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(3) Bausteine für den Föderalismus der Zukunft

Die Schweiz braucht weder Kantonsfusionen noch Grossregionen, sondern FOCJ (Functional, Overlapping, and Competing Jurisdictions). Dies ist eine der Schlussfolgerungen jener Föderalismusstudie, mit der der Think-Tank Avenir Suisse anfangs dieses Jahres eine neue Runde der Föderalismusdebatte eröffnet hat.

Natürlich freuen wir uns darüber, dass unser Konzept der Functional, Overlapping, and Competing Jurisdictions FOCJ (Frey und Eichenberger 1999) von Avenir Suisse als zukunftsorientiertes funktionales Föderalismusmodell propagiert wird, das den herkömmlichen territorialen Föderalismus mit vielerlei spezialisierten, flexiblen demokratischen Einheiten mit Steuerhoheit ergänzen und funktionsfähiger machen will.

Leider macht es die Studie von Avenir Suisse Kritikern allzu leicht, indem sie nicht immer konsistent wirkt und klare Botschaften meidet – etwa wenn sie den ineffektiven Grossregionen über 200 Seiten widmet, aber der Widerlegung der traditionellen Argumente gegen FOCJ nur wenig Platz einräumt. Während die äussere Aufmachung den Titel «Baustelle …» allzu wortgetreu spiegelt, ist der Band inhaltlich enger angelegt, als es der Titel verheisst. Denn die Schweiz braucht nicht nur FOCJ. Deshalb werden im folgenden drei weitere Schwächen des heutigen Föderalismus und mögliche Reformrezepte diskutiert.

Verteilung von Reformgewinnen. Regelmässig wird geklagt, Föderalismus bremse die Politik. So werden immer wieder effizienzsteigernde Reformen im Bereich des «Service Public», z.B. der Abbau unrentabler Poststellen, durch den Widerstand besonders betroffener Kantone und Regionen verzögert. Tatsächlich aber haben solche Reformblockaden weniger mit Föderalismus zu tun als damit, dass der heutige Service Public eine Einkommensumverteilungsmaschine ist und bei den Reformvorhaben ständig die Effizienz- und die Umverteilungsfrage vermischt werden. Etwas verkürzt werden die «Bergler» gefragt, ob sie weiterhin durch die «Unterländer» bezahlte oder keine Poststellen mehr wollen. Natürlich sind sie da vehement für die Erhaltung ihrer Poststellen. Sinnvollerweise müsste jedoch gefragt werden, ob sie eine durch die Allgemeinheit bezahlte Poststelle haben wollen oder das entsprechende Geld (oder einen guten Teil davon). Bei dieser Frage würden viele Bergler das Geld wählen, um damit Klügeres zu tun, als unrentable Poststellen zu unterhalten. Indem wir Instrumente entwickeln, die die Effizienz- und die regionale Umverteilungsfrage entmischen, könnten wir die «föderalistischen» Reformblockaden überwinden.

Deregulierung der Politik. Die Föderalismustheorie und die Idee des Steuerwettbewerbs beruhen auf der Wanderung von Bürgern und Firmen von schlecht zu gut regierten Gemeinden und Kantonen. Solche Wanderungen wirken aber nur langsam und sind sehr teuer. Deshalb brauchen wir dynamischere und billigere Wettbewerbsmechanismen. Nach dem wirtschaftlichen sollte ein politischer Binnenmarkt geschaffen werden. So könnte die Wanderung von Bürgern und Firmen durch die Wanderung von Politikern ergänzt werden. Wenn Lokalpolitiker auch ohne Wohnsitznahme in anderen Gebietskörperschaften kandidieren können, werden der politische Wettbewerb und die Anreize der Politiker und Parteien gestärkt, sich an Wahlversprechen zu halten und ihre Politik an den Interessen der schlecht organisierten gesellschaftlichen Gruppen auszurichten. Beispielsweise lohnt es sich heute für Regierungspolitiker wenig, versprochene Steuersenkungen auch wirklich durchzusetzen, weil sie so nur ihre eigenen Budgets beschneiden. Für Politiker hingegen, die in andere, für sie attraktivere Gemeinden und Kantone wechseln können, lohnt es sich sehr wohl, auch die eigenen Budgets zu kürzen, um so eine Reputation für sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln aufzubauen. Mit dieser «Deregulierung der Politik» könnte ein nationaler Markt für gute Politik entstehen (dazu Eichenberger 2003), der auch die Politikerknappheit insbesondere in kleinen Gebietskörperschaften wirkungsvoll überwinden würde.

Reformen auf Bundesebene. Viele Wissenschafter setzen Föderalismus praktisch gleich mit fiskalischer Dezentralisierung, also mit starken Kantonen und Gemeinden. Richtiger Föderalismus ist aber viel mehr, nämlich starke Gemeinden und Kantone unter einem starken Bundesdach. In der Schweiz jedoch ist das Bundesdach zwar voluminös, aber gleichzeitig schwach. Unser Föderalismus hat einen Konstruktionsfehler. Den Entscheidungsträgern fehlen wirksame Anreize, im Interesse der gesamten Bevölkerung zu handeln. Deshalb werden die für einen föderalistischen Staat besonders wichtigen nationalen öffentlichen Güter, z.B. die Offenhaltung des Binnenmarktes oder ein effizienter Finanzausgleich, nur unzureichend erbracht.

