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Befreit euch aus der digitalen Knechtschaft!

Das Individuum muss den technologischen Fortschritt gestalten, nicht umgekehrt. Sonst geraten die Errungenschaften der Aufklärung unter die Räder der Geschichte. Ein Plädoyer.

Befreit euch aus der digitalen Knechtschaft!
Daniel Domscheit-Berg, fotografiert von Christopher Morris / VII / Redux / laif.

Gab es je eine bessere Chance auf wirkliche Aufklärung als heute? Durch das digitale Zeitalter und die Vernetzung sind Menschen näher zusammengerückt als je zuvor. Knapp 500 Millisekunden über die Datenautobahn trennen den ärmsten vom reichsten Menschen der Welt. Viele von uns tragen ein Smartphone mit sich herum, das weit mehr als die 100fache Rechenleistung der gesamten Apollo-11-Mission bereitstellt und uns Zugang bieten könnte zum gesamten Wissen unserer Zivilisation. Ich bin überzeugt davon, dass es kein grosses Problem auf dieser Welt gibt, das zu lösen wir nicht imstande wären. Es gibt nichts, was wir nicht lernen könnten, keinen Horizont, der uns verschlossen bleiben müsste. Kaum ein Leid, das wir nicht abzuschaffen imstande wären.

Doch was haben wir daraus gemacht? Egal, wie nah oder fern wir uns umschauen, der Zeitgeist ist ein ganz anderer. Wir sind irgendwo komplett falsch abgebogen und auf einen Holzweg gelangt, der uns nicht vorwärtsführt, sondern rückwärts. Es ist nicht nur unheimlich schwer, das einzugestehen. Wir scheinen auch nicht in der Lage zu sein umzudrehen. Doch diese beiden Leistungen wären überlebenswichtig für unsere Spezies, sie machen im Kern Aufklärung aus. Denn was ist Aufklärung anderes als die Überwindung aller den wünschenswerten Fortschritt behindernden Strukturen durch rationales Denken? Nicht weniger darf unser Ziel sein. Doch das einzige Handbuch, das wir als Zivilisation haben, ist die Geschichtsschreibung.

Der Mensch als Schöpfer seiner selbst

Fast die gesamte Zeit der Entwicklung unserer Art, seit nunmehr fast 300 000 Jahren, stand die Gemeinschaft im Fokus, nicht aber einzelne Individuen. Herrschaftsfamilien und religiöse Führer erhoben sich über den Rest der Welt und prägten die Geschichtsschreibung. Doch die Zeiträume der biologischen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen sind seither immer enger geworden. Vor weniger als 600 Jahren wurde der Buchdruck erfunden, eine radikale Zäsur in unserer Geschichte und Meilenstein in der Demokratisierung des Wissens. Die Welt vor dem Buchdruck ist für uns ebenso unvorstellbar wie heute eine Welt ohne Internet für jeden jungen Menschen. Die Kommunikationsrevolution des Buchdrucks erlaubte zunehmend auch denen, die nicht zu einer kleinen Elite gehörten, lesen und schreiben zu lernen und damit potentiell Akteure des Weltgeschehens zu werden. Mit dieser Reflexion begann das Zeitalter des Individuums. Aber nicht nur das. Es dauerte kaum mehr als 60 Jahre vom Druck der ersten Gutenberg-Bibeln bis zum Druck des ersten Gegenentwurfs dazu durch Martin Luther im Jahre 1517.

Durch den Buchdruck konnte in Gestalt von Luthers Thesen erstmals eine Gegenerzählung nennenswerte Verbreitung finden. Die Neuauslegung der Heiligen Schrift zwang den Menschen dazu, beim Glauben den Kopf zu benutzen. Der Blick auf die Alternative und die damit verbundene Neugier liessen den Menschen seither nie wieder los und führten die westliche Welt in das Zeitalter der Aufklärung. Keine zweihundert Jahre nachdem Martin Luther seine Thesen an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg genagelt hatte, traten unsere Vorfahren aus dem Dunkel des Mittelalters ins Licht, verabschiedeten sich von der Ungewissheit des Glaubens und entdeckten die Gewissheit des Wissens.

