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Bares soll Wahres bleiben
Peter Kuster, fotografiert von Daniel Jung.

Bares soll Wahres bleiben

Münzen und Noten werden weniger genutzt, dabei hat Bargeld gegenüber elektronischen Zahlungsmitteln gewichtige Vorteile. Der Bundesrat hat die Thematik kürzlich zur Chefsache erklärt.

Bargeld polarisiert. Für die einen ist es angesichts der digitalen Möglichkeiten ein anachronistisches Zahlungsmittel, das unhygienisch ist und zwielichtigen bis kriminellen Geschäften Vorschub leistet. Sie haben nichts dagegen einzuwenden, wenn die Bancomatendichte hierzulande abnimmt, die Lenker des öffentlichen Verkehrs eine Zukunft ohne Bargeld planen und Geschäfte wie die hippe Restaurantkette kaisin immer häufiger gar kein Bargeld mehr akzeptieren. Dass im Alltag vermehrt mit «unbaren» Mitteln wie Debitkarten und Twint bezahlt wird, wie repräsentative Umfragen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) belegen und auch das eigene Einkaufserlebnis zeigt, ist für sie nichts als folgerichtig.

Für die anderen ist Bargeld hingegen Ausdruck persönlicher Freiheit und ein Mittel zur Bewahrung der finanziellen Privatsphäre gegenüber dem Staat, aber auch gegenüber Technologiekonzernen. Manche mutmassen gar, es gebe einen perfiden Plan, die Bürger stufenweise vom ­Bargeld zu entwöhnen, um es letztlich ganz abzuschaffen. Sie begrüssen die Volksinitiative «Bargeld ist Freiheit», die den Bund unter anderem verpflichten will, sicherzustellen, dass «Münzen und Banknoten immer in genügender Menge zur Verfügung stehen».1 Dieses Lager verfolgt auch die Projekte für digitales Zentralbankengeld mit Argusaugen. Es misstraut den Beteuerungen der Europäischen Zentralbank (EZB), wonach der geplante «digitale Euro» Bargeld bloss ergänzen und nicht ersetzen soll.

Annahmezwang oder Vertragsfreiheit?

Wer sich mit Bargeld fundiert auseinandersetzen will, dem sei ein Bericht des Bundesrats2 vom Dezember 2022 zur Lektüre empfohlen. Dort werden die Faktoren erläutert, welche die Intensität des Gebrauchs von Bargeld in einer Gesellschaft beeinflussen. Einer ist der Zugang zu Bargeld. Andere sind die Zahlungspräferenzen der Bevölkerung und die Akzeptanz von Bargeld durch die Geschäfte. Letztere steht im Zentrum des Berichts, der sich der Frage widmet, ob die «geltende Bargeldannahmepflicht von dispositivem in zwingendes Recht» umgewandelt werden soll.

Heute gelten die Münzen des Bundes und die Banknoten der SNB als gesetzliches Zahlungsmittel. Zudem besteht gemäss dem Gesetz über die Währung und die Zahlungsmittel eine Annahmepflicht für Bargeld: «Schweizerische Banknoten müssen von jeder Person unbeschränkt an Zahlung genommen werden.» Allerdings wird diese Vorschrift als ­dispositives Recht betrachtet. Das heisst: Die Annahmepflicht greift nur, wenn die Vertragsparteien kein anderes Zahlungsmittel vereinbart haben. Diese «Vereinbarung» kann ziemlich einseitig sein, genügt doch bereits «ein gut sichtbarer Hinweis beim Geschäftseingang mit dem Vermerk ‹nur bargeldlose Zahlungen›», um die gesetzliche ­Annahmepflicht zu übersteuern. Der Bundesrat begründet nicht weiter, weshalb die Annahmepflicht heute nur dispositiv sein soll, und verweist im Bericht dafür bloss schmallippig auf einen Gesetzeskommentar. Der Wortlaut des Gesetzes selber liesse aber durchaus striktere Interpretationen zu, ins­besondere aufgrund des Begriffs Annahmepflicht.

Aus liberaler Perspektive ist die Ausgestaltung der Annahmepflicht eine Knacknuss. Solange wir uns in einem System mit staatlichem Geldmonopol bewegen, ist einerseits Bargeld anderen Zahlungsmitteln vorzuziehen. Es schützt die Privatsphäre. Zudem schränkt die Option Bargeld den im Fiatgeldsystem enormen Spielraum der Geldpolitik ein. Dass die Leitzinsen in den letzten Jahren in der Schweiz und anderswo nicht noch tiefer im Minusbereich lagen, ist massgeblich der Möglichkeit, Geld in bar statt auf dem Bankkonto zu halten, zu verdanken. Damit setzt Bargeld als Wertaufbewahrungsmittel der Macht der Zentralbank Grenzen. Auch der Bundesrat konzediert, dass es neben dem individuellen Nutzen «wichtige gesamtwirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Funktionen erfüllt»: Als all­gemein verfügbares Zentralbankgeld festige es das Vertrauen ins ganze Geldsystem, zeichne sich durch eine hohe Krisenresilienz aus, weil es ohne elektronische Systeme funktioniere, und trage zur «finanziellen Inklusion» bei, indem alle am Wirtschafts- und Sozialleben teilnehmen könnten. Selbst der Bundesrat stellt nicht in Abrede, dass eine zwingende Annahmepflicht eine «potentiell wirksame Massnahme» wäre, um die Bargeldakzeptanz zu erhöhen.

