Bedingungslose Bürgerbeamte
Über die Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn.
Ein sicherer Job als Staatsdiener» – so wirbt das deutsche Innenministerium um frische Arbeitskräfte. Das Beamtentum sichert seinen Angehörigen klar definierte Laufbahnen, eine funktionsgerechte Besoldung, eine «amtsangemessene Amtsbezeichnung» und natürlich eine Anstellung auf Lebenszeit. Im Gegenzug werden sie einer Neutralitäts- und Verschwiegenheitspflicht unterworfen sowie einem Streikverbot. Und vor allem: es gilt die Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn.
Diese Treuepflicht machten sich immer wieder auch zweifelhafte Herrscher zunutze, nicht zuletzt die Führer des Dritten Reiches. Die alliierten Kriegsgewinner schafften daher in Deutschland das Berufsbeamtentum, das immerhin auf das alte Preussen Friedrichs des Grossen zurückgeht, kurzerhand ab. Bald danach stellten es die demokratisierten Deutschen jedoch souverän wieder her. Anders die Schweiz: der Souverän – also das Stimmvolk – beendete hier das Beamtentum im Jahr 2000 ganz freiwillig. Etwas überstürzt, wie die Befürworter einer brandneuen Initiative finden, die es nun flächendeckend wiederauferstehen lassen möchten.
Das Neoberufsbeamtentum trägt den etwas sperrigen Titel «bedingungsloses Grundeinkommen». Es soll jeden Bürger in ein lebenslanges staatliches Anstellungsverhältnis überführen. Neu ist, dass den Beamten auch offiziell keinerlei Arbeitsleistung mehr abgefordert wird – daher fallen Laufbahnen, Amtsbezeichnungen und Streikverbote weg. Pauschal erhält jeder Neubeamte 2500 Schweizer Franken Sold, was die Personalverwaltung zweifellos vereinfacht. Zugleich bekommen alle Bürgerbeamten die Möglichkeit, durch eine Tätigkeit in der verbleibenden Privatwirtschaft Zusatzverdienste zu erwerben.
Der Politvorstoss irritiert die politischen Lager. In der Schweiz hat die SP das totale Beamtentum bereits im Parteiprogramm verankert. Andere Linke zeigen sich jedoch verstimmt, da im neuen Beamtenstaat die traditionell komplexe und handlungssteuernde Sozialpolitik ad acta gelegt wird. Aus Deutschland ist zu vernehmen, dass liberale Kräfte wie die Piratenpartei und die Parteijugend der FDP dem Konzept viel abgewinnen können. Die bürgerlichen Kräfte in der Schweiz geben sich dagegen noch zurückhaltend. Avenir Suisse meldet besorgt, dass das grosszügige Soldniveau eine Finanzierungslücke von 25 Milliarden Franken in den Staatshaushalt reissen würde. Offenbar wurde hier noch nicht erkannt, wie viel effizienter eine Gemeinschaft regiert werden kann, in der jedes Kind, jede Studentin, jede Arbeitskraft und jeder Greis einer impliziten Treuepflicht gegenüber dem staatlichen Dienstherrn unterworfen ist.
Wenig überzeugend ist auch das Argument, die einheitliche Besoldungsstufe des Gesamtbeamtentums entkopple das Einkommen von der Arbeitsleistung. Genau dies ist schliesslich der Sinn des Beamtensoldes. Der Beamte vollbringt Aufgaben im Dienste der Gemeinschaft, er produziert «öffentliche Güter», also solche, die durch den Markt gerade nicht bereitgestellt werden. Das private, auf dem Markt erworbene Einkommen ist dagegen ein Mass der Nachfrage – erzielt eine Arbeitskraft ein hohes Einkommen, so zeigt dies, dass andere Menschen deren Leistung eine hohe Wertschätzung entgegenbringen. Schon die Preussenkönige begriffen, dass dieser Massstab für die Diener des Staates kaum angemessen ist. Die Beamten – und damit möglicherweise bald alle Schweizer – sollen darum vom schnöden Lohn- und Leistungsdruck des Marktes befreit werden. Sie müssen sich nicht mehr den Vorlieben der Bürger der Zivilgesellschaft unterwerfen, sondern können sich ganz dem Willen des Kollektivs widmen.
Angesichts dieser hehren, preussisch-emanzipatorischen Ziele sollten kleingeistige Fragen nach Arbeitsanreizen oder Finanzierungslücken keine Rolle spielen. Am Ende geht es schliesslich um viel mehr: um das Ideal eines aufgeklärten, pflichtgetreuen Bürgerbeamten, die Chancen einer lebenslangen, stufenlosen Dienstlaufbahn und die Befreiung von den sprunghaften Wünschen der Mitmenschen.
Willkommen im 21. Jahrhundert, alter Fritz!