«Wir müssen der Komplexität unserer Zeit mit einer radikalen und systematischen Transparenz entgegentreten.»

So wurde die Aufklärung zur Grundlage für unzählige Neuerungen: Im Lauf des 18. Jahrhunderts gelang – neben einer Vielzahl vorwiegend mechanischer Erfindungen – mit der Dampfmaschine ein Durchbruch in der Energieproduktion. Auf einmal konnte all das Wissen nicht nur im industriellen Massstab vervielfältigt, sondern auch auf Eisenbahnen verladen und in die Bahnhöfe Europas verbracht werden. Das Wissen war mobil geworden. Diese drei Revolutionen in Kommunikation, Energieproduktion und Logistik führten uns im späten 18. und im 19. Jahrhundert in die erste industrielle Revolution, durch welche innerhalb von weniger als 150 Jahren kein Stein auf dem anderen blieb. Die technische Revolution brachte zudem das soziale Gefüge in Bewegung: Macht wurde umverteilt, Monarchien beendet, Republiken gegründet, Kapital in den Händen Industrieller konzentriert. Aber auch Gewerkschaften entstanden und soziale Errungenschaften wie Renten-, Krankenversicherungen und Arbeitsschutz wurden erkämpft.

Unterwerfung durch Technologie

Die neue Geschäftigkeit stellte neue Anforderungen an Verwaltung, Organisation und vor allem Effizienz. Eine von Herrmann Hollerith in den USA erfundene Maschine zur Erfassung und Verarbeitung durch Daten auf Lochkarten eröffnete Ende des 19. Jahrhunderts vollkommen neue Möglichkeiten. Das System erlangte eine De-facto-Monopolstellung in Industrie, öffentlichen Verwaltungen und überall sonst, wo Daten massenhaft erfasst und verarbeitet wurden. Das Zeitalter der Datenverarbeitung brach an und es dauerte nicht lange, bis wir in einem der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte lernten, wie seine Schattenseiten aussehen.

Als 1933 das Regime Hitler an die Macht kam, standen Volkszählungen zur Erfassung der Bevölkerung mit vielen personenbezogenen Merkmalen ganz oben auf der Agenda. Für die Firma IBM, den Mutterkonzern der Deutschen Hollerith Maschinen GmbH (DEHOMAG), wurde die Kooperation mit den Nazis ein ex­trem lukratives Geschäft. Für die Nazis bedeutete sie vor allem, dass Herrschaft, Unterdrückung und Krieg in einer vollkommen neuartigen Dimension organisiert werden konnten. Überall dort, wo die Wehrmacht einmarschierte, wurden Lochkartenbestände erbeutet, Lochkarten, die aufgrund der weltweiten Monopolstellung der IBM kompatibel mit den deutschen Hollerithmaschinen waren. Während das Raubgold bei Dresdner und Deutscher Bank landete, fanden die Datenbestände ihren Weg in ein gigantisches Gelände in Berlin und wurden dort verarbeitet und ausgebeutet. Damals erdachte man sogar eine Riesendatenbank in einem runden Gebäude mit 25 Stockwerken à 12 Räumen, angeordnet wie Tortenstücke. 31 Aktenschränke pro Raum – ein Schrank für jeden Tag jedes Monats eines Jahres. Hier sollte eine zentrale Datenbank entstehen mit sämtlichen, laufend aktualisierten Daten zu allen Bürgern, organisiert nach Geburtsdatum. Das bauliche Vorhaben wurde zwar nie umgesetzt, aber sein Geist lebt heute überall dort weiter, wo Daten in exponentiell wachsenden Datenbanken von privaten und staatlichen Akteuren, von Facebook bis NSA, gesammelt werden. Eben überall dort, wo man träumt von der totalen Übersicht.

Wer sich jemals gefragt hat, wie die Listen von zu vernichtenden Menschen entstanden waren, findet hier die Antwort auf diese Frage. Verknüpfungen von Informationen machten Millionen Menschen identifizierbar, ein wichtiger Baustein des Massenmords. Wieso ist dieser überaus wichtige Aspekt eigentlich nicht prominenter Teil des Geschichtsunterrichts? Noch dazu in Zeiten, in denen wir uns ständig fragen, ob es gut sein kann, dass wir – und allen voran unsere Kinder – unsere Daten überall hinterlassen, ohne zu wissen, was damit künftig passiert. Wir müssen ernsthaft darüber diskutieren, was wir von digitaler Technologie erwarten und was nicht.