Andererseits ist für Liberale die Vertragsfreiheit ebenfalls ein fundamentaler Wert. Parteien sollten sich möglichst frei und ohne staatliche Einflussnahme über den Inhalt eines Vertrags einigen dürfen. Dazu gehört, wie eine Forderung beglichen werden soll. In vielen Bereichen des Geschäftsverkehrs, aber auch im Waren-Onlinehandel wäre es ziemlich unpraktisch, wenn eine Partei auf einer Barzahlung beharren könnte. Genau in diese Kerbe schlägt der Bundesrat: In der Schweiz gebe es bislang keine Anzeichen für eine Negativspirale aus abnehmendem Bargeldbezug, schwindender Akzeptanz und sinkender Nutzung. Vor diesem Hintergrund lehnt er eine zwingende Annahmepflicht als unverhältnismässigen Eingriff in die Vertragsfreiheit ab.

In einem staatlichen Geldsystem ist Bargeld das freiheitlichste Zahlungsmittel. Um seine Bedeutung zu sichern, wäre eine griffigere Annahmepflicht nützlich. Doch eine solche Massnahme kollidiert mit dem Prinzip der Vertragsfreiheit. Wie sähe ein Ausweg aus diesem Dilemma aus? ­Liberale wissen, dass es selten perfekte, aber oft bessere Lösungen gibt. Der Bundesrat liefert gleich selber einen Denkanstoss dazu, indem er darlegt, wie man den Geltungsbereich einer zwingenden Annahmepflicht limitieren könnte, zum Beispiel auf Einkaufsläden, Restaurants und weitere Anbieter alltäglicher Güter und Dienstleistungen mit direktem Kundenkontakt. Einiges spricht dafür, dass dies ein praktikabler Eingriff in die Vertragsfreiheit wäre, mit lösbaren Abgrenzungsproblemen. Der Nutzen dürfte überwiegen: Sicherung der Akzeptanz des Bargelds, ein klares Signal nach innen (kein verdeckter Plan gegen Bargeld) und aussen (die Schweiz steht zum Bargeld) sowie eine bessere Übereinstimmung von Gesetz und Rechtswirklichkeit. Noch milder, aber transparenzfördernd wären Mindestanforderungen an die Grösse und Platzierung des Hinweises, dass Geschäfte kein Bargeld entgegennehmen.

Das Schweigen der SNB in der Pandemie

Die Ausgestaltung der Annahmepflicht ist beileibe nicht die einzige Stellschraube, wenn es darum geht, das Bargeld in die Zukunft zu retten. Der Bundesrat ergreift immerhin «flankierende Massnahmen». Er macht ­Bargeld dadurch quasi zur Chefsache: Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) soll ihn künftig regelmässig über die Entwicklungen im Bargeldbereich unterrichten, zusätzlich wird ein Austausch mit allen am Bargeldverkehr beteiligten Akteuren (wie SNB, Banken oder Detailhandel) institutionalisiert. Ausserdem erwartet die Landesregierung im Sommer einen Bericht mit Vorschlägen für Anpassungen beim Grundversorgungsauftrag im Zahlungs­verkehr, für den heute die PostFinance zuständig ist.

Für die Zukunft des Bargelds ebenfalls zentral ist die Nationalbank. Sie hat den Auftrag, die Bargeldversorgung zu gewährleisten, und verfügt über das Notenmonopol. Sichere und ansprechend gestaltete Banknoten sind ein nicht unwesentlicher Faktor, damit Bargeld in der Bevölkerung beliebt bleibt. Die SNB hat mit der 9. Banknotenserie bewiesen, wie ernst sie diese Aufgabe nimmt. Die zwischen 2016 und 2019 emittierten Noten wurden von der Bevölkerung denn auch mit grossem Interesse aufgenommen. Doch dann brach 2020 die Coronapandemie aus. Münzen und Noten wurden plötzlich als Virenschleudern angeprangert, das Bundesamt für Gesundheit empfahl hochoffiziell, wenn möglich auf das gesetzliche Zahlungsmittel zu verzichten, entsprechende Hinweisschilder bei Migros, Coop und Co. prägten den neuen Alltag. Der Trend zu einer rückläufigen Bargeldnutzung akzentuierte sich deutlich.3 Die Ängste vor dem Bargeld waren jedoch unbegründet: In seinem Bericht hält der Bundesrat fest, internationale Untersuchungen hätten in bezug auf das Ansteckungsrisiko bald Entwarnung gegeben, und Institutionen wie die EZB oder die Deutsche Bundesbank hätten «diese Erkenntnis prominent der Öffentlichkeit vermittelt». Es ist mehr als nur ein kleiner Wermutstropfen, dass ausgerechnet die SNB sich damals zu dieser Thematik nicht hörbar äussern wollte.

Heute zeigen die Verantwortlichen wieder klarere Kante. So hielt Martin Schlegel, Vizepräsident des Direktoriums, Ende November in einem Referat fest, dass die SNB zwar keine Präferenz für Bargeld oder bargeldlose Zahlungen habe, ihr aber die freie Wahl des Bürgers wichtig sei. Er rief dazu auf, der Bargeldinfrastruktur Sorge zu tragen und eine Negativspirale zu vermeiden. Auch das ist ein kon­struktiver Beitrag zu einer Debatte, die für unser Land viel zu wichtig ist, um nur mit Schlagworten, Vermutungen und Vorurteilen geführt zu werden.

  1. Die Initianten haben dafür gemäss eigenen Angaben von Anfang
    Februar genügend Unterschriften gesammelt.

  2. Bericht des Bundesrates: «Die Akzeptanz von Bargeld in der Schweiz», 9. Dezember 2022. Antwort auf das Postulat von Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (SP).

  3. Siehe beispielsweise den SNB-Bericht zur Zahlungsmittelumfrage 2020.

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