Der erwähnte Konstruktionsfehler liesse sich durch zwei Massnahmen korrigieren. Erstens braucht es neue Wahlkreise für den Nationalrat. Die Bezeichnung Nationalrat suggeriert zwar eine gesamtschweizerische Orientierung, und der Wettbewerb um Wählerstimmen zwingt Politiker und Parteien, einigermassen im Sinne ihrer Wähler zu politisieren. Da aber die Wahlkreise die einzelnen Kantone oder Teile davon sind, müssen Nationalräte kantonale Interessen vertreten, nicht das Wohl aller Schweizer. Deshalb kämpfen im Nationalrat nur wenige für allgemeine Sparsamkeit, aber viele für hohe Ausgaben und für Gesetze, die dem eigenen Kanton besonders nützen. Somit wachsen die Bundesausgaben, gerade weil die nationalen Institutionen schwach und der Kantönligeist stark sind. Die Kosten dieser föderalistischen Fehlkonstruktion belasten alle Schweizer, aber ganz besonders die Bürger grosser Kantone. Kantonale Beutejagd betreiben vor allem Politiker aus kleinen Kantonen mit wenigen Nationalratssitzen, denn sie müssen einen grossen Anteil der Wähler hinter sich scharen und deshalb Positionen vertreten, die möglichst vielen Wählern nützen. In grossen Kantonen mit vielen Sitzen haben hingegen auch Politiker Chancen, die sich auf Anliegen von Minderheiten und weniger auf Beutejagd spezialisieren. Deshalb werden die Interessen der grossen Kantone weniger effektiv vertreten.

Das Reformrezept liegt auf der Hand. Wenigstens ein Teil der Nationalräte, etwa ein Drittel, sollte in gesamtschweizerischen Wahlkreisen gewählt werden. Damit hätten die Kandidaten starke Anreize, kluge Lösungen für die Schweiz als Ganzes zu erarbeiten und zu vertreten. Partikularismus, der anderen Kantonen schadet, würde sich viel weniger lohnen als heute, weil mit einer gesamtschweizerisch vorteilhaften Politik in der ganzen Schweiz Stimmen gesammelt werden könnten.

Zweitens braucht es die Volkswahl des Bundesrates mit dem Bravo-Sympa Verfahren. Auch der Bundesrat als nationales Entscheidungsgremium sollte gestärkt werden. Die Volkswahl würde ihn aufwerten und es erlauben, ihm mehr Kompetenzen zu übertragen. Zudem wäre die Regierungsbildung so weniger ein Zufallsergebnis von Strategiespielen und persönlichen Abrechnungen unter Politikern. Hingegen glauben viele, die Wahl durchs Parlament fördere den regionalen Ausgleich sowie das Kollegialitätsprinzip und mindere den Medien- und Geldeinfluss. Was also tun, wenn die Volks- und Parlamentswahl des Bundesrates je gewichtige Vor- und Nachteile haben? Die Lösung ist das Bravo-Sympa Verfahren, die Bundesratsauswahl durch das Volk in Symbiose mit dem Parlament.Volk und Parlament wählen den Bundesrat gemeinsam. Zuerst entscheidet das Volk über die Zahl der Sitze pro Partei, dann bestimmt das Parlament die Personen für die Sitze.

Diese Lösung vereint die Stärken der Volks- und der Parlamentswahl, unter Ausschluss ihrer Schwächen. Die Bürger können bestimmen, welche Parteien die Politik prägen sollen. Das gibt den Politikern nicht nur stärkere Anreize, im Sinne der Bürger zu politisieren, sondern auch klar interpretierbares Feedback, wie die Bürger ihre Arbeit beurteilen. Gleichzeitig kann das Parlament mit der Auswahl der richtigen Köpfe den sprachregionalen Ausgleich und die Funktionsfähigkeit des Regierungsteams sichern. Schliesslich können so die Bürger den Einfluss der Parteien in Exekutive und Legislative sowie Regierung und Opposition unabhängig steuern. Technisch ist das Bravo-Sympa Verfahren einfach umzusetzen. Während die Wahl der Personen durch das Parlament ähnlich wie heute ablaufen kann, existiert für die Bestimmung der Sitzzahl jeder Partei durch das Volk ein elegantes Verfahren: jeder Bürger erhält sieben Stimmen, die er nicht einfach auf die Parteien, sondern auf die Sitze (Erstsitz, Zweitsitz, etc.) der einzelnen Parteien aufteilen muss. Als gewählt gelten dann die sieben Sitzbesetzungen mit den meisten Stimmen. Dieses Verfahren erlaubt den Bürgern, ihre Präferenzen für parteilich gemischte Regierungen auszudrücken und bricht ihre Anreize zu strategischem Kumulieren der Stimmen auf eine Partei.

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