Wunderland ist abgebrannt

Die zweite industrielle Revolution war damals schon in vollem Gang: Sie brachte elektrische Kommunikation und den Verbrennungsmotor als Grundlage für eine weitere Mobilität des Wissens, diesmal bis in unser Wohnzimmer. Aus Analogrechnern wurden dann Digitalrechner und innerhalb weniger Jahrzehnte bahnte sich an, was uns inzwischen täglich beschäftigt: die digitale Revolution. Mit der Digitalisierung kam die Möglichkeit, alles auf dieser Welt in Nullen und Einsen zu abstrahieren, die erfasst, ausgewertet, vervielfältigt, verknüpft und manipuliert werden können. Das mag banal und technokratisch klingen, verändert die Welt um uns herum aber fundamental.

«Das Internet eröffnete uns eine Welt ohne Grenzen, bevölkert von Menschen, die vor allem eins gemeinsam hatten: eine unbändige Neugier.»

In diese Zeit wurde ich 1978 hineingeboren: eine Zeit absoluter Leichtigkeit und grosser Träume, die meine Eltern und der Grossteil ihrer Generation im Westen Europas nicht nur träumten, sondern lebten. Ich hatte grosses Glück: Mit 8 Jahren bekam ich einen Commodore C64 zu Weihnachten, lernte programmieren. 1994 kam der erste Internetanschluss ins Haus und mit ihm die Erkundung der Welt aus dem Arbeitszimmer meines Vaters heraus. Mitte der 1990er schien nichts unerreichbar, nichts unlernbar zu sein. Ich bin Kind einer Generation von Menschen, die früh in ihrem Leben nach den virtuellen Sternen greifen konnten. Das Internet eröffnete uns eine Welt ohne Grenzen, bevölkert von Menschen, die vor allem eins gemeinsam hatten: eine unbändige Neugier. Es war das Medium, das uns allen erlaubte, andere Menschen an entlegenen Orten der Welt kennenzulernen und eine ganz neue Form von sozialem Miteinander zu erleben. Es waren sehr unbeschwerte Jahre, Jahre, in denen der Möglichkeitsraum unendlich erschien.

Das Platzen der ersten Dotcom-Blase im März 2000 brachte eine Zäsur und bildete den Ausgangspunkt für ein Problem, das sich nun über fast 20 Jahre zu einer akuten Bedrohung von Demokratie, Frieden und Wohlstand für uns alle ausgewachsen hat. Die Dotcom-Blase platzte, weil das frühe Internet doch nicht so gewinnträchtig war wie spekuliert. Weil es Menschen wie mir eben nicht darum ging, schneller zu einem Produkt zu kommen, sondern näher bei anderen Menschen zu sein. Und dann ereignete sich ein Wechsel der Vorzeichen, der uns heute zum Verhängnis wird: Aus einer globalen Kommunikationsplattform wurde ein Ort des virtuellen Konsums bis zur Kommerzialisierung des sozialen Verhaltens. 2006 behauptete Clive Humby, ein englischer Mathematiker und Erfinder der Clubkarte des britischen Super­marktimperiums Tesco, Daten seien das neue Öl. 2005 hatten wir gerade «Peak Oil» erreicht und die Nachricht dürfte viele Hoffnungen geweckt haben: Endlich eine neue und unendliche Ressource, die wir ausbeuten konnten. Seitdem wird gesammelt, kommerziell wie staatlich. Aber ohne dass wir es wirklich hinterfragt hätten. Und ohne dass wir jemals ausführlich darüber debattiert hätten, was es bedeuten könnte, wenn ein Konzern heute ein ähnliches Geschäftsmodell entdeckt wie IBM in den 1930er Jahren.

