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Bargeld unter Verdacht

«Geld ist geprägte Freiheit», schrieb Dostojewski. Aber wer heute ein Auto mit Bargeld zahlt, ist verdächtig. Und wer Geldtransaktionen über 10000 Franken vornimmt, muss sich rechtfertigen. Wird Geld zur geprägten Unfreiheit?

Wenn die Schweizerische Volkspartei (SVP) Rechnungen mit Bargeld bezahlt, so schallt es aus dem Blätterwald unisono zurück: Barzahlungen würden die «Frage nach der Legalität der Gelder» aufwerfen. In der Tat. Die Antwort auf diese Frage steht im Bundesgesetz über die Währung und die Zahlungsmittel vom 22. Dezember 1999. Sie lautet: «Als gesetzliche Zahlungsmittel gelten: a. die vom Bund ausgegebenen Münzen; b. die von der Schweizerischen Nationalbank ausgegebenen Banknoten; c. auf Franken lautende Sichtguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank.»

Nur für diese Zahlungsmittel besteht eine gesetzliche Annahmepflicht. Es ist also gesetzeswidrig, Frankennoten in der Schweiz als Zahlungsmittel abzulehnen. Natürlich kann man auch mit Buchgeld per Überweisung, WIR-Geld, Reka-Checks oder im ­Gefängnis mit Zigaretten bezahlen. «Strafrechtlich geschützt», wie es auf unseren Banknoten steht, sind diese Zahlungsmittel ­jedoch nicht. Wer Bargeld fälscht oder falsches in Umlauf bringt, wird mit
Gefängnis bestraft.

Es stellt sich die Frage: Wie verdreht ist unser Denken, wenn die Verwendung des einzigen gesetzlichen Zahlungsmittels als ­legal fraglich erachtet wird?

Was ist Geld?

In der Volkswirtschaftslehre wird Geld definiert als Zahlungsmittel, das im Rahmen des nationalen Zahlungsverkehrs generell zur Bezahlung von Gütern und Dienstleistungen und zur Abdeckung anderer Verpflichtungen akzeptiert wird. Ohne Geld gibt es keine moderne Wirtschaft.

Praktisch existiert Geld in den Grundformen von Bargeld und Buchgeld. Das Buchgeld in Form von Kontoguthaben bei einer Bank ist dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Bank ausgesetzt. Es ist nicht gesetzliches Zahlungsmittel, ­somit besteht auch keine gesetzliche Annahmepflicht. Im Gegenzug ist die Verwendung von Buchgeld im Zeitalter von E-Banking oft wesentlich bequemer und günstiger als Bargeld. Zugleich birgt dessen Verwendung jedoch auch Risiken – der Benutzer gibt seine Anonymität preis, indem er elektronische Spuren hinterlässt. Will, wer bezahlt, anderen Rechenschaft darüber geben, wofür er ­bezahlt hat? Will er den Empfänger offenlegen? Will dieser offengelegt werden?

Die Schweiz belegt, gemessen am Bargeldumlauf pro Einwohner, hinter Japan den Spitzenrang. Gemessen am Brutto­inlandprodukt liegt unser Bargeldanteil mit knapp 10 Prozent leicht über dem Euroraum, aber hinter Japan, Indien, China und Russland. Dass fast 60 Prozent des Notenumlaufs in der Schweiz auf die Tausendernoten entfallen, zeigt: Die Schweizer Noten finden nicht nur als Zahlungsmittel, sondern in erheblichem Umfang auch zur Wertaufbewahrung Verwendung. Am tiefsten ist die Bargeldquote in Schweden, wo im Jahr 1661 die erste europäische Banknote ausgegeben wurde. Der Anteil am Brutto­inlandprodukt beträgt noch drei Prozent. Banken haben in Schweden den Bargeldservice teilweise eingestellt, selbst den Obolus an die Kirche entrichten die Schweden gerne mit der Zahlkarte.

Sauberes und schmutziges Geld

Vor gut 40 Jahren haben die Amerikaner eine neue Kategorisierung des Geldes vorgenommen: sauberes Geld und schmutziges Geld. Da Geld nicht stinkt, wird die Unterscheidung aufgrund der Herkunft oder der Verwendung getroffen. Und da weder Herkunft noch Verwendung beim Bargeld festgestellt werden können, gilt Bargeld heute weitherum generell als verdächtig, schmutzig und schwarz. Bereits 1970 haben die USA mit dem Currency and Foreign Transactions Reporting Act durchgesetzt, dass jede Bartransaktion ab 10000 Dollar dem US-Schatzamt ­gemeldet werden muss. Zusätzlich erhebt heute auch die US-Steuerbehörde für ihre eigenen Zwecke die gleichen Daten. Zur Reduktion der Kriminalität haben die Vorschriften nicht geführt, wohl aber zur Professionalisierung der Geldwäsche. Und sie gelten als wichtiges Instrument der staatlichen Maschinerie zur Überwachung der Bürger. Da rund 65 Prozent der Dollarnoten ausserhalb der USA zirkulieren, ist das amerikanische Auge allerdings weitgehend blind. Das ärgert die amerikanischen Steuer­beamten sehr.

Die Internationalisierung des Kampfes gegen das Bargeld begann 1988 durch die UNO-Konvention zur Bekämpfung des Drogenhandels. Die G7 und weitere Staaten verständigten sich 1989 darauf, eine neue Kampftruppe zur Geldwäschereibekämpfung einzusetzen, die Financial Action Task Force (FATF). Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Drogenhandel und organisiertem Verbrechen wurden die Banken als Hilfspolizisten verpflichtet, aktiv bei der Überwachung der Kunden mitzuwirken, auch mit Regeln zur Kontrolle der Bargeldverwendung.

Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 verschärfte sich die staatliche Überwachung der Geldflüsse stark. In den USA wurde im Rahmen des Patriot Act von 2001 der Krieg gegen den Terror auch im Finanzsystem lanciert. Die FATF ist seither Gehilfin in der internationalen Umsetzung des Krieges.

Umgehend setzten die Staaten die neue Überwachungsmaschinerie auch zur Verfolgung mutmasslicher Steuerhinterzieher ein, zuerst heimlich, dann offiziell. Aus einer Massnahme gegen den Terrorismus wurde in Deutschland so nach zwei Jahren ein «Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit». Und die USA verlangen von ausländischen Banken, dass sie die Daten, die sie in andern Ländern zur Bekämpfung des Terrorismus erheben, den Amerikanern zu Steuerzwecken melden.

Heute gilt es in linken wie in bürgerlichen Kreisen als politisch korrekt, dass der Staat die finanziellen Transaktionen und Verhältnisse seiner Bürger und Einwohner in allen Bereichen überwacht, seien dies Konten, Bestände, Transaktionen oder Bargeld. Erklärlich ist das rational kaum. Die Linke hat sich traditionell ­gegen den Schnüffelstaat gewehrt, die Bürgerlichen haben die ­Privatsphäre und die Eigenverantwortung hochgehalten. Wir scheinen definitiv im Zeitalter des Etatismus angekommen zu sein, über alle politischen Grenzen hinweg.

Bargeld ist verdächtig

– Gemäss FATF gelten alle Bankkunden, die in einem bargeldintensiven Geschäft tätig sind, als Risikokunden. Zudem verpflichtet die FATF die Länder, alle Transfers von Bargeld über die ­Landesgrenze von mehr als 15000 Dollar aufzuspüren, zu regis­trieren und Vergehen zu ahnden. Bei Bargeschäften über 15000 Dollar oder Euro sind die Banken gemäss FATF verpflichtet, die Kunden und die wirtschaftlich Berechtigten zu identifizieren und zu verifizieren. Zudem müssen sie den Zweck der Transaktion abklären. Für Casinos beträgt die Limite 3000 Dollar oder Euro.

– In den USA sind Bartransaktionen über 10000 Dollar durch ­Banken mehrfach meldepflichtig. 

– Für Personen, die in die EU ein- oder ausreisen, sind Bargeld­beträge ab 10000 Euro meldepflichtig. In vielen Fällen besteht die Meldepflicht auch bei Grenzübertritten innerhalb der EU. In gewissen Ländern sind die Limiten sogar wesentlich tiefer. In Griechenland, einem typischen Bargeldland, gelten seit diesem Jahr Transaktionen von mehr als 1500 Euro nicht mehr als rechtswirksam, wenn sie bar getätigt werden.

– In Italien, einem andern typischen Bargeldland, hat der neue Premierminister Mario Monti bei Amtsantritt im November 2011 verfügt, dass Barzahlungen von mehr als 1000 Euro illegal sind.

– In der Schweiz sind die Regeln zur Bargeldverwendung in drei Gesetzen, einer Verordnung und einer Standesvereinbarung der Banken festgeschrieben. Bei Kassageschäften über 25000 Franken müssen die Banken Vertragspartner und wirtschaftlich ­Berechtigte feststellen, bei Geldwechselgeschäften schon ab ­einer Limite von 5000 Franken. Bargeldübertragungen von mehr als 5000 Franken mit Personen ohne dauerhafte Geschäftsbeziehung erfordern die Abklärung des wirtschaftlichen Hintergrundes. Im grenzüberschreitenden Verkehr müssen Personen bei Ein-, Aus- und Durchfuhr von Barmitteln von über 10000 Franken der Zollstelle Auskunft erteilen. Die internen Weisungen vieler Banken gehen weit über diese Vorschriften hinaus. Beispielsweise bezahlt die Zürcher Kantonalbank ausländischen Kunden keine grösseren Bargeldmengen mehr aus, aus Rücksicht auf allfällige künftige Steuerabkommen.   

Eine Frage der Freiheit

Der Trend scheint klar: Geld dient neben dem Zahlungsverkehr, der Wertaufbewahrung und der Recheneinheit auch als Mittel zur Überwachung der Bürger durch den Staat und zur Durchsetzung nationaler Interessen. Dazu gehört als neues technisches Erfordernis die Nachvollziehbarkeit aller Transaktionen. Im Geldkreislauf soll jedes Geschäft seine Spuren hinterlassen. Auch intimste wirtschaftliche Handlungen müssen nachverfolgt werden können: die Bezahlung der Abtreibung, der Besuch im Bordell, der Beitrag an die Parteikasse, alles muss für den Staat und seine Funktionäre transparent werden. Der Staat selbst aber will bezüglich seiner Geldschnüffelei weder transparent noch überwacht sein. Er will tun und lassen können, was er für richtig hält, weil er ja das Gute bezweckt.

Bargeld schützt die Anonymität und damit die Privatsphäre des einzelnen. Dostojewski sagt in der Beschreibung eines sibirischen Gefangenenlagers: «Geld bedeutet doch geprägte Freiheit und hat darum für einen jeder Freiheit beraubten Menschen den zehnfachen Wert.» Freiheit bedeutet Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Wer die Freiheit liebt, schützt die Privatsphäre. Beim Geld gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ­unterwerfen wir uns und unser wirtschaftliches Tun der obrigkeitlichen Überwachung oder wir widersetzen uns der totalen Kontrolle der Geldflüsse durch den Staat und verwenden das gesetzliche Zahlungsmittel. Wer frei sein will, verwendet Bargeld. Eigentlich müsste der Staat es schützen, doch will er es lieber abschaffen.

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