mit einer Entkoppelung der Weltwirtschaft in Handelsblöcke. Das wäre besonders für kleine, offene Volkswirtschaften wie die Schweiz schlecht.

Die einzige sinnvolle Strategie ist hier die forcierte Öffnung. Gerade bei der wirtschaftlichen Offenheit hat die Schweiz Nachholbedarf: Gemäss World Competitiveness Report liegt sie diesbezüglich nur auf Platz 87, hat den weltweit kompliziertesten Zollkodex und leistet sich viele technische Handelshemmnisse (Platz 40).

Nötig sind Reformen auf vier Ebenen. Erstens ist der Wegfall der Industriezölle zwingend und dringend. Die Industrie würde damit um jährlich 125 Millionen Franken entlastet und der administrative Aufwand massiv reduziert. Die Vorlage liegt beim Parlament. Eine dringliche Behandlung in beiden Räten und das Inkrafttreten auf 2021 sind der nötige Tatbeweis, dass Unterstützung für die Industrie kein Lippenbekenntnis ist. Es braucht in der Sommersession die Zustimmung beider Räte und ein Inkrafttreten auf 2021.

Zweitens sind die Chancen von Blockchain, Smart Contracts etc. rasch zu nutzen. Gemäss WTO kann der Welthandel damit in den nächsten zehn Jahren um eine Billion Dollar wachsen. Nötig dazu sind digitalisierte Zollabwicklung und E-Identität. Ebenso wichtig sind Blockchain und Photonics – die Verbindung von Optik und Elektronik – im Kampf gegen Fälschungen und im Engagement für Nachhaltigkeit. Hier können Schweizer Unternehmen einen wichtigen Beitrag leisten. Diese Technologien erleichtern die Nachverfolgbarkeit von Lieferketten. So können Konsumenten mit Gewissheit auf traditionelle Art gefangenen Thunfisch aus Indonesien oder von Kleinbauern produzierte Kokosnüsse kaufen. Solche Lösungen sollte der Bund in der Umsetzung von Handelsabkommen fördern, damit ökologisches und soziales Engagement unserer Konsumenten den Produzenten aus Schwellenländern noch direkter zu Wohlstand verhilft. Das nimmt Globalisierungsgegnern den Wind aus den Segeln.

Drittens ist der Zugang der Schweizer Exporteure im Milliardenmarkt für Infrastrukturgrossprojekte zu verbessern. Der Bund sollte Firmen schneller über Projekte informieren, die Schaffung von Konsortien unterstützen und deren Exporte bei der Schweizerischen Exportrisikoversicherung versichern.

Viertens ist der Marktzutritt zu sichern. Dazu gehört in erster Priorität das Rahmenabkommen mit der EU, wo 56 Prozent der MEM-Exporte abgesetzt werden. Zudem braucht die Schweiz Handelsabkommen. Eine Chance besteht bei Mercosur: Mit 300 Millionen Einwohnern ist das ein Riesenmarkt. Brandrodungen sind kein Argument gegen Mercosur: Der Handel wird Millionen Menschen den Aufstieg in die Mittelschicht ermöglichen, und diese wird – zusammen mit den Konsumenten in den Absatzländern – Druck für den Schutz der Umwelt machen. Der Abschluss ist unabhängig von der EU wichtig. Falls jedoch die EU ihr Abkommen mit Mercosur vor der Schweiz ratifiziert, droht uns ein Zollnachteil von bis 30 Prozent. Lehnt sie hingegen das Abkommen ab, haben Schweizer Firmen einen strategischen Vorteil.

Noch zwingender ist ein Abkommen mit den USA. Die Exporte der MEM-Industrie in die USA wachsen seit 2009 konstant und liegen heute bei 14 Prozent der Gesamtexporte. Ein Freihandelsabkommen soll alle Industriezölle und möglichst viele technische Handelshemmnisse beseitigen. Selten war eine US-Regierung so offen gegenüber der Schweiz. Doch anstatt diese Chance zu nutzen, scheint die Angst vor einer Blockade durch die Landwirtschaft – verantwortlich für 0,6 Prozent des BIP – Verwaltung und Politik zu lähmen.

1946 fragte Churchill in seiner Rede an der Universität Zürich, ob die einzige Lehre aus der Geschichte die Unbelehrbarkeit des Menschen sei. 1941 hatte er eine Grundlage für den Erfolg der letzten 75 Jahre gelegt. Heute braucht es keine neue Handelspolitik mit Verwässerungen und Kompromissen, sondern eine konsequente Rückbesinnung auf die Erfolgsrezepte aus der Vergangenheit sowie den Willen, frühere Fehler zu vermeiden. Setzen wir auf Wohlstand und Frieden statt auf Protektionismus und Konflikt!

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