Big Data: Der Mensch wird zum Rohstoff

So wurden all die wirklich wichtigen digitalen Innovationen der letzten Jahrzehnte mit einer komplett falschen Ausrichtung entwickelt oder relativ schnell in diese Richtung umgedreht. Soziale Netzwerke sind dafür das prägnanteste Beispiel. Die soziale Vernetzung der Menschen auf Grundlage eines weltweiten Netzwerks ist nicht nur logisch, sondern ganz sicher auch ein kritischer Bestandteil der Mission Mensch. Wir müssten dringend die Lücke schliessen zwischen uns und all den anderen; erkennen, dass wir zwar Individuen sind, aber trotzdem alle gemeinsam im Raumschiff Erde durch das Weltall rasen. Dass es kein wirkliches Entkommen gibt aus diesem Raumschiff und dass die Probleme eines Teils seiner Mannschaft auch zwangsläufig alle anderen betreffen. Soziale Netzwerke sollten die Kommunikationsplattform dieses Raumschiffs sein, das Werkzeug, das uns auf der Brücke informiert über Probleme im Maschinenraum. Die empathische Verbindung unserer virtuellen Selbste. Stattdessen ertrinken wir in einer Mischung aus Werbung für das Bordrestaurant und den Travel Shop und einer Flut von Pseudonachrichten zu den neuesten Affären einiger Crewmitglieder, werden überflutet von Fake News und haben nie wirklich gelernt, in einer Welt mit so vielen vermeintlichen Wahrheiten klarzukommen.

«Die Algorithmen um uns herum, haben längst gelernt, wie wir auf niedrigstem Niveau ticken: Nichts ist so fesselnd wie schlechte Nachrichten, nichts bindet länger als Empörung, nichts verkauft sich so gut wie Wut.»

Ein grosser Teil des Problems wird mittel- und langfristig sein, dass eine ganze Generation heranwächst, die von klein auf an die Skandalisierungsmetriken der heutigen Algorithmen gewöhnt sind. Denn auch das ist Fakt: Die Algorithmen um uns herum, die entwickelt wurden, um unsere Aufmerksamkeit über Plattformen an Werbekunden zu verkaufen, haben längst gelernt, wie wir auf niedrigstem Niveau ticken: Nichts ist so fesselnd wie schlechte Nachrichten, nichts bindet länger als Empörung, nichts verkauft sich so gut wie Wut. Und so tickt die Wutmaschine vor sich her, zieht uns in ihren Sog. Die schiere Unwürdigkeit eines Präsidenten Trump oder eines Premierministers Johnson sind ebenso einfacher Ausdruck dieser Entwicklung wie Hass, Missgunst, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Rassismus, die uns tagtäglich im Internet und darüber hinaus begegnen. «You get what you measure», heisst es ganz richtig. Das Internet, allen voran seine sozialen Komponenten, wird nach falschen Erfolgskriterien gemessen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.

All dies ist kein Gesetz der Thermodynamik. Es gibt kein mathematisches Axiom, wonach diese Entwicklung so verlaufen muss. Wir haben alle dazu beigetragen, dass es so weit kam. Aber wir rebellieren nicht (ausreichend) dagegen. Die Politiker unter uns haben zugelassen, dass sich Monopole mit unvorstellbarer Macht gebildet haben und diese gegen uns alle einsetzen. Als Wähler haben wir diese Politik ermöglicht, als Konsumenten haben wir sie grossgemacht. Existierende Gesetze, die solche ungesunden Entwicklungen verhindern können, werden entweder nicht angewendet oder nicht an die Erfordernisse der digitalen Zeit angepasst. Wir sind zu bequem geworden – und vor allem zu beschäftigt. Die Langeweile und der Müssiggang wurden abgeschafft. Wir arbeiten uns halb tot, während Firmen wie «Dopamine Labs» und «Boundless Minds» im Hintergrund unsere Abhängigkeit vom Bildschirm optimieren. Es ist so viel einfacher und angenehmer, sich nach Feierabend durch das Angebot des Bordrestaurants zu blättern, anstatt sich mit den komplexen Fragen unserer Zeit oder dem Leid im Maschinenraum auseinanderzusetzen.

Nie war Aufklärung wichtiger als heute

Wir sind auch wieder zurück in einer Kirche und lauschen einer Messe, diesmal gelesen von den Facebook-Algorithmen. Geben uns zufrieden mit den Antworten, die wir dort bekommen – massgeschneidert für jeden von uns in seiner oder ihrer ganz persönlichen Filterblase. Wir leben in einer Zeit, in der die Gesellschaft so fragmentiert ist wie nie zuvor. Wir können uns nicht mehr verständigen auf die augenscheinlichen Realitäten dieser Welt, sondern existieren zunehmend isoliert voneinander. Was uns einmal zusammenbrachte, entzweit uns nun. Was uns solidarisieren sollte, treibt Keile zwischen uns. Wir wagen nicht mehr den Blick über den Tellerrand, strecken nicht mehr die Hand aus, ja wir haben nicht mal mehr die Zeit dafür. Viele sind gar nicht mehr interessiert an der Wahrheit: Sie wollen nicht wissen, sondern wieder glauben. In einer Welt alternativer Fakten ist das unendlich einfacher und bequemer. Wieso eigentlich? Ich bin aufgewachsen im Wissen, dass unsere Geschichte eine ganz andere sein kann. Ich verzweifle an dieser Welt. Und ich bin ja nicht allein damit.

Doch es gibt Auswege aus der Misere. Wir brauchen dringend eine Reform des Bildungssystems. In den Schulen und den Universitäten, aber auch für alle vermeintlich Ausgelernten. Aufklärung muss dabei ein so ganzheitliches Thema sein, wie unsere Probleme ganzheitliche Probleme sind. Jeder Mensch muss lernen, wie man Informationen überprüfen kann. Gestärkt und gefördert werden muss aber auch algorithmisches Denken, um einen kritischen Diskurs zu Algorithmen überhaupt zu ermöglichen. Und wir brauchen eine stärkere Ausbildung von Empathie und moralischen Werten, um der aktuellen digitalen Realität etwas entgegenzusetzen. Der Staat muss seine Samthandschuhe ausziehen, digitale Monopole zerschlagen und Infrastruktur dezentralisieren. Soziale Komponenten des Internets wie soziale Netzwerke müssen als gemeinwohlorientierte Infrastruktur der digitalen Gesellschaft bereitgestellt und kommerzielle Netze zur Interoperabilität verpflichtet werden. Wir müssen auf Open Source, Open Hardware, offene Schnittstellen und offene Algorithmen setzen. Wir müssen der Komplexität unserer Zeit mit einer radikalen und systematischen Transparenz entgegentreten.

Nur wenn wir etwas durchschauen können, haben wir die Möglichkeit, es zu verstehen. Und wir müssen dringend digitale Dienste nach anderen Kriterien entwickeln. Statt solcher sozialer Innovationen, die das Gemeinwohl fördern, fördern wir selbst von staatlicher Seite viel zu oft nur kommerziell erfolgversprechende Modelle. Es braucht dafür eine Zeitenwende beim Selbstverständnis staatlicher Akteure: Nicht die zunehmende Ausnutzung der Schwächen technischer Systeme für Geheimdienste und Militär ist Aufgabe des Staates, sondern die Abschaffung dieser Schwächen durch Regulierung und sinnvolle Finanzierung von Forschung, Entwicklung und Innovation. Der aufgeklärte Mensch braucht verlässliche und vor allem überprüfbare Technologie, eine Haftung der Hersteller für Sicherheitslücken, die uns bedrohen und gegen uns verwendet werden können. Es braucht Offenlegungspflichten für solche Sicherheitslücken und eine harte Bestrafung für alle jene, die dagegen verstossen, staatlich wie privatwirtschaftlich.

Die Krux unserer Situation ist: Begonnen mit Luthers Gegenentwurf haben wir die Welt verlassen, in der wir die Entscheidungsverantwortung abgeben konnten. Eine kritische Masse von uns muss sich bereit erklären, auf neue Fragen auch neue Antworten zu finden und bessere Entscheidungen zu treffen. Nur dann sind wir überlebensfähig in einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaftsordnung. In den nächsten Jahren und wenigen Jahrzehnten wird die Digitalisierung erst richtig Fahrt aufnehmen, Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz und Quantencomputer werden alles verändern. Es gäbe grosse Fragen zu diskutieren und Weichen zu stellen. Die Zeit spielt ganz klar gegen uns. Wenn es jemals eine wirkliche Notwendigkeit für Aufklärung gab, dann hier und jetzt.

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